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Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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von der Welt stand neben dem Loche im Zaun ein großer Birnbaum, dessen kleine gelbe Birnen eben zu reifen begannen. Die Spitzbuben, rief der Bauer, da haben sie Birnen stehlen wollen! Ja, ja, es sind die ersten, und wenn sie die zu Markte gebracht hätten, sie würden einen hübschen Pfennig Geld dafür gekriegt haben. Ist da nicht am Zaun gearbeitet und gerissen -- und aller Thymian und die große blaue Levkoje zertreten -- einer ist schon drin gewesen, der andere hat ihm herübergeholfen, da sind die Nesseln vorm Zaun ganz zerstampft, und hier im nassen Graben steht noch ein Fuß. Die Halunken! Morgen muß der Zaun wieder gemacht werden, heute Nacht kommen sie wohl nicht wieder. Er ging zurück. Höre, Mädchen, sagte er zu Lieschen, die noch im Fenster lag, daß du mir den Schlüssel nicht wieder in der Thür stecken läßt! -- Ei, Vater, erwiderte sie, das ist grade am sichersten, wenn der Riegel vor ist, so kann ja Niemand einen falschen Schlüssel von außen probiren. -- War denn der Schlüssel umgedreht? fragte der Vater rasch. -- Lieschen glaubte einen Anflug von List in dem Ton zu bemerken, mit dem er die verfängliche Frage that, und antwortete schnell: Ich weiß nicht, ob ich die Thüre zuletzt zugemacht habe, oder ob seitdem noch Jemand im Garten war; als ich Glock' neun schlafen ging, habe ich ihn umgedreht und den Riegel vorgeschoben. -- Nun, vielleicht war er umgedreht, erwiderte der Vater hastig. Sie sagte gute Nacht und machte das Fenster

von der Welt stand neben dem Loche im Zaun ein großer Birnbaum, dessen kleine gelbe Birnen eben zu reifen begannen. Die Spitzbuben, rief der Bauer, da haben sie Birnen stehlen wollen! Ja, ja, es sind die ersten, und wenn sie die zu Markte gebracht hätten, sie würden einen hübschen Pfennig Geld dafür gekriegt haben. Ist da nicht am Zaun gearbeitet und gerissen — und aller Thymian und die große blaue Levkoje zertreten — einer ist schon drin gewesen, der andere hat ihm herübergeholfen, da sind die Nesseln vorm Zaun ganz zerstampft, und hier im nassen Graben steht noch ein Fuß. Die Halunken! Morgen muß der Zaun wieder gemacht werden, heute Nacht kommen sie wohl nicht wieder. Er ging zurück. Höre, Mädchen, sagte er zu Lieschen, die noch im Fenster lag, daß du mir den Schlüssel nicht wieder in der Thür stecken läßt! — Ei, Vater, erwiderte sie, das ist grade am sichersten, wenn der Riegel vor ist, so kann ja Niemand einen falschen Schlüssel von außen probiren. — War denn der Schlüssel umgedreht? fragte der Vater rasch. — Lieschen glaubte einen Anflug von List in dem Ton zu bemerken, mit dem er die verfängliche Frage that, und antwortete schnell: Ich weiß nicht, ob ich die Thüre zuletzt zugemacht habe, oder ob seitdem noch Jemand im Garten war; als ich Glock' neun schlafen ging, habe ich ihn umgedreht und den Riegel vorgeschoben. — Nun, vielleicht war er umgedreht, erwiderte der Vater hastig. Sie sagte gute Nacht und machte das Fenster

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[0048] von der Welt stand neben dem Loche im Zaun ein großer Birnbaum, dessen kleine gelbe Birnen eben zu reifen begannen. Die Spitzbuben, rief der Bauer, da haben sie Birnen stehlen wollen! Ja, ja, es sind die ersten, und wenn sie die zu Markte gebracht hätten, sie würden einen hübschen Pfennig Geld dafür gekriegt haben. Ist da nicht am Zaun gearbeitet und gerissen — und aller Thymian und die große blaue Levkoje zertreten — einer ist schon drin gewesen, der andere hat ihm herübergeholfen, da sind die Nesseln vorm Zaun ganz zerstampft, und hier im nassen Graben steht noch ein Fuß. Die Halunken! Morgen muß der Zaun wieder gemacht werden, heute Nacht kommen sie wohl nicht wieder. Er ging zurück. Höre, Mädchen, sagte er zu Lieschen, die noch im Fenster lag, daß du mir den Schlüssel nicht wieder in der Thür stecken läßt! — Ei, Vater, erwiderte sie, das ist grade am sichersten, wenn der Riegel vor ist, so kann ja Niemand einen falschen Schlüssel von außen probiren. — War denn der Schlüssel umgedreht? fragte der Vater rasch. — Lieschen glaubte einen Anflug von List in dem Ton zu bemerken, mit dem er die verfängliche Frage that, und antwortete schnell: Ich weiß nicht, ob ich die Thüre zuletzt zugemacht habe, oder ob seitdem noch Jemand im Garten war; als ich Glock' neun schlafen ging, habe ich ihn umgedreht und den Riegel vorgeschoben. — Nun, vielleicht war er umgedreht, erwiderte der Vater hastig. Sie sagte gute Nacht und machte das Fenster

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt, c/o Prof. Dr. Thomas Weitin, TU Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-10T13:46:34Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget: conversion of OCR output to TEI-conformant markup and general correction. (2017-03-10T13:46:34Z)
Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-10T13:46:34Z)

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Zitationshilfe: Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/48>, abgerufen am 20.04.2024.