Winter über wie mit Cement gemauert steinfest hielt, zum Sturz bringen und Roß und Mann tief drunten begraben.
Es ist dies (neben den zahlreichen Lauinenstürzen) eine jener vielen Ursachen, welche den steilabfallenden, in Schlangenwin¬ dungen aufgemauerten, engen Paßschluchten so ominöse Namen gaben, wie am Gotthard das Val Tremola (Thal des Zitterns), am Splügen oberhalb Isola den Passo della Morte (Todespaß) etc.
Der Weg ist im Winter bei tiefem Schnee nur immer für eine Schlittenbreite geöffnet; zu beiden Seiten sind hohe Schnee- Wälle emporgeworfen. Darum sind Ausweichstationen nothwendig, wo die von der Höhe kommenden Ueberberg-Karavanen an ausge¬ buchteten Stellen warten müssen, wenn sie eines Zuges in der Tiefe ansichtig werden, bis dieser mit ihnen gekreuzt hat. An denjenigen Stellen der Straße, die in Windungen ansteigen, ists der Fall, daß die Postillone dem vordersten Pferd noch einen kräftigen Streich mit der Peitsche versetzen und dann vielleicht für eine Viertelstunde das Geschirr verlassen, um auf näherem, nieder¬ getretenem Wege gerade aufzusteigen. Die Reisenden pflegen dann, wenn das Pferd ermatten will, durch einen Schneeballen- Wurf dasselbe anzuspornen. -- Es giebt dann aber auch Zeiten, in denen die Straße streckenweise so unbedingt ausfüllend verweht wird, daß die Post faktisch auf dem Paß stecken bleibt und sich gratuliren muß das Hospiz oder Berghaus zu erreichen. Hier pausirt sie vielleicht einen ganzen Tag lang, bis die Straße wieder genügend praktikabel gemacht ist. Weihnachten 1859 mußten 4 Kondukteure 4 Tage lang auf dem Gotthardshospiz die Oeffnung des Val Tremola abwarten.
Dieses Oeffnen und Fahrbarhalten der Straße ist Sache der Rutner, Rottori oder Cantonniers. Man wähnt im Flachlande, der Forst- und Hüttenmann, der Bauer und Chausseewärter und ähnliche Leute seien völlig gegen Wind und Wetter abgehärtet. Es fragt sich, ob sie jenes unerhört-zählebige Wesen, jene fast un¬
Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
Winter über wie mit Cement gemauert ſteinfeſt hielt, zum Sturz bringen und Roß und Mann tief drunten begraben.
Es iſt dies (neben den zahlreichen Lauinenſtürzen) eine jener vielen Urſachen, welche den ſteilabfallenden, in Schlangenwin¬ dungen aufgemauerten, engen Paßſchluchten ſo ominöſe Namen gaben, wie am Gotthard das Val Tremola (Thal des Zitterns), am Splügen oberhalb Isola den Passo della Morte (Todespaß) ꝛc.
Der Weg iſt im Winter bei tiefem Schnee nur immer für eine Schlittenbreite geöffnet; zu beiden Seiten ſind hohe Schnee- Wälle emporgeworfen. Darum ſind Ausweichſtationen nothwendig, wo die von der Höhe kommenden Ueberberg-Karavanen an ausge¬ buchteten Stellen warten müſſen, wenn ſie eines Zuges in der Tiefe anſichtig werden, bis dieſer mit ihnen gekreuzt hat. An denjenigen Stellen der Straße, die in Windungen anſteigen, iſts der Fall, daß die Poſtillone dem vorderſten Pferd noch einen kräftigen Streich mit der Peitſche verſetzen und dann vielleicht für eine Viertelſtunde das Geſchirr verlaſſen, um auf näherem, nieder¬ getretenem Wege gerade aufzuſteigen. Die Reiſenden pflegen dann, wenn das Pferd ermatten will, durch einen Schneeballen- Wurf daſſelbe anzuſpornen. — Es giebt dann aber auch Zeiten, in denen die Straße ſtreckenweiſe ſo unbedingt ausfüllend verweht wird, daß die Poſt faktiſch auf dem Paß ſtecken bleibt und ſich gratuliren muß das Hoſpiz oder Berghaus zu erreichen. Hier pauſirt ſie vielleicht einen ganzen Tag lang, bis die Straße wieder genügend praktikabel gemacht iſt. Weihnachten 1859 mußten 4 Kondukteure 4 Tage lang auf dem Gotthardshoſpiz die Oeffnung des Val Tremola abwarten.
Dieſes Oeffnen und Fahrbarhalten der Straße iſt Sache der Rutner, Rottori oder Cantonniers. Man wähnt im Flachlande, der Forſt- und Hüttenmann, der Bauer und Chauſſeewärter und ähnliche Leute ſeien völlig gegen Wind und Wetter abgehärtet. Es fragt ſich, ob ſie jenes unerhört-zählebige Weſen, jene faſt un¬
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Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
Winter über wie mit Cement gemauert ſteinfeſt hielt, zum Sturz
bringen und Roß und Mann tief drunten begraben.
Es iſt dies (neben den zahlreichen Lauinenſtürzen) eine jener
vielen Urſachen, welche den ſteilabfallenden, in Schlangenwin¬
dungen aufgemauerten, engen Paßſchluchten ſo ominöſe Namen
gaben, wie am Gotthard das Val Tremola (Thal des Zitterns),
am Splügen oberhalb Isola den Passo della Morte (Todespaß) ꝛc.
Der Weg iſt im Winter bei tiefem Schnee nur immer für
eine Schlittenbreite geöffnet; zu beiden Seiten ſind hohe Schnee-
Wälle emporgeworfen. Darum ſind Ausweichſtationen nothwendig,
wo die von der Höhe kommenden Ueberberg-Karavanen an ausge¬
buchteten Stellen warten müſſen, wenn ſie eines Zuges in der
Tiefe anſichtig werden, bis dieſer mit ihnen gekreuzt hat. An
denjenigen Stellen der Straße, die in Windungen anſteigen, iſts
der Fall, daß die Poſtillone dem vorderſten Pferd noch einen
kräftigen Streich mit der Peitſche verſetzen und dann vielleicht für
eine Viertelſtunde das Geſchirr verlaſſen, um auf näherem, nieder¬
getretenem Wege gerade aufzuſteigen. Die Reiſenden pflegen
dann, wenn das Pferd ermatten will, durch einen Schneeballen-
Wurf daſſelbe anzuſpornen. — Es giebt dann aber auch Zeiten,
in denen die Straße ſtreckenweiſe ſo unbedingt ausfüllend verweht
wird, daß die Poſt faktiſch auf dem Paß ſtecken bleibt und ſich
gratuliren muß das Hoſpiz oder Berghaus zu erreichen. Hier
pauſirt ſie vielleicht einen ganzen Tag lang, bis die Straße wieder
genügend praktikabel gemacht iſt. Weihnachten 1859 mußten
4 Kondukteure 4 Tage lang auf dem Gotthardshoſpiz die Oeffnung
des Val Tremola abwarten.
Dieſes Oeffnen und Fahrbarhalten der Straße iſt Sache der
Rutner, Rottori oder Cantonniers. Man wähnt im Flachlande,
der Forſt- und Hüttenmann, der Bauer und Chauſſeewärter und
ähnliche Leute ſeien völlig gegen Wind und Wetter abgehärtet.
Es fragt ſich, ob ſie jenes unerhört-zählebige Weſen, jene faſt un¬
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/337>, abgerufen am 28.11.2024.
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