eigentlich wenige mehr. Nur in den schwach bevölkerten und stark bewaldeten großen Hochalpenkantonen Graubünden und Wallis trifft man sie noch an, und auch hier nur in den Territorien der¬ jenigen Gemeinden, welche Holzüberfluß haben, oder deren Wälder zum Theil so tief, versteckt und unzugänglich im Gebirge liegen, daß die Transportkosten des Herausschaffens beim Abholzen den üblichen Marktwerth des Holzes aufzehren würden. Dies ist na¬ mentlich der Fall in den umfangreichen uralten Waldungen Unter¬ engadins: im Val Sampuoir (der Gemeinde Schleins), im Scher¬ genthal unterm Piz Mondin, im Lischana-Tobel am Piz St. Jon, in mehren Seitenpartieen des Scarlthales, im Val Zeznina, in der Waldung Sursa salm des Uinna-Thales, und ganz besonders in dem großen Dubenwalde des Turtman-Thales im Wallis.
Bannwälder dagegen hat jedes Hochgebirgsdorf, das von jäh ansteigenden Thalwänden eingeschlossen und deshalb von Lauinen, Steinschlägen oder Erdrutschen bedroht ist. Der Bannwald ist eine durch die Umstände gebotene Vorsichtsmaßregel, nicht eine durch Holzüberfluß herbeigeführte Vernachlässigung des Forstbetrie¬ bes. Es giebt Gemeinden, die, in Folge schlechter Forstwirthschaft, entschiedenen Mangel an Brennmaterial haben, dasselbe kaufen, stundenweit aus anderen Gemeindewaldungen herbeifahren müssen, und dennoch nahe über ihren Häupten große Bannwaldungen stehen haben, die sie nicht abholzen dürfen. Ein Beispiel dieser Art giebt das Dorf Andermatt im Urserenthale mit dem darüber¬ liegenden St. Anna-Walde.
Der Bannwald hat die Aufgabe, durch die Summe seiner hochaufstehenden starken Baumstämme, das Losbrechen und Herab¬ rutschen der während des Winters sich anhäufenden Schneemassen, also die Bildung von Grundlauinen zu verhindern, nicht, wie man gewöhnlich glaubt, Lauinen, die bereits in Gang gekommen sind, wie ein Damm aufzuhalten. Gegen letztere würde ein sol¬ cher Wald nur wenig Jahre Widerstand leisten; in jedem Frühjahr
Der Bannwald.
eigentlich wenige mehr. Nur in den ſchwach bevölkerten und ſtark bewaldeten großen Hochalpenkantonen Graubünden und Wallis trifft man ſie noch an, und auch hier nur in den Territorien der¬ jenigen Gemeinden, welche Holzüberfluß haben, oder deren Wälder zum Theil ſo tief, verſteckt und unzugänglich im Gebirge liegen, daß die Transportkoſten des Herausſchaffens beim Abholzen den üblichen Marktwerth des Holzes aufzehren würden. Dies iſt na¬ mentlich der Fall in den umfangreichen uralten Waldungen Unter¬ engadins: im Val Sampuoir (der Gemeinde Schleins), im Scher¬ genthal unterm Piz Mondin, im Liſchana-Tobel am Piz St. Jon, in mehren Seitenpartieen des Scarlthales, im Val Zeznina, in der Waldung Surſa ſalm des Uinna-Thales, und ganz beſonders in dem großen Dubenwalde des Turtman-Thales im Wallis.
Bannwälder dagegen hat jedes Hochgebirgsdorf, das von jäh anſteigenden Thalwänden eingeſchloſſen und deshalb von Lauinen, Steinſchlägen oder Erdrutſchen bedroht iſt. Der Bannwald iſt eine durch die Umſtände gebotene Vorſichtsmaßregel, nicht eine durch Holzüberfluß herbeigeführte Vernachläſſigung des Forſtbetrie¬ bes. Es giebt Gemeinden, die, in Folge ſchlechter Forſtwirthſchaft, entſchiedenen Mangel an Brennmaterial haben, daſſelbe kaufen, ſtundenweit aus anderen Gemeindewaldungen herbeifahren müſſen, und dennoch nahe über ihren Häupten große Bannwaldungen ſtehen haben, die ſie nicht abholzen dürfen. Ein Beiſpiel dieſer Art giebt das Dorf Andermatt im Urſerenthale mit dem darüber¬ liegenden St. Anna-Walde.
Der Bannwald hat die Aufgabe, durch die Summe ſeiner hochaufſtehenden ſtarken Baumſtämme, das Losbrechen und Herab¬ rutſchen der während des Winters ſich anhäufenden Schneemaſſen, alſo die Bildung von Grundlauinen zu verhindern, nicht, wie man gewöhnlich glaubt, Lauinen, die bereits in Gang gekommen ſind, wie ein Damm aufzuhalten. Gegen letztere würde ein ſol¬ cher Wald nur wenig Jahre Widerſtand leiſten; in jedem Frühjahr
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Der Bannwald .
eigentlich wenige mehr. Nur in den ſchwach bevölkerten und ſtark
bewaldeten großen Hochalpenkantonen Graubünden und Wallis
trifft man ſie noch an, und auch hier nur in den Territorien der¬
jenigen Gemeinden, welche Holzüberfluß haben, oder deren Wälder
zum Theil ſo tief, verſteckt und unzugänglich im Gebirge liegen,
daß die Transportkoſten des Herausſchaffens beim Abholzen den
üblichen Marktwerth des Holzes aufzehren würden. Dies iſt na¬
mentlich der Fall in den umfangreichen uralten Waldungen Unter¬
engadins: im Val Sampuoir (der Gemeinde Schleins), im Scher¬
genthal unterm Piz Mondin, im Liſchana-Tobel am Piz St. Jon,
in mehren Seitenpartieen des Scarlthales, im Val Zeznina, in
der Waldung Surſa ſalm des Uinna-Thales, und ganz beſonders in
dem großen Dubenwalde des Turtman-Thales im Wallis.
Bannwälder dagegen hat jedes Hochgebirgsdorf, das von jäh
anſteigenden Thalwänden eingeſchloſſen und deshalb von Lauinen,
Steinſchlägen oder Erdrutſchen bedroht iſt. Der Bannwald iſt
eine durch die Umſtände gebotene Vorſichtsmaßregel, nicht eine
durch Holzüberfluß herbeigeführte Vernachläſſigung des Forſtbetrie¬
bes. Es giebt Gemeinden, die, in Folge ſchlechter Forſtwirthſchaft,
entſchiedenen Mangel an Brennmaterial haben, daſſelbe kaufen,
ſtundenweit aus anderen Gemeindewaldungen herbeifahren müſſen,
und dennoch nahe über ihren Häupten große Bannwaldungen
ſtehen haben, die ſie nicht abholzen dürfen. Ein Beiſpiel dieſer
Art giebt das Dorf Andermatt im Urſerenthale mit dem darüber¬
liegenden St. Anna-Walde.
Der Bannwald hat die Aufgabe, durch die Summe ſeiner
hochaufſtehenden ſtarken Baumſtämme, das Losbrechen und Herab¬
rutſchen der während des Winters ſich anhäufenden Schneemaſſen,
alſo die Bildung von Grundlauinen zu verhindern, nicht, wie
man gewöhnlich glaubt, Lauinen, die bereits in Gang gekommen
ſind, wie ein Damm aufzuhalten. Gegen letztere würde ein ſol¬
cher Wald nur wenig Jahre Widerſtand leiſten; in jedem Frühjahr
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/90>, abgerufen am 16.02.2025.
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