hingekommen wäre. Jch erkundigte mich bey seinen armen Anverwandten, die er zum Theil in Merseburg, zum Theil in Dreßden hatte, aber es wolte niemand etwas von ihm wissen. Dieß bekümmerte, und ängstete mich nicht wenig. Denn ich meynte, wenn er auch schon bey einem andern Herrn wäre, so könte ich doch noch im- mer vor sein Wohlseyn sorgen, und Barmher- tzigkeit an ihm thun, um die sein erster Herr bey- nahe mit Thränen bey mir Ansuchung gethan hatte, daferne ich nur wüste, bey wem er sich aufhielte. Jch war weicher Natur, wie die zu seyn pflegen, die eine Vermischung vom Temperamento Sanguineo und Melancholico haben. Auch GOttes Zorn, und Güte, so ich An. 1695. bey der damahligen Gewissens- Angst geschmecket, hatte mir ein weiches, und zermalmetes Hertze gemacht, daß ich unmöglich des Nächsten Unglück, vielweniger dieses jungen Menschen und Knabens Sterben ohne große Bewegung ansehen kunte. Jch dachte an sein Weinen und Heulen bey dem Wegzuge seines Herrn, und an die Vorbitte, so sein Herr vor ihn bey mir gethan, da er gleichsam gesprochen: Verwahre diesen Mann, denn wo man sein wird missen, so soll deine Seele an statt seiner Seele seyn. Jch dachte auch an die excessive-epanorthotische Straff-Predigt, die
ich
thut denſelben von ſich;
hingekommen waͤre. Jch erkundigte mich bey ſeinen armen Anverwandten, die er zum Theil in Merſeburg, zum Theil in Dreßden hatte, aber es wolte niemand etwas von ihm wiſſen. Dieß bekuͤmmerte, und aͤngſtete mich nicht wenig. Denn ich meynte, wenn er auch ſchon bey einem andern Herrn waͤre, ſo koͤnte ich doch noch im- mer vor ſein Wohlſeyn ſorgen, und Barmher- tzigkeit an ihm thun, um die ſein erſter Herr bey- nahe mit Thraͤnen bey mir Anſuchung gethan hatte, daferne ich nur wuͤſte, bey wem er ſich aufhielte. Jch war weicher Natur, wie die zu ſeyn pflegen, die eine Vermiſchung vom Temperamento Sanguineo und Melancholico haben. Auch GOttes Zorn, und Guͤte, ſo ich An. 1695. bey der damahligen Gewiſſens- Angſt geſchmecket, hatte mir ein weiches, und zermalmetes Hertze gemacht, daß ich unmoͤglich des Naͤchſten Ungluͤck, vielweniger dieſes jungen Menſchen und Knabens Sterben ohne große Bewegung anſehen kunte. Jch dachte an ſein Weinen und Heulen bey dem Wegzuge ſeines Herrn, und an die Vorbitte, ſo ſein Herr vor ihn bey mir gethan, da er gleichſam geſprochen: Verwahre dieſen Mann, denn wo man ſein wird miſſen, ſo ſoll deine Seele an ſtatt ſeiner Seele ſeyn. Jch dachte auch an die exceſſive-epanorthotiſche Straff-Predigt, die
ich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0244"n="198"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">thut denſelben von ſich;</hi></fw><lb/>
hingekommen waͤre. Jch erkundigte mich bey<lb/>ſeinen armen Anverwandten, die er zum Theil<lb/>
in Merſeburg, zum Theil in Dreßden hatte,<lb/>
aber es wolte niemand etwas von ihm wiſſen.<lb/>
Dieß bekuͤmmerte, und aͤngſtete mich nicht wenig.<lb/>
Denn ich meynte, wenn er auch ſchon bey einem<lb/>
andern Herrn waͤre, ſo koͤnte ich doch noch im-<lb/>
mer vor ſein Wohlſeyn ſorgen, und Barmher-<lb/>
tzigkeit an ihm thun, um die ſein erſter Herr bey-<lb/>
nahe mit Thraͤnen bey mir Anſuchung gethan<lb/>
hatte, daferne ich nur wuͤſte, bey wem er ſich<lb/>
aufhielte. Jch war weicher Natur, wie die<lb/>
zu ſeyn pflegen, die eine Vermiſchung vom<lb/><hirendition="#aq">Temperamento Sanguineo</hi> und <hirendition="#aq">Melancholico</hi><lb/>
haben. Auch GOttes Zorn, und Guͤte, ſo<lb/>
ich <hirendition="#aq">An.</hi> 1695. bey der damahligen Gewiſſens-<lb/>
Angſt geſchmecket, hatte mir ein weiches, und<lb/>
zermalmetes Hertze gemacht, daß ich unmoͤglich<lb/>
des Naͤchſten Ungluͤck, vielweniger dieſes jungen<lb/>
Menſchen und Knabens Sterben ohne große<lb/>
Bewegung anſehen kunte. Jch dachte an ſein<lb/>
Weinen und Heulen bey dem Wegzuge ſeines<lb/>
Herrn, und an die Vorbitte, ſo ſein Herr vor ihn<lb/>
bey mir gethan, da er gleichſam geſprochen:<lb/><hirendition="#fr">Verwahre dieſen Mann, denn wo man<lb/>ſein wird miſſen, ſo ſoll deine Seele an ſtatt<lb/>ſeiner Seele ſeyn.</hi> Jch dachte auch an die<lb/><hirendition="#aq">exceſſiv</hi>e-<hirendition="#aq">epanorthoti</hi>ſche Straff-Predigt, die<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ich</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[198/0244]
thut denſelben von ſich;
hingekommen waͤre. Jch erkundigte mich bey
ſeinen armen Anverwandten, die er zum Theil
in Merſeburg, zum Theil in Dreßden hatte,
aber es wolte niemand etwas von ihm wiſſen.
Dieß bekuͤmmerte, und aͤngſtete mich nicht wenig.
Denn ich meynte, wenn er auch ſchon bey einem
andern Herrn waͤre, ſo koͤnte ich doch noch im-
mer vor ſein Wohlſeyn ſorgen, und Barmher-
tzigkeit an ihm thun, um die ſein erſter Herr bey-
nahe mit Thraͤnen bey mir Anſuchung gethan
hatte, daferne ich nur wuͤſte, bey wem er ſich
aufhielte. Jch war weicher Natur, wie die
zu ſeyn pflegen, die eine Vermiſchung vom
Temperamento Sanguineo und Melancholico
haben. Auch GOttes Zorn, und Guͤte, ſo
ich An. 1695. bey der damahligen Gewiſſens-
Angſt geſchmecket, hatte mir ein weiches, und
zermalmetes Hertze gemacht, daß ich unmoͤglich
des Naͤchſten Ungluͤck, vielweniger dieſes jungen
Menſchen und Knabens Sterben ohne große
Bewegung anſehen kunte. Jch dachte an ſein
Weinen und Heulen bey dem Wegzuge ſeines
Herrn, und an die Vorbitte, ſo ſein Herr vor ihn
bey mir gethan, da er gleichſam geſprochen:
Verwahre dieſen Mann, denn wo man
ſein wird miſſen, ſo ſoll deine Seele an ſtatt
ſeiner Seele ſeyn. Jch dachte auch an die
exceſſive-epanorthotiſche Straff-Predigt, die
ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/244>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.