beben. -- Wo ein Bergsturz losbricht, da ist Alles, was im Be¬ reiche seiner zermalmenden Gewalt liegt, fast im gleichen Augen¬ blicke eine Beute des Todes, wo die Gefahr sich ankündet. -- Man denke sich jene stabilen Gebirgsmassen, welche seit Menschen¬ gedenken in todter, indifferenter Ruhe wie ein Naturbau für urewige Zeiten zu Häupten der Menschen thronten, plötzlich, wie von unsichtbarer Hand ihrer stützenden Unterlage beraubt, in Be¬ wegung -- schwankend -- sich lostrennend und mit Blitzesschnellig¬ keit auf das friedlich daliegende Thal niederstürmend.
Solch ein furchtbares Ereigniß zerstörte im Kanton Schwyz die Dörfer Goldau, Rötten, Busingen und Lowerz binnen wenig Minuten durch den Einsturz des nördlich über diesen Ortschaften liegenden Roßberges.
Die Jahre 1804 und 1805 waren sehr regnerisch gewesen und ihr Nachfolger 1806 fuhr unverdrossen fort, wässerige Niederschläge im Ueberfluß und in ungewöhnlicher Fülle auf das Alpenland nieder¬ zusenden. Ganz besonders zeichnete sich in dieser Beziehung der Hochsommer durch anhaltende Landregen aus, welche am Ende des Augustmonates und namentlich am ersten September in eigentliche Wolkenbrüche auszuarten drohten.
Es ist schon ein unliebsames Bild, welches nach vielwöchent¬ lichen Regengüssen die Landschaft einer ebenen Gegend in ihrem durchweichten, übersättigten Habitus darbietet. Aber es ist nicht zu vergleichen mit dem Aussehen einer Gebirgslandschaft am Ende einer solchen Witterungsperiode; aus jeder Schlucht, aus jedem Waldwinkel blickt Zerstörung hervor, überall rüttelts und nagts am Bestehenden. In eigenwillig ausgegrabenen Rinnen und Runsen schäumen und poltern die hoch angeschwellten, von allen Halden und Berghängen zusammenfließenden Wildwasser schmutzig und erdfahl hernieder. Alle Hohlwege sind tief ausgespült und die vom umgebenden Erdkitt entblößten, bunt gesprenkelten, hiero¬ glyphisch-marmorirten Rollsteine, welche sonst unbeachtet einfarbig im
Der Goldauer Bergſturz.
beben. — Wo ein Bergſturz losbricht, da iſt Alles, was im Be¬ reiche ſeiner zermalmenden Gewalt liegt, faſt im gleichen Augen¬ blicke eine Beute des Todes, wo die Gefahr ſich ankündet. — Man denke ſich jene ſtabilen Gebirgsmaſſen, welche ſeit Menſchen¬ gedenken in todter, indifferenter Ruhe wie ein Naturbau für urewige Zeiten zu Häupten der Menſchen thronten, plötzlich, wie von unſichtbarer Hand ihrer ſtützenden Unterlage beraubt, in Be¬ wegung — ſchwankend — ſich lostrennend und mit Blitzesſchnellig¬ keit auf das friedlich daliegende Thal niederſtürmend.
Solch ein furchtbares Ereigniß zerſtörte im Kanton Schwyz die Dörfer Goldau, Rötten, Buſingen und Lowerz binnen wenig Minuten durch den Einſturz des nördlich über dieſen Ortſchaften liegenden Roßberges.
Die Jahre 1804 und 1805 waren ſehr regneriſch geweſen und ihr Nachfolger 1806 fuhr unverdroſſen fort, wäſſerige Niederſchläge im Ueberfluß und in ungewöhnlicher Fülle auf das Alpenland nieder¬ zuſenden. Ganz beſonders zeichnete ſich in dieſer Beziehung der Hochſommer durch anhaltende Landregen aus, welche am Ende des Auguſtmonates und namentlich am erſten September in eigentliche Wolkenbrüche auszuarten drohten.
Es iſt ſchon ein unliebſames Bild, welches nach vielwöchent¬ lichen Regengüſſen die Landſchaft einer ebenen Gegend in ihrem durchweichten, überſättigten Habitus darbietet. Aber es iſt nicht zu vergleichen mit dem Ausſehen einer Gebirgslandſchaft am Ende einer ſolchen Witterungsperiode; aus jeder Schlucht, aus jedem Waldwinkel blickt Zerſtörung hervor, überall rüttelts und nagts am Beſtehenden. In eigenwillig ausgegrabenen Rinnen und Runſen ſchäumen und poltern die hoch angeſchwellten, von allen Halden und Berghängen zuſammenfließenden Wildwaſſer ſchmutzig und erdfahl hernieder. Alle Hohlwege ſind tief ausgeſpült und die vom umgebenden Erdkitt entblößten, bunt geſprenkelten, hiero¬ glyphiſch-marmorirten Rollſteine, welche ſonſt unbeachtet einfarbig im
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Der Goldauer Bergſturz.
beben. — Wo ein Bergſturz losbricht, da iſt Alles, was im Be¬
reiche ſeiner zermalmenden Gewalt liegt, faſt im gleichen Augen¬
blicke eine Beute des Todes, wo die Gefahr ſich ankündet. —
Man denke ſich jene ſtabilen Gebirgsmaſſen, welche ſeit Menſchen¬
gedenken in todter, indifferenter Ruhe wie ein Naturbau für
urewige Zeiten zu Häupten der Menſchen thronten, plötzlich, wie
von unſichtbarer Hand ihrer ſtützenden Unterlage beraubt, in Be¬
wegung — ſchwankend — ſich lostrennend und mit Blitzesſchnellig¬
keit auf das friedlich daliegende Thal niederſtürmend.
Solch ein furchtbares Ereigniß zerſtörte im Kanton Schwyz
die Dörfer Goldau, Rötten, Buſingen und Lowerz binnen wenig
Minuten durch den Einſturz des nördlich über dieſen Ortſchaften
liegenden Roßberges.
Die Jahre 1804 und 1805 waren ſehr regneriſch geweſen und
ihr Nachfolger 1806 fuhr unverdroſſen fort, wäſſerige Niederſchläge
im Ueberfluß und in ungewöhnlicher Fülle auf das Alpenland nieder¬
zuſenden. Ganz beſonders zeichnete ſich in dieſer Beziehung der
Hochſommer durch anhaltende Landregen aus, welche am Ende des
Auguſtmonates und namentlich am erſten September in eigentliche
Wolkenbrüche auszuarten drohten.
Es iſt ſchon ein unliebſames Bild, welches nach vielwöchent¬
lichen Regengüſſen die Landſchaft einer ebenen Gegend in ihrem
durchweichten, überſättigten Habitus darbietet. Aber es iſt nicht
zu vergleichen mit dem Ausſehen einer Gebirgslandſchaft am Ende
einer ſolchen Witterungsperiode; aus jeder Schlucht, aus jedem
Waldwinkel blickt Zerſtörung hervor, überall rüttelts und nagts
am Beſtehenden. In eigenwillig ausgegrabenen Rinnen und
Runſen ſchäumen und poltern die hoch angeſchwellten, von allen
Halden und Berghängen zuſammenfließenden Wildwaſſer ſchmutzig
und erdfahl hernieder. Alle Hohlwege ſind tief ausgeſpült und
die vom umgebenden Erdkitt entblößten, bunt geſprenkelten, hiero¬
glyphiſch-marmorirten Rollſteine, welche ſonſt unbeachtet einfarbig im
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/70>, abgerufen am 16.02.2025.
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