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Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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eine große Buche und sah ihnen nach. Die Sonne war untergegangen, ein Schwarm Krähen, der in dem Waldstreif nistete, fuhr von dem erkorenen Platze auf, durch irgend etwas geschreckt, und umkreiste sein Gebiet, als halte er Musterung über dasselbe für die Nacht. Seine Flügel dunkelten im Abendroth, unter den fernen Bäumen ward es finster. Ich muß doch nach Hause! sagte Lieschen; wer weiß auch, ob er mit den Andern auf der Wiese gearbeitet hat! Sie nahm ihre Hacke und ging. Da hörte sie ein bekanntes Lied; es kam um die Ecke des Waldes, es war Fritz. Sie dankte Gott, sie sprang hinter einen dicken Baum, sah überall umher -- Niemand weiter war zu erblicken. O, dachte sie, wenn nur nicht noch Jemand kömmt, eh Fritz vorbei ist! -- Ach ja! der Jäger mit seiner Flinte schlich in der Ferne unter den Bäumen; darum fuhren die Krähen auf, aber sie selbst fuhr zusammen, denn eben fiel ein Schuß, und mit lautem, empörtem Gekrächz flogen die Raben wieder auf und weckten die Vögel des Waldes aus ihrem ersten Schlaf. Fritz hatte zu pfeifen aufgehört, er war stehen geblieben, jetzt kam er schneller heran; kaum war er noch dreißig Schritte entfernt; aber welch Glück! der Jäger, der ihm entgegengelaufen, stand plötzlich still, bückte sich, hob eine gefallene Taube vom Boden, betrachtete sie einen Augenblick und kehrte, dann in kurzen Sprüngen zum Dorf zurück. Fritz gab es auf, ihn einzuholen, er ging langsam an dem Baum vorbei, ohne Lieschen zu bemerken. Leicht wie ein Reh

eine große Buche und sah ihnen nach. Die Sonne war untergegangen, ein Schwarm Krähen, der in dem Waldstreif nistete, fuhr von dem erkorenen Platze auf, durch irgend etwas geschreckt, und umkreiste sein Gebiet, als halte er Musterung über dasselbe für die Nacht. Seine Flügel dunkelten im Abendroth, unter den fernen Bäumen ward es finster. Ich muß doch nach Hause! sagte Lieschen; wer weiß auch, ob er mit den Andern auf der Wiese gearbeitet hat! Sie nahm ihre Hacke und ging. Da hörte sie ein bekanntes Lied; es kam um die Ecke des Waldes, es war Fritz. Sie dankte Gott, sie sprang hinter einen dicken Baum, sah überall umher — Niemand weiter war zu erblicken. O, dachte sie, wenn nur nicht noch Jemand kömmt, eh Fritz vorbei ist! — Ach ja! der Jäger mit seiner Flinte schlich in der Ferne unter den Bäumen; darum fuhren die Krähen auf, aber sie selbst fuhr zusammen, denn eben fiel ein Schuß, und mit lautem, empörtem Gekrächz flogen die Raben wieder auf und weckten die Vögel des Waldes aus ihrem ersten Schlaf. Fritz hatte zu pfeifen aufgehört, er war stehen geblieben, jetzt kam er schneller heran; kaum war er noch dreißig Schritte entfernt; aber welch Glück! der Jäger, der ihm entgegengelaufen, stand plötzlich still, bückte sich, hob eine gefallene Taube vom Boden, betrachtete sie einen Augenblick und kehrte, dann in kurzen Sprüngen zum Dorf zurück. Fritz gab es auf, ihn einzuholen, er ging langsam an dem Baum vorbei, ohne Lieschen zu bemerken. Leicht wie ein Reh

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eine große Buche und sah ihnen nach. Die Sonne war untergegangen, ein Schwarm Krähen, der in dem Waldstreif nistete, fuhr von dem erkorenen Platze auf, durch irgend etwas geschreckt, und umkreiste sein Gebiet, als halte er Musterung über dasselbe für die Nacht. Seine Flügel dunkelten im Abendroth, unter den fernen Bäumen ward es finster. Ich muß doch nach Hause! sagte Lieschen; wer weiß auch, ob er mit den Andern auf der Wiese gearbeitet hat! Sie nahm ihre Hacke und ging. Da hörte sie ein bekanntes Lied; es kam um die Ecke des Waldes, es war Fritz. Sie dankte Gott, sie sprang hinter einen dicken Baum, sah überall umher &#x2014; Niemand weiter war zu erblicken. O, dachte sie, wenn nur nicht noch Jemand kömmt, eh Fritz vorbei ist! &#x2014; Ach ja! der Jäger mit seiner Flinte schlich in der Ferne unter den Bäumen; darum fuhren die Krähen auf, aber sie selbst fuhr zusammen, denn eben fiel ein Schuß, und mit lautem, empörtem Gekrächz flogen die Raben wieder auf und weckten die Vögel des Waldes aus ihrem ersten Schlaf. Fritz hatte zu pfeifen aufgehört, er war stehen geblieben, jetzt kam er schneller heran; kaum war er noch dreißig Schritte entfernt; aber welch Glück! der Jäger, der ihm entgegengelaufen, stand plötzlich still, bückte sich, hob eine gefallene Taube vom Boden, betrachtete sie einen Augenblick und kehrte, dann in kurzen Sprüngen zum Dorf zurück. Fritz gab es auf, ihn einzuholen, er ging langsam an dem Baum vorbei, ohne Lieschen zu bemerken. Leicht wie ein Reh<lb/></p>
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[0029] eine große Buche und sah ihnen nach. Die Sonne war untergegangen, ein Schwarm Krähen, der in dem Waldstreif nistete, fuhr von dem erkorenen Platze auf, durch irgend etwas geschreckt, und umkreiste sein Gebiet, als halte er Musterung über dasselbe für die Nacht. Seine Flügel dunkelten im Abendroth, unter den fernen Bäumen ward es finster. Ich muß doch nach Hause! sagte Lieschen; wer weiß auch, ob er mit den Andern auf der Wiese gearbeitet hat! Sie nahm ihre Hacke und ging. Da hörte sie ein bekanntes Lied; es kam um die Ecke des Waldes, es war Fritz. Sie dankte Gott, sie sprang hinter einen dicken Baum, sah überall umher — Niemand weiter war zu erblicken. O, dachte sie, wenn nur nicht noch Jemand kömmt, eh Fritz vorbei ist! — Ach ja! der Jäger mit seiner Flinte schlich in der Ferne unter den Bäumen; darum fuhren die Krähen auf, aber sie selbst fuhr zusammen, denn eben fiel ein Schuß, und mit lautem, empörtem Gekrächz flogen die Raben wieder auf und weckten die Vögel des Waldes aus ihrem ersten Schlaf. Fritz hatte zu pfeifen aufgehört, er war stehen geblieben, jetzt kam er schneller heran; kaum war er noch dreißig Schritte entfernt; aber welch Glück! der Jäger, der ihm entgegengelaufen, stand plötzlich still, bückte sich, hob eine gefallene Taube vom Boden, betrachtete sie einen Augenblick und kehrte, dann in kurzen Sprüngen zum Dorf zurück. Fritz gab es auf, ihn einzuholen, er ging langsam an dem Baum vorbei, ohne Lieschen zu bemerken. Leicht wie ein Reh

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt, c/o Prof. Dr. Thomas Weitin, TU Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-10T13:46:34Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget: conversion of OCR output to TEI-conformant markup and general correction. (2017-03-10T13:46:34Z)
Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-10T13:46:34Z)

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Zitationshilfe: Berthold, Franz [d. i. Adelheid Reinbold]: Irrwisch-Fritze. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [1]–115. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berthold_irrwischfritze_1910/29>, abgerufen am 23.11.2024.