näle; -- dann wieder öffnet sich ein mehre Klaftern breiter, aus¬ gehöhlter Kessel, dessen Boden wie der eines Siebes durchlöchert ist. An anderen Stellen scheint in diesem Chaos wieder ein ge¬ wisses Formengesetz bei der Erosion gewaltet zu haben, denn die Trümmermassen gewinnen beinahe das Ansehen des Zellenbaues in den Honigtafeln der Bienenstöcke, weshalb der Hirt sie auch be¬ zeichnend "Steinwaben" nennt. Summa, es ist ein Urbild der schrecklichsten Zerstörung im Kleinen.
Dies Alles ist ein Resultat der Verwitterung, des unmerklichen aber erfolgreichen Ausschleifens durch Gletscher-, Schnee- und Re¬ genwasser, der ausdörrenden, sprödemachenden Sonnenhitze und der zerspaltenden, auseinander treibenden, absprengenden Kälte, der vollsten ununterbrochenen Einwirkung der Atmosphärilien auf den Gesteinskörper. Und weil gerade an diesem Kalk sich mehr als an jedem anderen die Verwitterung zeigt, und weil selbst die in dem¬ selben enthaltenen Muscheln nur fragmentarisch, zertrümmert vor¬ kommen, so haben die Geologen denselben vorzugsweise "Rudisten¬ kalk", oder nach den organischen Einschlüssen (Caprotina am¬ monia und gryphoides d'Orb.) auch "Caprotinenkalk" genannt. Außerdem führt er auch noch die volksthümliche Bezeichnung "Schrattenkalk", weil Schratten beim Aelpler so viel wie "Berg¬ risse und Spalten" bezeichnen, -- vielleicht durch Versetzung des "r" aus dem schrift-deutschen Worte "Scharte" (engl. Shard, Scherbe) entstanden. Weil endlich, an den kahlen, nackten Felsen¬ flächen, besonders im Kanton Unterwalden, die Rudisten auffal¬ lend hervortreten und sonderbare, ungewöhnliche Figuren auf dem Fond des Gesteines formiren, so nannte man dasselbe auch "Hie¬ roglyphenkalk".
Offenbar ist die Auflöslichkeit dieses Kalkes eine sehr ver¬ schiedene, wodurch die Zerfurchung entstanden ist. Da nun auf diesen morschen Felsenknochen, die im Sommer unerträgliche Hitze rückstrahlen, auch nicht ein Stäubchen fruchtbarer Erde haftet, --
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Karrenfelder.
näle; — dann wieder öffnet ſich ein mehre Klaftern breiter, aus¬ gehöhlter Keſſel, deſſen Boden wie der eines Siebes durchlöchert iſt. An anderen Stellen ſcheint in dieſem Chaos wieder ein ge¬ wiſſes Formengeſetz bei der Eroſion gewaltet zu haben, denn die Trümmermaſſen gewinnen beinahe das Anſehen des Zellenbaues in den Honigtafeln der Bienenſtöcke, weshalb der Hirt ſie auch be¬ zeichnend „Steinwaben“ nennt. Summa, es iſt ein Urbild der ſchrecklichſten Zerſtörung im Kleinen.
Dies Alles iſt ein Reſultat der Verwitterung, des unmerklichen aber erfolgreichen Ausſchleifens durch Gletſcher-, Schnee- und Re¬ genwaſſer, der ausdörrenden, ſprödemachenden Sonnenhitze und der zerſpaltenden, auseinander treibenden, abſprengenden Kälte, der vollſten ununterbrochenen Einwirkung der Atmoſphärilien auf den Geſteinskörper. Und weil gerade an dieſem Kalk ſich mehr als an jedem anderen die Verwitterung zeigt, und weil ſelbſt die in dem¬ ſelben enthaltenen Muſcheln nur fragmentariſch, zertrümmert vor¬ kommen, ſo haben die Geologen denſelben vorzugsweiſe „Rudiſten¬ kalk“, oder nach den organiſchen Einſchlüſſen (Caprotina am¬ monia und gryphoides d'Orb.) auch „Caprotinenkalk“ genannt. Außerdem führt er auch noch die volksthümliche Bezeichnung „Schrattenkalk“, weil Schratten beim Aelpler ſo viel wie „Berg¬ riſſe und Spalten“ bezeichnen, — vielleicht durch Verſetzung des „r“ aus dem ſchrift-deutſchen Worte „Scharte“ (engl. Shard, Scherbe) entſtanden. Weil endlich, an den kahlen, nackten Felſen¬ flächen, beſonders im Kanton Unterwalden, die Rudiſten auffal¬ lend hervortreten und ſonderbare, ungewöhnliche Figuren auf dem Fond des Geſteines formiren, ſo nannte man daſſelbe auch „Hie¬ roglyphenkalk“.
Offenbar iſt die Auflöslichkeit dieſes Kalkes eine ſehr ver¬ ſchiedene, wodurch die Zerfurchung entſtanden iſt. Da nun auf dieſen morſchen Felſenknochen, die im Sommer unerträgliche Hitze rückſtrahlen, auch nicht ein Stäubchen fruchtbarer Erde haftet, —
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Karrenfelder.
näle; — dann wieder öffnet ſich ein mehre Klaftern breiter, aus¬
gehöhlter Keſſel, deſſen Boden wie der eines Siebes durchlöchert
iſt. An anderen Stellen ſcheint in dieſem Chaos wieder ein ge¬
wiſſes Formengeſetz bei der Eroſion gewaltet zu haben, denn die
Trümmermaſſen gewinnen beinahe das Anſehen des Zellenbaues in
den Honigtafeln der Bienenſtöcke, weshalb der Hirt ſie auch be¬
zeichnend „Steinwaben“ nennt. Summa, es iſt ein Urbild der
ſchrecklichſten Zerſtörung im Kleinen.
Dies Alles iſt ein Reſultat der Verwitterung, des unmerklichen
aber erfolgreichen Ausſchleifens durch Gletſcher-, Schnee- und Re¬
genwaſſer, der ausdörrenden, ſprödemachenden Sonnenhitze und der
zerſpaltenden, auseinander treibenden, abſprengenden Kälte, der
vollſten ununterbrochenen Einwirkung der Atmoſphärilien auf den
Geſteinskörper. Und weil gerade an dieſem Kalk ſich mehr als an
jedem anderen die Verwitterung zeigt, und weil ſelbſt die in dem¬
ſelben enthaltenen Muſcheln nur fragmentariſch, zertrümmert vor¬
kommen, ſo haben die Geologen denſelben vorzugsweiſe „Rudiſten¬
kalk“, oder nach den organiſchen Einſchlüſſen (Caprotina am¬
monia und gryphoides d'Orb.) auch „Caprotinenkalk“ genannt.
Außerdem führt er auch noch die volksthümliche Bezeichnung
„Schrattenkalk“, weil Schratten beim Aelpler ſo viel wie „Berg¬
riſſe und Spalten“ bezeichnen, — vielleicht durch Verſetzung des
„r“ aus dem ſchrift-deutſchen Worte „Scharte“ (engl. Shard,
Scherbe) entſtanden. Weil endlich, an den kahlen, nackten Felſen¬
flächen, beſonders im Kanton Unterwalden, die Rudiſten auffal¬
lend hervortreten und ſonderbare, ungewöhnliche Figuren auf dem
Fond des Geſteines formiren, ſo nannte man daſſelbe auch „Hie¬
roglyphenkalk“.
Offenbar iſt die Auflöslichkeit dieſes Kalkes eine ſehr ver¬
ſchiedene, wodurch die Zerfurchung entſtanden iſt. Da nun auf
dieſen morſchen Felſenknochen, die im Sommer unerträgliche Hitze
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/53>, abgerufen am 16.07.2024.
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