Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen.
Höhe dräuend über der Straße und entsendet während der wär¬
meren Jahreszeiten einen kräftigen Bach milchig-trüben Abschmelz-
Wassers, das in lustigem Bogen über das mittelste der eilf Gallerien-
Fenster herabbraust. Der Wanderer steht hinter dem Wasserfall in
der mit Kalksinter überzogenen Gallerie und sieht durch die jagenden
Strahlen-Garben hindurch. Aber auch außerdem schützen die Gal¬
lerien im Frühjahr noch gegen die während des Winters durch
herabträufelndes, wiedergefrierendes Schneewasser gebildeten, kolos¬
salen Eiszapfen, welche im Frühjahr sich von den zu Häupten
hangenden Felsenmassen ablösen und mit Blitzgeschwindigkeit in
furchtbarer Vehemenz herniederschmettern.

Die längste aller Schutzgallerien ist die all' aque rosse ge¬
nannte 1530 Fuß lange auf der Splügenstraße, die ihren Namen
vom herabsickernden, eisenhaltigen Wasser, welches die Felsen roth
färbt, erhalten hat. Sie will freilich gegenüber den Riesenarbeiten
der Neuzeit, z. B. gegen den 8310 Schweiz. Fuß langen Hauenstein-
Tunnel (Baselland) wenig bedeuten, galt aber lange als ein Wun¬
derstück alpiner Baukunst. -- Kreuze an der Straße bezeichnen die
Stellen, wo Wanderer, durch Lauinen oder Schneestürme verschüttet,
den Tod fanden.

Den Paß-Scheitel bezeichnet in der ein hochaufgerichtetes,
großes, roh-gezimmertes, hölzernes Kreuz als Siegeszeichen, daß die
Höhe des Weges erreicht ist, als Mahnung zum Dankgebet für Gottes
Schutz. Die Hospitien oder Berghäuser liegen gewöhnlich schon
wieder etwas südlich unter der Uebergangshöhe, um gegen die von
beiden Seiten antobenden Stürme einigermaßen geschützt zu sein;
so ists auf dem Simplon, Gotthard und Splügen.

Auf diesen cultivirten Alpen-Uebergängen waltet noch die
alte, reichbelebte, vielgestaltige Landstraßen-Romantik, welche die
Eisenbahnen in der Ebene völlig verdrängt haben. Da bimmelt
noch das weittönende, disharmonische Schellengeläute von dem
Sechsgespann der schweren, robusten Fuhrmannspferde vor dem hoch¬

Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.
Höhe dräuend über der Straße und entſendet während der wär¬
meren Jahreszeiten einen kräftigen Bach milchig-trüben Abſchmelz-
Waſſers, das in luſtigem Bogen über das mittelſte der eilf Gallerien-
Fenſter herabbrauſt. Der Wanderer ſteht hinter dem Waſſerfall in
der mit Kalkſinter überzogenen Gallerie und ſieht durch die jagenden
Strahlen-Garben hindurch. Aber auch außerdem ſchützen die Gal¬
lerien im Frühjahr noch gegen die während des Winters durch
herabträufelndes, wiedergefrierendes Schneewaſſer gebildeten, koloſ¬
ſalen Eiszapfen, welche im Frühjahr ſich von den zu Häupten
hangenden Felſenmaſſen ablöſen und mit Blitzgeſchwindigkeit in
furchtbarer Vehemenz herniederſchmettern.

Die längſte aller Schutzgallerien iſt die all' aque rosse ge¬
nannte 1530 Fuß lange auf der Splügenſtraße, die ihren Namen
vom herabſickernden, eiſenhaltigen Waſſer, welches die Felſen roth
färbt, erhalten hat. Sie will freilich gegenüber den Rieſenarbeiten
der Neuzeit, z. B. gegen den 8310 Schweiz. Fuß langen Hauenſtein-
Tunnel (Baſelland) wenig bedeuten, galt aber lange als ein Wun¬
derſtück alpiner Baukunſt. — Kreuze an der Straße bezeichnen die
Stellen, wo Wanderer, durch Lauinen oder Schneeſtürme verſchüttet,
den Tod fanden.

Den Paß-Scheitel bezeichnet in der ein hochaufgerichtetes,
großes, roh-gezimmertes, hölzernes Kreuz als Siegeszeichen, daß die
Höhe des Weges erreicht iſt, als Mahnung zum Dankgebet für Gottes
Schutz. Die Hoſpitien oder Berghäuſer liegen gewöhnlich ſchon
wieder etwas ſüdlich unter der Uebergangshöhe, um gegen die von
beiden Seiten antobenden Stürme einigermaßen geſchützt zu ſein;
ſo iſts auf dem Simplon, Gotthard und Splügen.

Auf dieſen cultivirten Alpen-Uebergängen waltet noch die
alte, reichbelebte, vielgeſtaltige Landſtraßen-Romantik, welche die
Eiſenbahnen in der Ebene völlig verdrängt haben. Da bimmelt
noch das weittönende, disharmoniſche Schellengeläute von dem
Sechsgeſpann der ſchweren, robuſten Fuhrmannspferde vor dem hoch¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0330" n="294"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Gebirgs-Pä&#x017F;&#x017F;e und Alpen-Straßen</hi>.<lb/></fw>Höhe dräuend über der Straße und ent&#x017F;endet während der wär¬<lb/>
meren Jahreszeiten einen kräftigen Bach milchig-trüben Ab&#x017F;chmelz-<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;ers, das in lu&#x017F;tigem Bogen über das mittel&#x017F;te der eilf Gallerien-<lb/>
Fen&#x017F;ter herabbrau&#x017F;t. Der Wanderer &#x017F;teht hinter dem Wa&#x017F;&#x017F;erfall in<lb/>
der mit Kalk&#x017F;inter überzogenen Gallerie und &#x017F;ieht durch die jagenden<lb/>
Strahlen-Garben hindurch. Aber auch außerdem &#x017F;chützen die Gal¬<lb/>
lerien im Frühjahr noch gegen die während des Winters durch<lb/>
herabträufelndes, wiedergefrierendes Schneewa&#x017F;&#x017F;er gebildeten, kolo&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;alen Eiszapfen, welche im Frühjahr &#x017F;ich von den zu Häupten<lb/>
hangenden Fel&#x017F;enma&#x017F;&#x017F;en ablö&#x017F;en und mit Blitzge&#x017F;chwindigkeit in<lb/>
furchtbarer Vehemenz hernieder&#x017F;chmettern.</p><lb/>
        <p>Die läng&#x017F;te aller Schutzgallerien i&#x017F;t die <hi rendition="#aq">all' aque rosse</hi> ge¬<lb/>
nannte 1530 Fuß lange auf der Splügen&#x017F;traße, die ihren Namen<lb/>
vom herab&#x017F;ickernden, ei&#x017F;enhaltigen Wa&#x017F;&#x017F;er, welches die Fel&#x017F;en roth<lb/>
färbt, erhalten hat. Sie will freilich gegenüber den Rie&#x017F;enarbeiten<lb/>
der Neuzeit, z. B. gegen den 8310 Schweiz. Fuß langen Hauen&#x017F;tein-<lb/>
Tunnel (Ba&#x017F;elland) wenig bedeuten, galt aber lange als ein Wun¬<lb/>
der&#x017F;tück alpiner Baukun&#x017F;t. &#x2014; Kreuze an der Straße bezeichnen die<lb/>
Stellen, wo Wanderer, durch Lauinen oder Schnee&#x017F;türme ver&#x017F;chüttet,<lb/>
den Tod fanden.</p><lb/>
        <p>Den Paß-Scheitel bezeichnet in der ein hochaufgerichtetes,<lb/>
großes, roh-gezimmertes, hölzernes Kreuz als Siegeszeichen, daß die<lb/>
Höhe des Weges erreicht i&#x017F;t, als Mahnung zum Dankgebet für Gottes<lb/>
Schutz. Die Ho&#x017F;pitien oder Berghäu&#x017F;er liegen gewöhnlich &#x017F;chon<lb/>
wieder etwas &#x017F;üdlich unter der Uebergangshöhe, um gegen die von<lb/>
beiden Seiten antobenden Stürme einigermaßen ge&#x017F;chützt zu &#x017F;ein;<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;ts auf dem Simplon, Gotthard und Splügen.</p><lb/>
        <p>Auf die&#x017F;en cultivirten Alpen-Uebergängen waltet noch die<lb/>
alte, reichbelebte, vielge&#x017F;taltige Land&#x017F;traßen-Romantik, welche die<lb/>
Ei&#x017F;enbahnen in der Ebene völlig verdrängt haben. Da bimmelt<lb/>
noch das weittönende, disharmoni&#x017F;che Schellengeläute von dem<lb/>
Sechsge&#x017F;pann der &#x017F;chweren, robu&#x017F;ten Fuhrmannspferde vor dem hoch¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0330] Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. Höhe dräuend über der Straße und entſendet während der wär¬ meren Jahreszeiten einen kräftigen Bach milchig-trüben Abſchmelz- Waſſers, das in luſtigem Bogen über das mittelſte der eilf Gallerien- Fenſter herabbrauſt. Der Wanderer ſteht hinter dem Waſſerfall in der mit Kalkſinter überzogenen Gallerie und ſieht durch die jagenden Strahlen-Garben hindurch. Aber auch außerdem ſchützen die Gal¬ lerien im Frühjahr noch gegen die während des Winters durch herabträufelndes, wiedergefrierendes Schneewaſſer gebildeten, koloſ¬ ſalen Eiszapfen, welche im Frühjahr ſich von den zu Häupten hangenden Felſenmaſſen ablöſen und mit Blitzgeſchwindigkeit in furchtbarer Vehemenz herniederſchmettern. Die längſte aller Schutzgallerien iſt die all' aque rosse ge¬ nannte 1530 Fuß lange auf der Splügenſtraße, die ihren Namen vom herabſickernden, eiſenhaltigen Waſſer, welches die Felſen roth färbt, erhalten hat. Sie will freilich gegenüber den Rieſenarbeiten der Neuzeit, z. B. gegen den 8310 Schweiz. Fuß langen Hauenſtein- Tunnel (Baſelland) wenig bedeuten, galt aber lange als ein Wun¬ derſtück alpiner Baukunſt. — Kreuze an der Straße bezeichnen die Stellen, wo Wanderer, durch Lauinen oder Schneeſtürme verſchüttet, den Tod fanden. Den Paß-Scheitel bezeichnet in der ein hochaufgerichtetes, großes, roh-gezimmertes, hölzernes Kreuz als Siegeszeichen, daß die Höhe des Weges erreicht iſt, als Mahnung zum Dankgebet für Gottes Schutz. Die Hoſpitien oder Berghäuſer liegen gewöhnlich ſchon wieder etwas ſüdlich unter der Uebergangshöhe, um gegen die von beiden Seiten antobenden Stürme einigermaßen geſchützt zu ſein; ſo iſts auf dem Simplon, Gotthard und Splügen. Auf dieſen cultivirten Alpen-Uebergängen waltet noch die alte, reichbelebte, vielgeſtaltige Landſtraßen-Romantik, welche die Eiſenbahnen in der Ebene völlig verdrängt haben. Da bimmelt noch das weittönende, disharmoniſche Schellengeläute von dem Sechsgeſpann der ſchweren, robuſten Fuhrmannspferde vor dem hoch¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/330
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/330>, abgerufen am 17.05.2024.