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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Die Hospitien.
mit eigentlich nur die Armen der zunächst anstoßenden Thalschaften
von dieser Einrichtung profitirten, so ergiebt sich aus allem dem,
daß das Grimselhaus nicht mehr und nicht weniger als ein eigent¬
liches Bergwirthshaus, keinesweges ein Hospiz im oben angeführ¬
ten Sinne ist. Ueberdies hält der Spittelpächter mit seiner Familie
den Winter über keinesweges in dem, mehr als 700 Fuß tiefer
als das Gotthardshaus gelegenen Grimselspital (5780 Fuß) aus,
sondern er verläßt dasselbe im November mit dem Vieh und kehrt
erst Anfang März dahin zurück. Während des strengsten Viertel¬
jahres bleibt blos ein Knecht (höchstens deren zwei) im Spital,
mit der Aufgabe, den Weg zunächst beim Hause im Stande zu
halten, Hunde während starken Schneegestöbers auszusenden und,
-- wenn die Hunde anschlagen, durch lautes Rufen die Richtung
des Weges anzuzeigen. Dieser Winteraufenthalt ist freilich fast
einer sibirischen Verbannung gleich zu achten, da in strengen und
schneereichen Wintern Wochen, ja Monate vergehen, ehe irgend
Jemand den Weg passirt, somit auch aller Verkehr mit den zunächst
gelegenen Dörfern abgeschnitten ist. Die nächste menschliche Woh¬
nung ist das, überdies 21/2 Stunden entfernte, Walliser Dorf
Oberwald. Bedenkt man nun, daß bei tiefem Schnee eine Weg¬
stunde Entfernung oft die drei- und vierfache Zeit in Anspruch
nimmt, als bei trockenem, harten Boden, -- erwägt man ferner,
daß der Schneefall in dieser Gegend gar nicht selten eine solche Höhe
gewinnt, daß der Knecht zu den obersten Fenstern des Hauses her¬
aussteigen muß, um den Zugang zur Thür freiarbeiten zu können,
-- und endlich, daß Lauinenstürze schon wiederholt das große,
feste, kasematten-ähnliche Gebäude zu zerstören drohten, so wird
man zugeben, daß das Loos eines Winterknechtes auf der Grimsel
trauriger und ertödtender ist, als das eines im Zellen-Gefängniß
abgesonderten Züchtlinges.

Früher war es dem Spittler vergönnt, kollektirend im Lande
umherzuziehen oder Kollekteure für seinen Zweck auszusenden. Da

Die Hospitien.
mit eigentlich nur die Armen der zunächſt anſtoßenden Thalſchaften
von dieſer Einrichtung profitirten, ſo ergiebt ſich aus allem dem,
daß das Grimſelhaus nicht mehr und nicht weniger als ein eigent¬
liches Bergwirthshaus, keinesweges ein Hoſpiz im oben angeführ¬
ten Sinne iſt. Ueberdies hält der Spittelpächter mit ſeiner Familie
den Winter über keinesweges in dem, mehr als 700 Fuß tiefer
als das Gotthardshaus gelegenen Grimſelſpital (5780 Fuß) aus,
ſondern er verläßt daſſelbe im November mit dem Vieh und kehrt
erſt Anfang März dahin zurück. Während des ſtrengſten Viertel¬
jahres bleibt blos ein Knecht (höchſtens deren zwei) im Spital,
mit der Aufgabe, den Weg zunächſt beim Hauſe im Stande zu
halten, Hunde während ſtarken Schneegeſtöbers auszuſenden und,
— wenn die Hunde anſchlagen, durch lautes Rufen die Richtung
des Weges anzuzeigen. Dieſer Winteraufenthalt iſt freilich faſt
einer ſibiriſchen Verbannung gleich zu achten, da in ſtrengen und
ſchneereichen Wintern Wochen, ja Monate vergehen, ehe irgend
Jemand den Weg paſſirt, ſomit auch aller Verkehr mit den zunächſt
gelegenen Dörfern abgeſchnitten iſt. Die nächſte menſchliche Woh¬
nung iſt das, überdies 2½ Stunden entfernte, Walliſer Dorf
Oberwald. Bedenkt man nun, daß bei tiefem Schnee eine Weg¬
ſtunde Entfernung oft die drei- und vierfache Zeit in Anſpruch
nimmt, als bei trockenem, harten Boden, — erwägt man ferner,
daß der Schneefall in dieſer Gegend gar nicht ſelten eine ſolche Höhe
gewinnt, daß der Knecht zu den oberſten Fenſtern des Hauſes her¬
ausſteigen muß, um den Zugang zur Thür freiarbeiten zu können,
— und endlich, daß Lauinenſtürze ſchon wiederholt das große,
feſte, kaſematten-ähnliche Gebäude zu zerſtören drohten, ſo wird
man zugeben, daß das Loos eines Winterknechtes auf der Grimſel
trauriger und ertödtender iſt, als das eines im Zellen-Gefängniß
abgeſonderten Züchtlinges.

Früher war es dem Spittler vergönnt, kollektirend im Lande
umherzuziehen oder Kollekteure für ſeinen Zweck auszuſenden. Da

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[326/0362] Die Hospitien. mit eigentlich nur die Armen der zunächſt anſtoßenden Thalſchaften von dieſer Einrichtung profitirten, ſo ergiebt ſich aus allem dem, daß das Grimſelhaus nicht mehr und nicht weniger als ein eigent¬ liches Bergwirthshaus, keinesweges ein Hoſpiz im oben angeführ¬ ten Sinne iſt. Ueberdies hält der Spittelpächter mit ſeiner Familie den Winter über keinesweges in dem, mehr als 700 Fuß tiefer als das Gotthardshaus gelegenen Grimſelſpital (5780 Fuß) aus, ſondern er verläßt daſſelbe im November mit dem Vieh und kehrt erſt Anfang März dahin zurück. Während des ſtrengſten Viertel¬ jahres bleibt blos ein Knecht (höchſtens deren zwei) im Spital, mit der Aufgabe, den Weg zunächſt beim Hauſe im Stande zu halten, Hunde während ſtarken Schneegeſtöbers auszuſenden und, — wenn die Hunde anſchlagen, durch lautes Rufen die Richtung des Weges anzuzeigen. Dieſer Winteraufenthalt iſt freilich faſt einer ſibiriſchen Verbannung gleich zu achten, da in ſtrengen und ſchneereichen Wintern Wochen, ja Monate vergehen, ehe irgend Jemand den Weg paſſirt, ſomit auch aller Verkehr mit den zunächſt gelegenen Dörfern abgeſchnitten iſt. Die nächſte menſchliche Woh¬ nung iſt das, überdies 2½ Stunden entfernte, Walliſer Dorf Oberwald. Bedenkt man nun, daß bei tiefem Schnee eine Weg¬ ſtunde Entfernung oft die drei- und vierfache Zeit in Anſpruch nimmt, als bei trockenem, harten Boden, — erwägt man ferner, daß der Schneefall in dieſer Gegend gar nicht ſelten eine ſolche Höhe gewinnt, daß der Knecht zu den oberſten Fenſtern des Hauſes her¬ ausſteigen muß, um den Zugang zur Thür freiarbeiten zu können, — und endlich, daß Lauinenſtürze ſchon wiederholt das große, feſte, kaſematten-ähnliche Gebäude zu zerſtören drohten, ſo wird man zugeben, daß das Loos eines Winterknechtes auf der Grimſel trauriger und ertödtender iſt, als das eines im Zellen-Gefängniß abgeſonderten Züchtlinges. Früher war es dem Spittler vergönnt, kollektirend im Lande umherzuziehen oder Kollekteure für ſeinen Zweck auszuſenden. Da

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/362>, abgerufen am 25.11.2024.