Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Alpenspitzen. Schneebrücken platterdings nicht zu erkennen. Hat es auf dieSchneebrücken inzwischen wieder geregnet oder hat die Sonne die obere Schicht erweicht, daß diese einsinkend sich verdichtet und dann wieder friert, so kann man ohne alle Gefahr darüber hinweg¬ gehen; eine Fuß dicke Schneebrücke, wenn sie keine allzubreite Span¬ nung hat, trägt ihren Mann. Um jedoch dem bei Gletschertouren sehr oft vorkommenden Einbrechen zu begegnen, knüpfen sich Führer und Geführte in Entfernung von etwa 4 Schritten an ein langes, um den Leib geschlungenes Seil, damit, wenn Einer derselben einsinken sollte, die Uebrigen ihn leicht hervorziehen können. Das Unter¬ lassen dieser Vorsichtsmaßregel hat schon viel traurige Fälle zur Folge gehabt. Im Jahre 1821 stürzte auf der Höhe des Grindel¬ waldgletschers der junge, waatländische Pfarrer Meuron in eine 121 Fuß tiefe Spalte und wurde erst spät, nach Ableitung des unterm Gletscher fließenden Baches, todt heraufgezogen und auf dem Grindel¬ walder Friedhofe zur Ruhe bestattet. Sein jüngstes Opfer ver¬ schlang der gleiche Gletscher am 10. Juni 1860. -- Ebenso kamen Dr. Bürstenbinder aus Berlin auf dem Oezthal-Gletscher in Tyrol 1846 und ein vornehmer Russe auf dem Findelen-Gletscher im Sommer 1859 durch ähnliche Stürze ums Leben. -- Im Juli 1836 fiel der Führer Michael Devouasson auf dem Glacier du Talefre, unweit des Jardin, in eine solche Spalte, arbeitete sich aber unter Hilfe seines Taschenmessers, mit dem er Tritte in die Eis¬ wände grub, wieder mühsam hervor. Sein Tornister, den er dabei verloren, wurde zehn Jahre später stückweise, 4300 Fuß weiter un¬ ten, am Fuß des Couvercle, vom Gletscher wieder ausgeworfen. -- In ähnlicher Weise rettete sich auf dem Rosegg-Gletscher (am Ber¬ nina) ein in eine Gletscherspalte gestürzter Gemsenjäger, der, weil die Wände der über 60 Fuß tiefen Spalte unten zu weit ausein¬ ander lagen, sich den Alpenstock an das eine Bein band und so, die Kluft überspreizend, sich langsam hinaufarbeiten konnte. -- Auf dem Trift-Gletscher (Kant. Bern) stürzte 1803 der Gemsen¬ Berlepsch, die Alpen. 17
Alpenſpitzen. Schneebrücken platterdings nicht zu erkennen. Hat es auf dieSchneebrücken inzwiſchen wieder geregnet oder hat die Sonne die obere Schicht erweicht, daß dieſe einſinkend ſich verdichtet und dann wieder friert, ſo kann man ohne alle Gefahr darüber hinweg¬ gehen; eine Fuß dicke Schneebrücke, wenn ſie keine allzubreite Span¬ nung hat, trägt ihren Mann. Um jedoch dem bei Gletſchertouren ſehr oft vorkommenden Einbrechen zu begegnen, knüpfen ſich Führer und Geführte in Entfernung von etwa 4 Schritten an ein langes, um den Leib geſchlungenes Seil, damit, wenn Einer derſelben einſinken ſollte, die Uebrigen ihn leicht hervorziehen können. Das Unter¬ laſſen dieſer Vorſichtsmaßregel hat ſchon viel traurige Fälle zur Folge gehabt. Im Jahre 1821 ſtürzte auf der Höhe des Grindel¬ waldgletſchers der junge, waatländiſche Pfarrer Meuron in eine 121 Fuß tiefe Spalte und wurde erſt ſpät, nach Ableitung des unterm Gletſcher fließenden Baches, todt heraufgezogen und auf dem Grindel¬ walder Friedhofe zur Ruhe beſtattet. Sein jüngſtes Opfer ver¬ ſchlang der gleiche Gletſcher am 10. Juni 1860. — Ebenſo kamen Dr. Bürſtenbinder aus Berlin auf dem Oezthal-Gletſcher in Tyrol 1846 und ein vornehmer Ruſſe auf dem Findelen-Gletſcher im Sommer 1859 durch ähnliche Stürze ums Leben. — Im Juli 1836 fiel der Führer Michael Devouaſſon auf dem Glacier du Talêfre, unweit des Jardin, in eine ſolche Spalte, arbeitete ſich aber unter Hilfe ſeines Taſchenmeſſers, mit dem er Tritte in die Eis¬ wände grub, wieder mühſam hervor. Sein Torniſter, den er dabei verloren, wurde zehn Jahre ſpäter ſtückweiſe, 4300 Fuß weiter un¬ ten, am Fuß des Couvercle, vom Gletſcher wieder ausgeworfen. — In ähnlicher Weiſe rettete ſich auf dem Roſegg-Gletſcher (am Ber¬ nina) ein in eine Gletſcherſpalte geſtürzter Gemſenjäger, der, weil die Wände der über 60 Fuß tiefen Spalte unten zu weit ausein¬ ander lagen, ſich den Alpenſtock an das eine Bein band und ſo, die Kluft überſpreizend, ſich langſam hinaufarbeiten konnte. — Auf dem Trift-Gletſcher (Kant. Bern) ſtürzte 1803 der Gemſen¬ Berlepſch, die Alpen. 17
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0291" n="257"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Alpenſpitzen</hi>.<lb/></fw> Schneebrücken platterdings nicht zu erkennen. Hat es auf die<lb/> Schneebrücken inzwiſchen wieder geregnet oder hat die Sonne die<lb/> obere Schicht erweicht, daß dieſe einſinkend ſich verdichtet und<lb/> dann wieder friert, ſo kann man ohne alle Gefahr darüber hinweg¬<lb/> gehen; eine Fuß dicke Schneebrücke, wenn ſie keine allzubreite Span¬<lb/> nung hat, trägt ihren Mann. Um jedoch dem bei Gletſchertouren<lb/> ſehr oft vorkommenden Einbrechen zu begegnen, knüpfen ſich Führer<lb/> und Geführte in Entfernung von etwa 4 Schritten an ein langes,<lb/> um den Leib geſchlungenes Seil, damit, wenn Einer derſelben<lb/> einſinken ſollte, die Uebrigen ihn leicht hervorziehen können. Das Unter¬<lb/> laſſen dieſer Vorſichtsmaßregel hat ſchon viel traurige Fälle zur<lb/> Folge gehabt. Im Jahre 1821 ſtürzte auf der Höhe des Grindel¬<lb/> waldgletſchers der junge, waatländiſche Pfarrer Meuron in eine<lb/> 121 Fuß tiefe Spalte und wurde erſt ſpät, nach Ableitung des unterm<lb/> Gletſcher fließenden Baches, todt heraufgezogen und auf dem Grindel¬<lb/> walder Friedhofe zur Ruhe beſtattet. Sein jüngſtes Opfer ver¬<lb/> ſchlang der gleiche Gletſcher am 10. Juni 1860. — Ebenſo kamen<lb/><hi rendition="#aq">Dr</hi>. Bürſtenbinder aus Berlin auf dem Oezthal-Gletſcher in Tyrol<lb/> 1846 und ein vornehmer Ruſſe auf dem Findelen-Gletſcher im<lb/> Sommer 1859 durch ähnliche Stürze ums Leben. — Im Juli<lb/> 1836 fiel der Führer Michael Devouaſſon auf dem <hi rendition="#aq">Glacier du<lb/> Talêfre,</hi> unweit des <hi rendition="#aq">Jardin</hi>, in eine ſolche Spalte, arbeitete ſich<lb/> aber unter Hilfe ſeines Taſchenmeſſers, mit dem er Tritte in die Eis¬<lb/> wände grub, wieder mühſam hervor. Sein Torniſter, den er dabei<lb/> verloren, wurde zehn Jahre ſpäter ſtückweiſe, 4300 Fuß weiter un¬<lb/> ten, am Fuß des <hi rendition="#aq">Couvercle</hi>, vom Gletſcher wieder ausgeworfen. —<lb/> In ähnlicher Weiſe rettete ſich auf dem Roſegg-Gletſcher (am Ber¬<lb/> nina) ein in eine Gletſcherſpalte geſtürzter Gemſenjäger, der, weil<lb/> die Wände der über 60 Fuß tiefen Spalte unten zu weit ausein¬<lb/> ander lagen, ſich den Alpenſtock an das eine Bein band und ſo,<lb/> die Kluft überſpreizend, ſich langſam hinaufarbeiten konnte. —<lb/> Auf dem Trift-Gletſcher (Kant. Bern) ſtürzte 1803 der Gemſen¬<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Berlepſch</hi>, die Alpen. 17<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [257/0291]
Alpenſpitzen.
Schneebrücken platterdings nicht zu erkennen. Hat es auf die
Schneebrücken inzwiſchen wieder geregnet oder hat die Sonne die
obere Schicht erweicht, daß dieſe einſinkend ſich verdichtet und
dann wieder friert, ſo kann man ohne alle Gefahr darüber hinweg¬
gehen; eine Fuß dicke Schneebrücke, wenn ſie keine allzubreite Span¬
nung hat, trägt ihren Mann. Um jedoch dem bei Gletſchertouren
ſehr oft vorkommenden Einbrechen zu begegnen, knüpfen ſich Führer
und Geführte in Entfernung von etwa 4 Schritten an ein langes,
um den Leib geſchlungenes Seil, damit, wenn Einer derſelben
einſinken ſollte, die Uebrigen ihn leicht hervorziehen können. Das Unter¬
laſſen dieſer Vorſichtsmaßregel hat ſchon viel traurige Fälle zur
Folge gehabt. Im Jahre 1821 ſtürzte auf der Höhe des Grindel¬
waldgletſchers der junge, waatländiſche Pfarrer Meuron in eine
121 Fuß tiefe Spalte und wurde erſt ſpät, nach Ableitung des unterm
Gletſcher fließenden Baches, todt heraufgezogen und auf dem Grindel¬
walder Friedhofe zur Ruhe beſtattet. Sein jüngſtes Opfer ver¬
ſchlang der gleiche Gletſcher am 10. Juni 1860. — Ebenſo kamen
Dr. Bürſtenbinder aus Berlin auf dem Oezthal-Gletſcher in Tyrol
1846 und ein vornehmer Ruſſe auf dem Findelen-Gletſcher im
Sommer 1859 durch ähnliche Stürze ums Leben. — Im Juli
1836 fiel der Führer Michael Devouaſſon auf dem Glacier du
Talêfre, unweit des Jardin, in eine ſolche Spalte, arbeitete ſich
aber unter Hilfe ſeines Taſchenmeſſers, mit dem er Tritte in die Eis¬
wände grub, wieder mühſam hervor. Sein Torniſter, den er dabei
verloren, wurde zehn Jahre ſpäter ſtückweiſe, 4300 Fuß weiter un¬
ten, am Fuß des Couvercle, vom Gletſcher wieder ausgeworfen. —
In ähnlicher Weiſe rettete ſich auf dem Roſegg-Gletſcher (am Ber¬
nina) ein in eine Gletſcherſpalte geſtürzter Gemſenjäger, der, weil
die Wände der über 60 Fuß tiefen Spalte unten zu weit ausein¬
ander lagen, ſich den Alpenſtock an das eine Bein band und ſo,
die Kluft überſpreizend, ſich langſam hinaufarbeiten konnte. —
Auf dem Trift-Gletſcher (Kant. Bern) ſtürzte 1803 der Gemſen¬
Berlepſch, die Alpen. 17
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |