Rosa im Thalschluß von Macugnaga zeigt. Es ist die erste ver¬ tikale Größe des Europäischen Kontinentes. Die Madatoren der Kalkzone wie die Diablerets, das Dolden- und Gspaltenhorn, Blümlisalp u. A. zeigen gewaltige Felsenfronten; aber sie schwin¬ den jenen Granitkörpern gegenüber zu Massen zweiten Ranges zusammen.
Wir nannten den Granit den historischen Stein der Erde; für die Alpen ist er es in mehr als einer Beziehung. Seine ernsten Felsenwände wurden oft Denksäulen großer Thaten, welche den erhabensten Momenten des klassischen Altherthums gleichzustel¬ len sind. Jener unerschrockene Russe Suworoff, ein moderner Epa¬ minondas, welcher sich eher zwischen den Klüften begraben lassen wollte, als von der Stelle weichen, ließ, als seine Gardekolonnen am 25. Sept. 1799 die Franzosen unter Gaudin im engen Val Tremola zurückgeschlagen hatten, mit lakonischer Kürze in die Granitwand die Worte "Suwarow Victor" zu ewigem Gedächtniß eingraben; am nächsten Tage waren die Gneisschroffen dort, wo die Teufelsbrücke in kühnem Bogen die Sturzwellen der Reuß überbaut, Zeugen eben so kühner Heldenthaten. Ueber die grani¬ tischen Einöden des großen Sanct Bernhard führte Bonaparte, im Mai 1800, seine Armee zum Siege von Marengo, und als die, auf sein Geheiß, durchbrochene Simplon-Straße, der erste große Alpenweg, fertig war, ließ er, stolz auf sein Werk, in eine Licht¬ öffnung der Gallerie von Gondo einmeißeln: "Aere Italo MDCCCV. Nap. Imp." -- Auf Granitboden wurde Andreas Hofer, der Sandwirth von Passeyr, geboren, und zwischen Granit¬ felsen schlug er seine glorreichen Schlachten zur Befreiung Tyrols. Aber auch weiter zurückgehend in ältere Zeiten begegnen wir Gro߬ thaten, eben so körnig und fest wie das Gestein, auf dem sie ge¬ schahen. Benedikt Fontana hauchte auf den Gneiskrystallen der Malserhaide seine Heldenseele mit den freudigen Worten aus: "Nur wacker dran, o Bundesgenossen! laßt Euch durch mein
Granit.
Roſa im Thalſchluß von Macugnaga zeigt. Es iſt die erſte ver¬ tikale Größe des Europäiſchen Kontinentes. Die Madatoren der Kalkzone wie die Diablerets, das Dolden- und Gspaltenhorn, Blümlisalp u. A. zeigen gewaltige Felſenfronten; aber ſie ſchwin¬ den jenen Granitkörpern gegenüber zu Maſſen zweiten Ranges zuſammen.
Wir nannten den Granit den hiſtoriſchen Stein der Erde; für die Alpen iſt er es in mehr als einer Beziehung. Seine ernſten Felſenwände wurden oft Denkſäulen großer Thaten, welche den erhabenſten Momenten des klaſſiſchen Altherthums gleichzuſtel¬ len ſind. Jener unerſchrockene Ruſſe Suworoff, ein moderner Epa¬ minondas, welcher ſich eher zwiſchen den Klüften begraben laſſen wollte, als von der Stelle weichen, ließ, als ſeine Gardekolonnen am 25. Sept. 1799 die Franzoſen unter Gaudin im engen Val Tremola zurückgeſchlagen hatten, mit lakoniſcher Kürze in die Granitwand die Worte „Suwarow Victor“ zu ewigem Gedächtniß eingraben; am nächſten Tage waren die Gneisſchroffen dort, wo die Teufelsbrücke in kühnem Bogen die Sturzwellen der Reuß überbaut, Zeugen eben ſo kühner Heldenthaten. Ueber die grani¬ tiſchen Einöden des großen Sanct Bernhard führte Bonaparte, im Mai 1800, ſeine Armee zum Siege von Marengo, und als die, auf ſein Geheiß, durchbrochene Simplon-Straße, der erſte große Alpenweg, fertig war, ließ er, ſtolz auf ſein Werk, in eine Licht¬ öffnung der Gallerie von Gondo einmeißeln: „Aere Italo MDCCCV. Nap. Imp.“ — Auf Granitboden wurde Andreas Hofer, der Sandwirth von Paſſeyr, geboren, und zwiſchen Granit¬ felſen ſchlug er ſeine glorreichen Schlachten zur Befreiung Tyrols. Aber auch weiter zurückgehend in ältere Zeiten begegnen wir Gro߬ thaten, eben ſo körnig und feſt wie das Geſtein, auf dem ſie ge¬ ſchahen. Benedikt Fontana hauchte auf den Gneiskryſtallen der Malſerhaide ſeine Heldenſeele mit den freudigen Worten aus: „Nur wacker dran, o Bundesgenoſſen! laßt Euch durch mein
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Granit.
Roſa im Thalſchluß von Macugnaga zeigt. Es iſt die erſte ver¬
tikale Größe des Europäiſchen Kontinentes. Die Madatoren der
Kalkzone wie die Diablerets, das Dolden- und Gspaltenhorn,
Blümlisalp u. A. zeigen gewaltige Felſenfronten; aber ſie ſchwin¬
den jenen Granitkörpern gegenüber zu Maſſen zweiten Ranges
zuſammen.
Wir nannten den Granit den hiſtoriſchen Stein der Erde;
für die Alpen iſt er es in mehr als einer Beziehung. Seine
ernſten Felſenwände wurden oft Denkſäulen großer Thaten, welche
den erhabenſten Momenten des klaſſiſchen Altherthums gleichzuſtel¬
len ſind. Jener unerſchrockene Ruſſe Suworoff, ein moderner Epa¬
minondas, welcher ſich eher zwiſchen den Klüften begraben laſſen
wollte, als von der Stelle weichen, ließ, als ſeine Gardekolonnen
am 25. Sept. 1799 die Franzoſen unter Gaudin im engen Val
Tremola zurückgeſchlagen hatten, mit lakoniſcher Kürze in die
Granitwand die Worte „Suwarow Victor“ zu ewigem Gedächtniß
eingraben; am nächſten Tage waren die Gneisſchroffen dort, wo
die Teufelsbrücke in kühnem Bogen die Sturzwellen der Reuß
überbaut, Zeugen eben ſo kühner Heldenthaten. Ueber die grani¬
tiſchen Einöden des großen Sanct Bernhard führte Bonaparte, im
Mai 1800, ſeine Armee zum Siege von Marengo, und als die,
auf ſein Geheiß, durchbrochene Simplon-Straße, der erſte große
Alpenweg, fertig war, ließ er, ſtolz auf ſein Werk, in eine Licht¬
öffnung der Gallerie von Gondo einmeißeln: „Aere Italo
MDCCCV. Nap. Imp.“ — Auf Granitboden wurde Andreas
Hofer, der Sandwirth von Paſſeyr, geboren, und zwiſchen Granit¬
felſen ſchlug er ſeine glorreichen Schlachten zur Befreiung Tyrols.
Aber auch weiter zurückgehend in ältere Zeiten begegnen wir Gro߬
thaten, eben ſo körnig und feſt wie das Geſtein, auf dem ſie ge¬
ſchahen. Benedikt Fontana hauchte auf den Gneiskryſtallen der
Malſerhaide ſeine Heldenſeele mit den freudigen Worten aus:
„Nur wacker dran, o Bundesgenoſſen! laßt Euch durch mein
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/43>, abgerufen am 24.11.2024.
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