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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen.
terste, ungezwungenste Leben unter den Reisenden; Maler würden
Stoffe zu drastischen Genrebildern, voll des köstlichsten Humors,
finden; -- Seitenstücke zu den sommerlichen Rendez-vous unter
den Wettertannen. Windet und schneiet es aber scharf, hängt die
Atmosphäre voll mißmüthig-grauer Wolken und heult der
Sturm in den Felsengassen, dann giebts freilich herzlich unliebsame
Scenen. -- Der große, feste Eilwagen bleibt nun gut verschlossen
ebenso schutzlos und unbewacht seitwärts an der Straße stehen
wie vorher die Schlitten, bis die über den Berg entgegenkommende
Post an dieser Stelle die Schlitten verläßt und die gleiche Trans¬
lokation der Passagiere im umgekehrten Verhältniß vornimmt.
Früher gabs Schlitten zum Transport für weibliche Reisende, in
welche die Personen wie Wickelkinder eingepackt wurden. Diese be¬
standen aus langen, sargähnlichen Kasten mit reinlichen Betten,
so daß eine Person völlig ausgestreckt sich hineinlegen konnte,
mit einer vierfachen wollenen Decke und darüber mit einem fest¬
geschnallten Wagenleder bis an den Oberkörper zugedeckt wurde.
Es war eine gegen Kälte und Wind vollkommen schützende Ein¬
richtung. Begreiflich mußte die Reisende auf der Höhe des Passes
ihre Lage ändern, um mit dem Kopfe höher zu liegen als mit den
Füßen.

Jeder Postschlitten erhält nur ein Pferd. Im ersten sitzt
der Postillon, im letzten der Konducteur, um den ganzen Zug
überschauen zu können. Die Pferde aller übrigen Schlitten gehen
ohne Leitung. Ist starker Schnee gefallen, so wurde schon vorher
ein mit Ochsen bespannter Bahnschlitten vorausgesandt, den ein
halb Dutzend starke Männer, die Rutner, mit Schaufeln be¬
gleiten, um, wo nöthig, nachzuhelfen. Höchst umständlich und
kostspielig ist die Beförderung von herrschaftlichen Reisewagen in
dieser Jahreszeit; sie müssen auseinander genommen, in ihre Theile
zerlegt und auf mehrere Schlitten verpackt werden, wobei dann jener,
welcher den Kutschenkasten trägt, noch ganz besonderer Bedienung

Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
terſte, ungezwungenſte Leben unter den Reiſenden; Maler würden
Stoffe zu draſtiſchen Genrebildern, voll des köſtlichſten Humors,
finden; — Seitenſtücke zu den ſommerlichen Rendez-vous unter
den Wettertannen. Windet und ſchneiet es aber ſcharf, hängt die
Atmoſphäre voll mißmüthig-grauer Wolken und heult der
Sturm in den Felſengaſſen, dann giebts freilich herzlich unliebſame
Scenen. — Der große, feſte Eilwagen bleibt nun gut verſchloſſen
ebenſo ſchutzlos und unbewacht ſeitwärts an der Straße ſtehen
wie vorher die Schlitten, bis die über den Berg entgegenkommende
Poſt an dieſer Stelle die Schlitten verläßt und die gleiche Trans¬
lokation der Paſſagiere im umgekehrten Verhältniß vornimmt.
Früher gabs Schlitten zum Transport für weibliche Reiſende, in
welche die Perſonen wie Wickelkinder eingepackt wurden. Dieſe be¬
ſtanden aus langen, ſargähnlichen Kaſten mit reinlichen Betten,
ſo daß eine Perſon völlig ausgeſtreckt ſich hineinlegen konnte,
mit einer vierfachen wollenen Decke und darüber mit einem feſt¬
geſchnallten Wagenleder bis an den Oberkörper zugedeckt wurde.
Es war eine gegen Kälte und Wind vollkommen ſchützende Ein¬
richtung. Begreiflich mußte die Reiſende auf der Höhe des Paſſes
ihre Lage ändern, um mit dem Kopfe höher zu liegen als mit den
Füßen.

Jeder Poſtſchlitten erhält nur ein Pferd. Im erſten ſitzt
der Poſtillon, im letzten der Konducteur, um den ganzen Zug
überſchauen zu können. Die Pferde aller übrigen Schlitten gehen
ohne Leitung. Iſt ſtarker Schnee gefallen, ſo wurde ſchon vorher
ein mit Ochſen beſpannter Bahnſchlitten vorausgeſandt, den ein
halb Dutzend ſtarke Männer, die Rutner, mit Schaufeln be¬
gleiten, um, wo nöthig, nachzuhelfen. Höchſt umſtändlich und
koſtſpielig iſt die Beförderung von herrſchaftlichen Reiſewagen in
dieſer Jahreszeit; ſie müſſen auseinander genommen, in ihre Theile
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welcher den Kutſchenkaſten trägt, noch ganz beſonderer Bedienung

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[299/0335] Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. terſte, ungezwungenſte Leben unter den Reiſenden; Maler würden Stoffe zu draſtiſchen Genrebildern, voll des köſtlichſten Humors, finden; — Seitenſtücke zu den ſommerlichen Rendez-vous unter den Wettertannen. Windet und ſchneiet es aber ſcharf, hängt die Atmoſphäre voll mißmüthig-grauer Wolken und heult der Sturm in den Felſengaſſen, dann giebts freilich herzlich unliebſame Scenen. — Der große, feſte Eilwagen bleibt nun gut verſchloſſen ebenſo ſchutzlos und unbewacht ſeitwärts an der Straße ſtehen wie vorher die Schlitten, bis die über den Berg entgegenkommende Poſt an dieſer Stelle die Schlitten verläßt und die gleiche Trans¬ lokation der Paſſagiere im umgekehrten Verhältniß vornimmt. Früher gabs Schlitten zum Transport für weibliche Reiſende, in welche die Perſonen wie Wickelkinder eingepackt wurden. Dieſe be¬ ſtanden aus langen, ſargähnlichen Kaſten mit reinlichen Betten, ſo daß eine Perſon völlig ausgeſtreckt ſich hineinlegen konnte, mit einer vierfachen wollenen Decke und darüber mit einem feſt¬ geſchnallten Wagenleder bis an den Oberkörper zugedeckt wurde. Es war eine gegen Kälte und Wind vollkommen ſchützende Ein¬ richtung. Begreiflich mußte die Reiſende auf der Höhe des Paſſes ihre Lage ändern, um mit dem Kopfe höher zu liegen als mit den Füßen. Jeder Poſtſchlitten erhält nur ein Pferd. Im erſten ſitzt der Poſtillon, im letzten der Konducteur, um den ganzen Zug überſchauen zu können. Die Pferde aller übrigen Schlitten gehen ohne Leitung. Iſt ſtarker Schnee gefallen, ſo wurde ſchon vorher ein mit Ochſen beſpannter Bahnſchlitten vorausgeſandt, den ein halb Dutzend ſtarke Männer, die Rutner, mit Schaufeln be¬ gleiten, um, wo nöthig, nachzuhelfen. Höchſt umſtändlich und koſtſpielig iſt die Beförderung von herrſchaftlichen Reiſewagen in dieſer Jahreszeit; ſie müſſen auseinander genommen, in ihre Theile zerlegt und auf mehrere Schlitten verpackt werden, wobei dann jener, welcher den Kutſchenkaſten trägt, noch ganz beſonderer Bedienung

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/335>, abgerufen am 24.11.2024.