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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Gletscher.
unlängst erst entstanden, leicht übersprungen werden können, und
wiederum solche, die zwölf Fuß und mehr breit sind. Meist steht
dann die Breite im Verhältniß zur Länge-Ausdehnung derselben,
und man hat deren schon gesehen, die quer über den ganzen Glet¬
scher, von einem Ufer desselben, bis zum andern liefen, also faktisch
den Gletscher in zwei Hälften theilten. Nach der Tiefe zu ver¬
engen sich die meisten. Der Einblick in dieselben gewährt in
der Regel das gleiche schöne Farbenspiel, wie bei den so eben er¬
wähnten Nadeln; besonders läßt sich die geaderte Struktur des
Gletscher-Eises gut an den Spalten-Wänden beobachten. Die Spalten
entstehen aus ähnlichen Ursachen, wie die Gletscher-Katarakte; zu
starke Spannung der Eismassen führen dieselben herbei. Die
Naturforscher Hugi und Agassiz, welche behufs specieller Studien
sich Hütten auf den Gletschern erbauen ließen und Wochen lang dort
verweilten, haben das Spaltenwerfen genau beobachtet. Es kündete
sich durch ein krachendes Getöse im Innern des Eiskörpers an,
welch letzterer, ähnlich wie bei einem Erdbeben, erzitterte. Bald
darauf zeigten sich Risse wie die einer gesprungenen Fensterscheibe
an der Oberfläche, deren Fortrücken und Längerwerden mit den
Augen verfolgt werden konnte. Oft war es jedoch auch der Fall, daß
die Spalte unmittelbar nach ihrer Entstehung sofort mehrere Cen¬
timeter weit auseinander klaffte. Die Erweiterung bildet sich dann
nach und nach immer mehr aus. Es ist indeß entgegengesetzt auch
beobachtet worden, daß bereits ausgebildete, breite und tiefe Glet¬
scherspalten, in Folge der Konfiguration des Gletscher-Bodens, sich
wieder schlossen und gleichsam vernarbten. Gewöhnlich sieht man
nur wenige mit Wasser gefüllt, weil einerseits viele derselben mit
unterirdischen Tunnels und Kanälen in Verbindung stehen mögen,
mittelst welcher das aufgenommene Gletscherwasser sogleich weiter¬
befördert und dem Hauptbache zugesandt wird, -- andererseits weil
die, vom gewöhnlichen Fluß- oder See-Eis wesentlich verschiedene
Struktur des Gletscher-Eises eine ununterbrochene Infiltration des

Der Gletſcher.
unlängſt erſt entſtanden, leicht überſprungen werden können, und
wiederum ſolche, die zwölf Fuß und mehr breit ſind. Meiſt ſteht
dann die Breite im Verhältniß zur Länge-Ausdehnung derſelben,
und man hat deren ſchon geſehen, die quer über den ganzen Glet¬
ſcher, von einem Ufer deſſelben, bis zum andern liefen, alſo faktiſch
den Gletſcher in zwei Hälften theilten. Nach der Tiefe zu ver¬
engen ſich die meiſten. Der Einblick in dieſelben gewährt in
der Regel das gleiche ſchöne Farbenſpiel, wie bei den ſo eben er¬
wähnten Nadeln; beſonders läßt ſich die geaderte Struktur des
Gletſcher-Eiſes gut an den Spalten-Wänden beobachten. Die Spalten
entſtehen aus ähnlichen Urſachen, wie die Gletſcher-Katarakte; zu
ſtarke Spannung der Eismaſſen führen dieſelben herbei. Die
Naturforſcher Hugi und Agaſſiz, welche behufs ſpecieller Studien
ſich Hütten auf den Gletſchern erbauen ließen und Wochen lang dort
verweilten, haben das Spaltenwerfen genau beobachtet. Es kündete
ſich durch ein krachendes Getöſe im Innern des Eiskörpers an,
welch letzterer, ähnlich wie bei einem Erdbeben, erzitterte. Bald
darauf zeigten ſich Riſſe wie die einer geſprungenen Fenſterſcheibe
an der Oberfläche, deren Fortrücken und Längerwerden mit den
Augen verfolgt werden konnte. Oft war es jedoch auch der Fall, daß
die Spalte unmittelbar nach ihrer Entſtehung ſofort mehrere Cen¬
timeter weit auseinander klaffte. Die Erweiterung bildet ſich dann
nach und nach immer mehr aus. Es iſt indeß entgegengeſetzt auch
beobachtet worden, daß bereits ausgebildete, breite und tiefe Glet¬
ſcherſpalten, in Folge der Konfiguration des Gletſcher-Bodens, ſich
wieder ſchloſſen und gleichſam vernarbten. Gewöhnlich ſieht man
nur wenige mit Waſſer gefüllt, weil einerſeits viele derſelben mit
unterirdiſchen Tunnels und Kanälen in Verbindung ſtehen mögen,
mittelſt welcher das aufgenommene Gletſcherwaſſer ſogleich weiter¬
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[224/0256] Der Gletſcher. unlängſt erſt entſtanden, leicht überſprungen werden können, und wiederum ſolche, die zwölf Fuß und mehr breit ſind. Meiſt ſteht dann die Breite im Verhältniß zur Länge-Ausdehnung derſelben, und man hat deren ſchon geſehen, die quer über den ganzen Glet¬ ſcher, von einem Ufer deſſelben, bis zum andern liefen, alſo faktiſch den Gletſcher in zwei Hälften theilten. Nach der Tiefe zu ver¬ engen ſich die meiſten. Der Einblick in dieſelben gewährt in der Regel das gleiche ſchöne Farbenſpiel, wie bei den ſo eben er¬ wähnten Nadeln; beſonders läßt ſich die geaderte Struktur des Gletſcher-Eiſes gut an den Spalten-Wänden beobachten. Die Spalten entſtehen aus ähnlichen Urſachen, wie die Gletſcher-Katarakte; zu ſtarke Spannung der Eismaſſen führen dieſelben herbei. Die Naturforſcher Hugi und Agaſſiz, welche behufs ſpecieller Studien ſich Hütten auf den Gletſchern erbauen ließen und Wochen lang dort verweilten, haben das Spaltenwerfen genau beobachtet. Es kündete ſich durch ein krachendes Getöſe im Innern des Eiskörpers an, welch letzterer, ähnlich wie bei einem Erdbeben, erzitterte. Bald darauf zeigten ſich Riſſe wie die einer geſprungenen Fenſterſcheibe an der Oberfläche, deren Fortrücken und Längerwerden mit den Augen verfolgt werden konnte. Oft war es jedoch auch der Fall, daß die Spalte unmittelbar nach ihrer Entſtehung ſofort mehrere Cen¬ timeter weit auseinander klaffte. Die Erweiterung bildet ſich dann nach und nach immer mehr aus. Es iſt indeß entgegengeſetzt auch beobachtet worden, daß bereits ausgebildete, breite und tiefe Glet¬ ſcherſpalten, in Folge der Konfiguration des Gletſcher-Bodens, ſich wieder ſchloſſen und gleichſam vernarbten. Gewöhnlich ſieht man nur wenige mit Waſſer gefüllt, weil einerſeits viele derſelben mit unterirdiſchen Tunnels und Kanälen in Verbindung ſtehen mögen, mittelſt welcher das aufgenommene Gletſcherwaſſer ſogleich weiter¬ befördert und dem Hauptbache zugeſandt wird, — andererſeits weil die, vom gewöhnlichen Fluß- oder See-Eis weſentlich verſchiedene Struktur des Gletſcher-Eiſes eine ununterbrochene Infiltration des

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/256>, abgerufen am 17.05.2024.