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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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Punkt im Sinne des Lichtheim'schen Schema's zu prüfen.
Das Ergebniss dürfte, wie es auch ausfallen mag, nicht
sowohl die klinische Stellung der Dyslexie präcisiren, als
auch zur Controle der practischen Brauchbarkeit der gang-
baren Sprachbahnschemata dienen.

Den Schematen, sowohl dem von Kussmaul, dem
Lichtheim'schen als dem Grashey'schen nach, würde
also die Dyslexie eine Leitungsstörung darstellen. Mit
dieser Auffassung soll aber der anatomischen Locali-
sation der zu Grunde liegenden Läsion in keiner Weise
präjudicirt werden.

Der oben hervorgehobene Umstand, dass die mit
der Dyslexie gleichzeitig aufgetretenen Lähmungs- oder
Reizungssymptome: Facialiszuckungen, Ringfingergefühl,
Unsicherheit der rechten oberen Extremität, Hemianopsie,
jedesmal rechtsseitige waren, wies schon von vornherein
darauf hin, dass der Heerd für die dyslectische Störung
in der linken Gehirnhälfte liegen werde. Diese Voraus-
setzung findet in den 4 zur Section gekommenen Fällen
ihre Bestätigung, insofern, als die linke Hemisphäre
ausnahmslos der Sitz ausgesprochener pathologisch-ana-
tomischer Veränderungen war. Dieselben zeigten aller-
dings sehr verschiedene Formen und Grade und nicht
immer waren sie auf die linke Seite beschränkt.

In dem ersten Sectionsfalle (Beobachtung 3) fand sich
in der Gehirnsubstanz selbst keine Veränderung, weder
in der Rindenschicht, noch im Marklager, noch in den
grossen Ganglien, dagegen erwies sich die linke Arteria
fossae Sylvii, und zwar die linke allein, bis in sämmtliche
mit blossem Auge erkennbaren Verzweigungen hochgradig
atheromatös. Dieser Befund ist wohl geeignet, die
während des Lebens beobachteten vorübergehenden Ge-
hirnerscheinungen, die Hemianopsie, Paraphasie, Dyslexie
und die Schwäche des rechten Armes zu erklären. Es
steht der Annahme nichts entgegen, dass den vorüber-

Punkt im Sinne des Lichtheim’schen Schema’s zu prüfen.
Das Ergebniss dürfte, wie es auch ausfallen mag, nicht
sowohl die klinische Stellung der Dyslexie präcisiren, als
auch zur Controle der practischen Brauchbarkeit der gang-
baren Sprachbahnschemata dienen.

Den Schematen, sowohl dem von Kussmaul, dem
Lichtheim’schen als dem Grashey’schen nach, würde
also die Dyslexie eine Leitungsstörung darstellen. Mit
dieser Auffassung soll aber der anatomischen Locali-
sation der zu Grunde liegenden Läsion in keiner Weise
präjudicirt werden.

Der oben hervorgehobene Umstand, dass die mit
der Dyslexie gleichzeitig aufgetretenen Lähmungs- oder
Reizungssymptome: Facialiszuckungen, Ringfingergefühl,
Unsicherheit der rechten oberen Extremität, Hemianopsie,
jedesmal rechtsseitige waren, wies schon von vornherein
darauf hin, dass der Heerd für die dyslectische Störung
in der linken Gehirnhälfte liegen werde. Diese Voraus-
setzung findet in den 4 zur Section gekommenen Fällen
ihre Bestätigung, insofern, als die linke Hemisphäre
ausnahmslos der Sitz ausgesprochener pathologisch-ana-
tomischer Veränderungen war. Dieselben zeigten aller-
dings sehr verschiedene Formen und Grade und nicht
immer waren sie auf die linke Seite beschränkt.

In dem ersten Sectionsfalle (Beobachtung 3) fand sich
in der Gehirnsubstanz selbst keine Veränderung, weder
in der Rindenschicht, noch im Marklager, noch in den
grossen Ganglien, dagegen erwies sich die linke Arteria
fossae Sylvii, und zwar die linke allein, bis in sämmtliche
mit blossem Auge erkennbaren Verzweigungen hochgradig
atheromatös. Dieser Befund ist wohl geeignet, die
während des Lebens beobachteten vorübergehenden Ge-
hirnerscheinungen, die Hemianopsie, Paraphasie, Dyslexie
und die Schwäche des rechten Armes zu erklären. Es
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[39/0043] Punkt im Sinne des Lichtheim’schen Schema’s zu prüfen. Das Ergebniss dürfte, wie es auch ausfallen mag, nicht sowohl die klinische Stellung der Dyslexie präcisiren, als auch zur Controle der practischen Brauchbarkeit der gang- baren Sprachbahnschemata dienen. Den Schematen, sowohl dem von Kussmaul, dem Lichtheim’schen als dem Grashey’schen nach, würde also die Dyslexie eine Leitungsstörung darstellen. Mit dieser Auffassung soll aber der anatomischen Locali- sation der zu Grunde liegenden Läsion in keiner Weise präjudicirt werden. Der oben hervorgehobene Umstand, dass die mit der Dyslexie gleichzeitig aufgetretenen Lähmungs- oder Reizungssymptome: Facialiszuckungen, Ringfingergefühl, Unsicherheit der rechten oberen Extremität, Hemianopsie, jedesmal rechtsseitige waren, wies schon von vornherein darauf hin, dass der Heerd für die dyslectische Störung in der linken Gehirnhälfte liegen werde. Diese Voraus- setzung findet in den 4 zur Section gekommenen Fällen ihre Bestätigung, insofern, als die linke Hemisphäre ausnahmslos der Sitz ausgesprochener pathologisch-ana- tomischer Veränderungen war. Dieselben zeigten aller- dings sehr verschiedene Formen und Grade und nicht immer waren sie auf die linke Seite beschränkt. In dem ersten Sectionsfalle (Beobachtung 3) fand sich in der Gehirnsubstanz selbst keine Veränderung, weder in der Rindenschicht, noch im Marklager, noch in den grossen Ganglien, dagegen erwies sich die linke Arteria fossae Sylvii, und zwar die linke allein, bis in sämmtliche mit blossem Auge erkennbaren Verzweigungen hochgradig atheromatös. Dieser Befund ist wohl geeignet, die während des Lebens beobachteten vorübergehenden Ge- hirnerscheinungen, die Hemianopsie, Paraphasie, Dyslexie und die Schwäche des rechten Armes zu erklären. Es steht der Annahme nichts entgegen, dass den vorüber-

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/43>, abgerufen am 29.03.2024.