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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Sennenleben in den Alpen.
irrten Wanderer als gastfreundliche Einladung. -- Mit der Gast¬
freundschaft hats indessen, namentlich in den wälschen Alpen, mitunter
seine Haken. Die Hirten in den entlegenen Alpen sträuben sich oft
außerordentlich, Fremde zu übernachten, aus Furcht, Verbrechern
Unterschlauf zu geben. Sie können sichs nicht denken, daß man
Vergnügens halber oder um der Wissenschaft willen in den Felsen
herumklettert, sie wähnen, nur Noth und Flucht treiben in die
Berge hinein. Im Tyrol halten sie Bergwanderer häufig für
Abgesandte der Regierung, welche die Zustände des Volkes, ihren
Viehstand und Verdienst auskundschaften wollen. "Nun wirds bald
eine neue Steuer geben", ist gewöhnlich der Refrain der Ungläu¬
bigen. Andere Sennen auf Pacht-Alpen, oder solche, die von
Gesellschaften angestellt sind, verweigern aufs Gewissenhafteste jede
Spende, oder geben nur um "Gotteswillen" dem beinahe ver¬
schmachtenden Wanderer etwas alten "Zieger" (trockenen Käse) und
ein wenig Milch, nehmen aber um keinen Preis Geld dafür, um
nicht in den Verdacht der Veruntreuung zu kommen. Dies ist, wie
gesagt, in den weniger von Touristen durchstreiften Gegenden, nament¬
lich in den Seitenthälern des Engadin der Fall.

Ist in der Hütte Alles dann beendet, so gehts zur Ruhe aufs
Wildheu, unter die "Schnetzli-Decke", und ein kräftiger, tiefer Schlaf
stärkt die ermatteten Glieder dieser harmlosen Naturmenschen.

Nur eine Intervalle tritt wie ein freundlicher Ruhepunkt in
das Einerlei der Alpzeit ein. Es ist das Aelplerfest, die "Alp¬
stoberte", die "Aelpler Kilbi", oder wie es sonst noch in den ver¬
schiedenen Thalschaften genannt wird. Diesem widmen wir später
einen besonderen Abschnitt. In den katholischen Gegenden ist
bisweilen ein öffentlicher Vormittagsgottesdienst damit verbunden.
Nur sehr wenig Alpen haben Kapellen oder Gotteshäuser, in denen
während des ganzen Sommers einmal Gottesdienst gehalten wird.
Die größte Kapelle steht auf einer der schönsten Alpen, die es giebt,
auf dem Urner Boden; sie sieht einer stattlichen Kirche gleich, und

Sennenleben in den Alpen.
irrten Wanderer als gaſtfreundliche Einladung. — Mit der Gaſt¬
freundſchaft hats indeſſen, namentlich in den wälſchen Alpen, mitunter
ſeine Haken. Die Hirten in den entlegenen Alpen ſträuben ſich oft
außerordentlich, Fremde zu übernachten, aus Furcht, Verbrechern
Unterſchlauf zu geben. Sie können ſichs nicht denken, daß man
Vergnügens halber oder um der Wiſſenſchaft willen in den Felſen
herumklettert, ſie wähnen, nur Noth und Flucht treiben in die
Berge hinein. Im Tyrol halten ſie Bergwanderer häufig für
Abgeſandte der Regierung, welche die Zuſtände des Volkes, ihren
Viehſtand und Verdienſt auskundſchaften wollen. „Nun wirds bald
eine neue Steuer geben“, iſt gewöhnlich der Refrain der Ungläu¬
bigen. Andere Sennen auf Pacht-Alpen, oder ſolche, die von
Geſellſchaften angeſtellt ſind, verweigern aufs Gewiſſenhafteſte jede
Spende, oder geben nur um „Gotteswillen“ dem beinahe ver¬
ſchmachtenden Wanderer etwas alten „Zieger“ (trockenen Käſe) und
ein wenig Milch, nehmen aber um keinen Preis Geld dafür, um
nicht in den Verdacht der Veruntreuung zu kommen. Dies iſt, wie
geſagt, in den weniger von Touriſten durchſtreiften Gegenden, nament¬
lich in den Seitenthälern des Engadin der Fall.

Iſt in der Hütte Alles dann beendet, ſo gehts zur Ruhe aufs
Wildheu, unter die „Schnetzli-Decke“, und ein kräftiger, tiefer Schlaf
ſtärkt die ermatteten Glieder dieſer harmloſen Naturmenſchen.

Nur eine Intervalle tritt wie ein freundlicher Ruhepunkt in
das Einerlei der Alpzeit ein. Es iſt das Aelplerfeſt, die „Alp¬
ſtoberte“, die „Aelpler Kilbi“, oder wie es ſonſt noch in den ver¬
ſchiedenen Thalſchaften genannt wird. Dieſem widmen wir ſpäter
einen beſonderen Abſchnitt. In den katholiſchen Gegenden iſt
bisweilen ein öffentlicher Vormittagsgottesdienſt damit verbunden.
Nur ſehr wenig Alpen haben Kapellen oder Gotteshäuſer, in denen
während des ganzen Sommers einmal Gottesdienſt gehalten wird.
Die größte Kapelle ſteht auf einer der ſchönſten Alpen, die es giebt,
auf dem Urner Boden; ſie ſieht einer ſtattlichen Kirche gleich, und

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[345/0383] Sennenleben in den Alpen. irrten Wanderer als gaſtfreundliche Einladung. — Mit der Gaſt¬ freundſchaft hats indeſſen, namentlich in den wälſchen Alpen, mitunter ſeine Haken. Die Hirten in den entlegenen Alpen ſträuben ſich oft außerordentlich, Fremde zu übernachten, aus Furcht, Verbrechern Unterſchlauf zu geben. Sie können ſichs nicht denken, daß man Vergnügens halber oder um der Wiſſenſchaft willen in den Felſen herumklettert, ſie wähnen, nur Noth und Flucht treiben in die Berge hinein. Im Tyrol halten ſie Bergwanderer häufig für Abgeſandte der Regierung, welche die Zuſtände des Volkes, ihren Viehſtand und Verdienſt auskundſchaften wollen. „Nun wirds bald eine neue Steuer geben“, iſt gewöhnlich der Refrain der Ungläu¬ bigen. Andere Sennen auf Pacht-Alpen, oder ſolche, die von Geſellſchaften angeſtellt ſind, verweigern aufs Gewiſſenhafteſte jede Spende, oder geben nur um „Gotteswillen“ dem beinahe ver¬ ſchmachtenden Wanderer etwas alten „Zieger“ (trockenen Käſe) und ein wenig Milch, nehmen aber um keinen Preis Geld dafür, um nicht in den Verdacht der Veruntreuung zu kommen. Dies iſt, wie geſagt, in den weniger von Touriſten durchſtreiften Gegenden, nament¬ lich in den Seitenthälern des Engadin der Fall. Iſt in der Hütte Alles dann beendet, ſo gehts zur Ruhe aufs Wildheu, unter die „Schnetzli-Decke“, und ein kräftiger, tiefer Schlaf ſtärkt die ermatteten Glieder dieſer harmloſen Naturmenſchen. Nur eine Intervalle tritt wie ein freundlicher Ruhepunkt in das Einerlei der Alpzeit ein. Es iſt das Aelplerfeſt, die „Alp¬ ſtoberte“, die „Aelpler Kilbi“, oder wie es ſonſt noch in den ver¬ ſchiedenen Thalſchaften genannt wird. Dieſem widmen wir ſpäter einen beſonderen Abſchnitt. In den katholiſchen Gegenden iſt bisweilen ein öffentlicher Vormittagsgottesdienſt damit verbunden. Nur ſehr wenig Alpen haben Kapellen oder Gotteshäuſer, in denen während des ganzen Sommers einmal Gottesdienſt gehalten wird. Die größte Kapelle ſteht auf einer der ſchönſten Alpen, die es giebt, auf dem Urner Boden; ſie ſieht einer ſtattlichen Kirche gleich, und

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/383>, abgerufen am 22.11.2024.