Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Herzen für die Reue zu finden; Lieschen tröstete so gut sie es vermochte, und die Freundin, die den Zusammenhang der Sache in wenig Worten erfuhr, half mit. So ging die Stunde hin, wie alle Stunden hingehen, die langen wie die kurzen. Aber noch war Niemand zu hören und zu sehen. Es dauerte wohl noch eine Viertelstunde, da bellte Schnappauf. Gleich darauf vernahm man das Rasseln eines Wagens. -- Ach, es sind andere Leute! rief Fritz. -- Nein, erwiderte Gertrud, ich kenne das Geklapper, es ist unser Wagen, Heinrich hat anspannen lassen. -- In einiger Entfernung hielt der Wagen, man hörte den schweren Tritt eines Menschen. Es war Heinrich, mit Stangen und Stricken beladen. Stehn sie noch fest? rief er schon von weitem. Ja, aber macht nur! bat Lieschen. -- Geh zu den Pferden, Gertrud, rief Heinrich, daß der Knecht mit der Leiter kommen kann, der Hund wird dich führen; Schnappauf, allons! -- Der Hund lief mit Gertruden weg, immer voran; die Nase zur Erde gekehrt, wie ein Spürhund, der im Felde sucht, wußte er die sichern Stellen zu ermitteln, und bald langte der Knecht mit Brettern und Leitern an, das Befreiungswerk zu beginnen. Man machte den Anfang mit Fritz, vielleicht, weil er, als Mann, dem einfachen Sinn dieser Leute die wichtigste Person schien, vielleicht auch, weil seine Lage gefährlicher war und er tiefer darin steckte. Lieschen that keinen Einspruch, aber Mariechen versuchte durch Herzen für die Reue zu finden; Lieschen tröstete so gut sie es vermochte, und die Freundin, die den Zusammenhang der Sache in wenig Worten erfuhr, half mit. So ging die Stunde hin, wie alle Stunden hingehen, die langen wie die kurzen. Aber noch war Niemand zu hören und zu sehen. Es dauerte wohl noch eine Viertelstunde, da bellte Schnappauf. Gleich darauf vernahm man das Rasseln eines Wagens. — Ach, es sind andere Leute! rief Fritz. — Nein, erwiderte Gertrud, ich kenne das Geklapper, es ist unser Wagen, Heinrich hat anspannen lassen. — In einiger Entfernung hielt der Wagen, man hörte den schweren Tritt eines Menschen. Es war Heinrich, mit Stangen und Stricken beladen. Stehn sie noch fest? rief er schon von weitem. Ja, aber macht nur! bat Lieschen. — Geh zu den Pferden, Gertrud, rief Heinrich, daß der Knecht mit der Leiter kommen kann, der Hund wird dich führen; Schnappauf, allons! — Der Hund lief mit Gertruden weg, immer voran; die Nase zur Erde gekehrt, wie ein Spürhund, der im Felde sucht, wußte er die sichern Stellen zu ermitteln, und bald langte der Knecht mit Brettern und Leitern an, das Befreiungswerk zu beginnen. Man machte den Anfang mit Fritz, vielleicht, weil er, als Mann, dem einfachen Sinn dieser Leute die wichtigste Person schien, vielleicht auch, weil seine Lage gefährlicher war und er tiefer darin steckte. Lieschen that keinen Einspruch, aber Mariechen versuchte durch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0083"/> Herzen für die Reue zu finden; Lieschen tröstete so gut sie es vermochte, und die Freundin, die den Zusammenhang der Sache in wenig Worten erfuhr, half mit. So ging die Stunde hin, wie alle Stunden hingehen, die langen wie die kurzen. Aber noch war Niemand zu hören und zu sehen. Es dauerte wohl noch eine Viertelstunde, da bellte Schnappauf. Gleich darauf vernahm man das Rasseln eines Wagens. — Ach, es sind andere Leute! rief Fritz. — Nein, erwiderte Gertrud, ich kenne das Geklapper, es ist unser Wagen, Heinrich hat anspannen lassen. — In einiger Entfernung hielt der Wagen, man hörte den schweren Tritt eines Menschen. Es war Heinrich, mit Stangen und Stricken beladen. Stehn sie noch fest? rief er schon von weitem. Ja, aber macht nur! bat Lieschen. — Geh zu den Pferden, Gertrud, rief Heinrich, daß der Knecht mit der Leiter kommen kann, der Hund wird dich führen; Schnappauf, allons! — Der Hund lief mit Gertruden weg, immer voran; die Nase zur Erde gekehrt, wie ein Spürhund, der im Felde sucht, wußte er die sichern Stellen zu ermitteln, und bald langte der Knecht mit Brettern und Leitern an, das Befreiungswerk zu beginnen.</p><lb/> <p>Man machte den Anfang mit Fritz, vielleicht, weil er, als Mann, dem einfachen Sinn dieser Leute die wichtigste Person schien, vielleicht auch, weil seine Lage gefährlicher war und er tiefer darin steckte. Lieschen that keinen Einspruch, aber Mariechen versuchte durch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0083]
Herzen für die Reue zu finden; Lieschen tröstete so gut sie es vermochte, und die Freundin, die den Zusammenhang der Sache in wenig Worten erfuhr, half mit. So ging die Stunde hin, wie alle Stunden hingehen, die langen wie die kurzen. Aber noch war Niemand zu hören und zu sehen. Es dauerte wohl noch eine Viertelstunde, da bellte Schnappauf. Gleich darauf vernahm man das Rasseln eines Wagens. — Ach, es sind andere Leute! rief Fritz. — Nein, erwiderte Gertrud, ich kenne das Geklapper, es ist unser Wagen, Heinrich hat anspannen lassen. — In einiger Entfernung hielt der Wagen, man hörte den schweren Tritt eines Menschen. Es war Heinrich, mit Stangen und Stricken beladen. Stehn sie noch fest? rief er schon von weitem. Ja, aber macht nur! bat Lieschen. — Geh zu den Pferden, Gertrud, rief Heinrich, daß der Knecht mit der Leiter kommen kann, der Hund wird dich führen; Schnappauf, allons! — Der Hund lief mit Gertruden weg, immer voran; die Nase zur Erde gekehrt, wie ein Spürhund, der im Felde sucht, wußte er die sichern Stellen zu ermitteln, und bald langte der Knecht mit Brettern und Leitern an, das Befreiungswerk zu beginnen.
Man machte den Anfang mit Fritz, vielleicht, weil er, als Mann, dem einfachen Sinn dieser Leute die wichtigste Person schien, vielleicht auch, weil seine Lage gefährlicher war und er tiefer darin steckte. Lieschen that keinen Einspruch, aber Mariechen versuchte durch
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Zitationshilfe: | Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/83>, abgerufen am 19.07.2024. |