Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite
Th. I. Bestrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d.
Strafen.

Die Kommission beruhigte sich bei dieser Erklärung.

VI. Die gerechte Durchführung des neuen Systems der Freiheits-
strafen macht eine Reform des Gefängnißwesens nothwendig, welche
namentlich in einzelnen Landestheilen große Kosten verursachen wird,
aber nichtsdestoweniger ganz unerläßlich geworden ist. Schuldgefäng-
nisse, Untersuchungs- und Strafgefängnisse verlangen verschiedene Rück-
sichten; unter den letzteren aber muß durchaus die Scheidung des Zucht-
hauses von dem einfachen Gefängnisse durchgeführt und von diesem
wieder das Lokal für die Polizeihaft getrennt werden. Das sind An-
forderungen von großer praktischer Bedeutung, denn -- wie früher schon
hervorgehoben worden, t) -- das Volk schätzt die Härte der Freiheitsstrafe
und namentlich das Entehrende des Zuchthauses hauptsächlich nach der
Räumlichkeit, wo die Abbüßung stattfindet. Es ist eine einfache For-
derung der Gerechtigkeit, daß jedem seine Strafe zu Theil werde, nicht
mehr, nicht weniger; von den höheren Ansprüchen der Philanthropie ist
hier noch gar nicht die Rede. Darum kann aber auch die Einrichtung
und Beaufsichtigung des Gefängnißwesens nicht der Verwaltung über-
lassen werden, sondern muß, um für die dem Erkenntniß entsprechende
gesetzliche Vollstreckung der Freiheitsstrafen die erforderliche Garantie zu
gewähren, an die Justizbehörden übergehen. u)

In der Kommission der zweiten Kammer kam es namentlich zur
Sprache, wie es denn werden solle, wenn man sich etwa zur Einfüh-
rung des pensylvanischen Systems entschließen werde. Der Kommissar
des Justizministers bemerkte darauf: ein Gesetzentwurf über die Einfüh-
rung dieses Systems sei früher ausgearbeitet worden, doch habe man
denselben zurückgelegt, weil gegen die Angemessenheit der Neuerung
ebenso, wie in England, Frankreich und Belgien, Bedenken entstanden
seien. Sollte man sich einmal zur Annahme dieses Systems entschließen,
so würde das betreffende Gesetz die neue Strafe zu den jetzt angenom-
menen Strafarten in das richtige Verhältniß zu bringen haben. -- Die
Kommission begnügte sich nach dieser Mittheilung damit, die ausdrück-
liche Erklärung im Protokoll niederzulegen: daß sie bei der vorliegenden
Berathung von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Freiheitsstrafen
nicht in Gefängnissen nach dem pensylvanischen Systeme vollstreckt
würden. v) Sie wollte damit kein Urtheil über dieses System ausspre-

t) Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 21. Dec. 1839.
u) Revision a. a. O. I. S. 36-39. -- Verhandlungen zwischen dem Justiz-
ministerium und dem Ministerium des Innern sind über diesen Gegenstand schon seit
Jahren gepflogen.
v) Protokolle der Kommission der zweiten Kammer a. a. O.
Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d.
Strafen.

Die Kommiſſion beruhigte ſich bei dieſer Erklärung.

VI. Die gerechte Durchführung des neuen Syſtems der Freiheits-
ſtrafen macht eine Reform des Gefängnißweſens nothwendig, welche
namentlich in einzelnen Landestheilen große Koſten verurſachen wird,
aber nichtsdeſtoweniger ganz unerläßlich geworden iſt. Schuldgefäng-
niſſe, Unterſuchungs- und Strafgefängniſſe verlangen verſchiedene Rück-
ſichten; unter den letzteren aber muß durchaus die Scheidung des Zucht-
hauſes von dem einfachen Gefängniſſe durchgeführt und von dieſem
wieder das Lokal für die Polizeihaft getrennt werden. Das ſind An-
forderungen von großer praktiſcher Bedeutung, denn — wie früher ſchon
hervorgehoben worden, t) — das Volk ſchätzt die Härte der Freiheitsſtrafe
und namentlich das Entehrende des Zuchthauſes hauptſächlich nach der
Räumlichkeit, wo die Abbüßung ſtattfindet. Es iſt eine einfache For-
derung der Gerechtigkeit, daß jedem ſeine Strafe zu Theil werde, nicht
mehr, nicht weniger; von den höheren Anſprüchen der Philanthropie iſt
hier noch gar nicht die Rede. Darum kann aber auch die Einrichtung
und Beaufſichtigung des Gefängnißweſens nicht der Verwaltung über-
laſſen werden, ſondern muß, um für die dem Erkenntniß entſprechende
geſetzliche Vollſtreckung der Freiheitsſtrafen die erforderliche Garantie zu
gewähren, an die Juſtizbehörden übergehen. u)

In der Kommiſſion der zweiten Kammer kam es namentlich zur
Sprache, wie es denn werden ſolle, wenn man ſich etwa zur Einfüh-
rung des penſylvaniſchen Syſtems entſchließen werde. Der Kommiſſar
des Juſtizminiſters bemerkte darauf: ein Geſetzentwurf über die Einfüh-
rung dieſes Syſtems ſei früher ausgearbeitet worden, doch habe man
denſelben zurückgelegt, weil gegen die Angemeſſenheit der Neuerung
ebenſo, wie in England, Frankreich und Belgien, Bedenken entſtanden
ſeien. Sollte man ſich einmal zur Annahme dieſes Syſtems entſchließen,
ſo würde das betreffende Geſetz die neue Strafe zu den jetzt angenom-
menen Strafarten in das richtige Verhältniß zu bringen haben. — Die
Kommiſſion begnügte ſich nach dieſer Mittheilung damit, die ausdrück-
liche Erklärung im Protokoll niederzulegen: daß ſie bei der vorliegenden
Berathung von der Vorausſetzung ausgegangen, daß die Freiheitsſtrafen
nicht in Gefängniſſen nach dem penſylvaniſchen Syſteme vollſtreckt
würden. v) Sie wollte damit kein Urtheil über dieſes Syſtem ausſpre-

t) Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 21. Dec. 1839.
u) Reviſion a. a. O. I. S. 36-39. — Verhandlungen zwiſchen dem Juſtiz-
miniſterium und dem Miniſterium des Innern ſind über dieſen Gegenſtand ſchon ſeit
Jahren gepflogen.
v) Protokolle der Kommiſſion der zweiten Kammer a. a. O.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0100" n="90"/>
              <fw place="top" type="header">Th. I. Be&#x017F;trafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg.         Tit. I. Von d.<lb/>
Strafen.</fw><lb/>
              <p> <hi rendition="#et">Die Kommi&#x017F;&#x017F;ion beruhigte &#x017F;ich bei          die&#x017F;er Erklärung.</hi> </p><lb/>
              <p>VI. Die gerechte Durchführung des neuen Sy&#x017F;tems der         Freiheits-<lb/>
&#x017F;trafen macht eine Reform des Gefängnißwe&#x017F;ens         nothwendig, welche<lb/>
namentlich in einzelnen Landestheilen große Ko&#x017F;ten         verur&#x017F;achen wird,<lb/>
aber nichtsde&#x017F;toweniger ganz unerläßlich         geworden i&#x017F;t. Schuldgefäng-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e,         Unter&#x017F;uchungs- und Strafgefängni&#x017F;&#x017F;e verlangen         ver&#x017F;chiedene Rück-<lb/>
&#x017F;ichten; unter den letzteren aber muß durchaus         die Scheidung des Zucht-<lb/>
hau&#x017F;es von dem einfachen         Gefängni&#x017F;&#x017F;e durchgeführt und von die&#x017F;em<lb/>
wieder das         Lokal für die Polizeihaft getrennt werden. Das &#x017F;ind An-<lb/>
forderungen von         großer prakti&#x017F;cher Bedeutung, denn &#x2014; wie früher         &#x017F;chon<lb/>
hervorgehoben worden, <note place="foot" n="t)"><hi rendition="#g">Protokolle des Staatsraths</hi>, Sitzung vom 21. Dec. 1839.</note> &#x2014; das Volk         &#x017F;chätzt die Härte der Freiheits&#x017F;trafe<lb/>
und namentlich das         Entehrende des Zuchthau&#x017F;es haupt&#x017F;ächlich nach der<lb/>
Räumlichkeit, wo         die Abbüßung &#x017F;tattfindet. Es i&#x017F;t eine einfache For-<lb/>
derung der         Gerechtigkeit, daß jedem &#x017F;eine Strafe zu Theil werde, nicht<lb/>
mehr, nicht         weniger; von den höheren An&#x017F;prüchen der Philanthropie i&#x017F;t<lb/>
hier         noch gar nicht die Rede. Darum kann aber auch die Einrichtung<lb/>
und         Beauf&#x017F;ichtigung des Gefängnißwe&#x017F;ens nicht der Verwaltung         über-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en werden, &#x017F;ondern muß, um für die dem         Erkenntniß ent&#x017F;prechende<lb/>
ge&#x017F;etzliche Voll&#x017F;treckung der         Freiheits&#x017F;trafen die erforderliche Garantie zu<lb/>
gewähren, an die         Ju&#x017F;tizbehörden übergehen. <note place="foot" n="u)"><hi rendition="#g">Revi&#x017F;ion</hi> a. a. O. I. S. 36-39. &#x2014; Verhandlungen          zwi&#x017F;chen dem Ju&#x017F;tiz-<lb/>
mini&#x017F;terium und dem          Mini&#x017F;terium des Innern &#x017F;ind über die&#x017F;en          Gegen&#x017F;tand &#x017F;chon &#x017F;eit<lb/>
Jahren gepflogen.</note>        </p><lb/>
              <p>In der Kommi&#x017F;&#x017F;ion der zweiten Kammer kam es namentlich         zur<lb/>
Sprache, wie es denn werden &#x017F;olle, wenn man &#x017F;ich etwa zur         Einfüh-<lb/>
rung des pen&#x017F;ylvani&#x017F;chen Sy&#x017F;tems         ent&#x017F;chließen werde. Der Kommi&#x017F;&#x017F;ar<lb/>
des         Ju&#x017F;tizmini&#x017F;ters bemerkte darauf: ein Ge&#x017F;etzentwurf über die         Einfüh-<lb/>
rung die&#x017F;es Sy&#x017F;tems &#x017F;ei früher ausgearbeitet         worden, doch habe man<lb/>
den&#x017F;elben zurückgelegt, weil gegen die         Angeme&#x017F;&#x017F;enheit der Neuerung<lb/>
eben&#x017F;o, wie in England,         Frankreich und Belgien, Bedenken ent&#x017F;tanden<lb/>
&#x017F;eien. Sollte man         &#x017F;ich einmal zur Annahme die&#x017F;es Sy&#x017F;tems         ent&#x017F;chließen,<lb/>
&#x017F;o würde das betreffende Ge&#x017F;etz die neue         Strafe zu den jetzt angenom-<lb/>
menen Strafarten in das richtige Verhältniß zu bringen         haben. &#x2014; Die<lb/>
Kommi&#x017F;&#x017F;ion begnügte &#x017F;ich nach         die&#x017F;er Mittheilung damit, die ausdrück-<lb/>
liche Erklärung im Protokoll         niederzulegen: daß &#x017F;ie bei der vorliegenden<lb/>
Berathung von der         Voraus&#x017F;etzung ausgegangen, daß die Freiheits&#x017F;trafen<lb/><hi rendition="#g">nicht</hi> in Gefängni&#x017F;&#x017F;en nach dem         pen&#x017F;ylvani&#x017F;chen Sy&#x017F;teme voll&#x017F;treckt<lb/>
würden.          <note place="foot" n="v)"><hi rendition="#g">Protokolle der           Kommi&#x017F;&#x017F;ion der zweiten Kammer</hi> a. a. O.</note> Sie wollte damit         kein Urtheil über die&#x017F;es Sy&#x017F;tem aus&#x017F;pre-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0100] Th. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d. Strafen. Die Kommiſſion beruhigte ſich bei dieſer Erklärung. VI. Die gerechte Durchführung des neuen Syſtems der Freiheits- ſtrafen macht eine Reform des Gefängnißweſens nothwendig, welche namentlich in einzelnen Landestheilen große Koſten verurſachen wird, aber nichtsdeſtoweniger ganz unerläßlich geworden iſt. Schuldgefäng- niſſe, Unterſuchungs- und Strafgefängniſſe verlangen verſchiedene Rück- ſichten; unter den letzteren aber muß durchaus die Scheidung des Zucht- hauſes von dem einfachen Gefängniſſe durchgeführt und von dieſem wieder das Lokal für die Polizeihaft getrennt werden. Das ſind An- forderungen von großer praktiſcher Bedeutung, denn — wie früher ſchon hervorgehoben worden, t) — das Volk ſchätzt die Härte der Freiheitsſtrafe und namentlich das Entehrende des Zuchthauſes hauptſächlich nach der Räumlichkeit, wo die Abbüßung ſtattfindet. Es iſt eine einfache For- derung der Gerechtigkeit, daß jedem ſeine Strafe zu Theil werde, nicht mehr, nicht weniger; von den höheren Anſprüchen der Philanthropie iſt hier noch gar nicht die Rede. Darum kann aber auch die Einrichtung und Beaufſichtigung des Gefängnißweſens nicht der Verwaltung über- laſſen werden, ſondern muß, um für die dem Erkenntniß entſprechende geſetzliche Vollſtreckung der Freiheitsſtrafen die erforderliche Garantie zu gewähren, an die Juſtizbehörden übergehen. u) In der Kommiſſion der zweiten Kammer kam es namentlich zur Sprache, wie es denn werden ſolle, wenn man ſich etwa zur Einfüh- rung des penſylvaniſchen Syſtems entſchließen werde. Der Kommiſſar des Juſtizminiſters bemerkte darauf: ein Geſetzentwurf über die Einfüh- rung dieſes Syſtems ſei früher ausgearbeitet worden, doch habe man denſelben zurückgelegt, weil gegen die Angemeſſenheit der Neuerung ebenſo, wie in England, Frankreich und Belgien, Bedenken entſtanden ſeien. Sollte man ſich einmal zur Annahme dieſes Syſtems entſchließen, ſo würde das betreffende Geſetz die neue Strafe zu den jetzt angenom- menen Strafarten in das richtige Verhältniß zu bringen haben. — Die Kommiſſion begnügte ſich nach dieſer Mittheilung damit, die ausdrück- liche Erklärung im Protokoll niederzulegen: daß ſie bei der vorliegenden Berathung von der Vorausſetzung ausgegangen, daß die Freiheitsſtrafen nicht in Gefängniſſen nach dem penſylvaniſchen Syſteme vollſtreckt würden. v) Sie wollte damit kein Urtheil über dieſes Syſtem ausſpre- t) Protokolle des Staatsraths, Sitzung vom 21. Dec. 1839. u) Reviſion a. a. O. I. S. 36-39. — Verhandlungen zwiſchen dem Juſtiz- miniſterium und dem Miniſterium des Innern ſind über dieſen Gegenſtand ſchon ſeit Jahren gepflogen. v) Protokolle der Kommiſſion der zweiten Kammer a. a. O.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/100
Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/100>, abgerufen am 23.11.2024.