Berge gesehen, schwinden die mächtigsten Gletscher unter dem Druck der imponirenden Felsen-Umgebung zu untergeordneten, schmutzig- weißen Streifen zusammen. Diese, die Gebirgsriesen der Granit- und Kalk-Dome mit ihren Zinken, Riffen und Kämmen, steigen frei und kühn in die Lüfte, zeigen die Größe ihrer Körperfülle in kräftigen, derben Linien und geben durch diese mehrseitigen Profile Anhaltepunkte für die Höhen-Dimensionen; -- der Gletscher birgt die Summe seines unberechenbaren Inhaltes in den Gebirgs-Einschnit¬ ten, welche er ausfüllt, er ist ein begrabener Körper, der nur die einseitige Oberfläche bloslegt. Darum kann auch hier nur wieder eine Wanderung über den Rücken dieser Eisschlange, der Einblick in seine Spalten, Abgründe und geheimnißvollen Tiefen, das Be¬ treten eines Gletscher-Thores uns einläßlich instruiren.
Ausgebildete, alle charakteristischen Merkmale an sich tragende Gletscher giebt es nur in den Central-Stöcken der Alpen, dort wo die Gebirgshebung unmittelbar und energisch stattfand. Die größten und umfangreichsten Gletscher-Reviere sind die Central-Massen des Montblanc, der Walliser und Berner Alpen, der Bernina in Grau¬ bünden und der Oezthaler-Gruppe im Tyrol, also jene, welche in ihre Hochmulden die ausgebreitetsten Firn-Magazine einschließen. Bedeutende Gletscher ersten Ranges enthalten außerdem die graji¬ schen Alpen Savoyens, die Tödi-Gruppe auf der Gränze von Uri, Glarus und Graubünden, die Centralmasse des Adula oder Rhein¬ waldhornes, die Silvretta-Gruppe im Unter-Engadin, die Ortler- Gruppe und die Tauern der Salzburger und Kärnthnischen Alpen. Unausgebildete Gletscher und solche von sekundärem Range finden sich in allen Alpentheilen, welche die absolute Höhe von 8000 Fuß erreichen und in dieser Höhe nur einigermaßen nennenswerthe Hoch¬ flächen einschließen, die Schneevorräthe anzusammeln geeignet sind. Gletscher in Bergzügen suchen zu wollen, die in ihrer mittleren Erhebung die Schneegränze (7000--8000 Fuß) nicht überschreiten, würde ein vergebliches Beginnen sein.
Der Gletſcher.
Berge geſehen, ſchwinden die mächtigſten Gletſcher unter dem Druck der imponirenden Felſen-Umgebung zu untergeordneten, ſchmutzig- weißen Streifen zuſammen. Dieſe, die Gebirgsrieſen der Granit- und Kalk-Dome mit ihren Zinken, Riffen und Kämmen, ſteigen frei und kühn in die Lüfte, zeigen die Größe ihrer Körperfülle in kräftigen, derben Linien und geben durch dieſe mehrſeitigen Profile Anhaltepunkte für die Höhen-Dimenſionen; — der Gletſcher birgt die Summe ſeines unberechenbaren Inhaltes in den Gebirgs-Einſchnit¬ ten, welche er ausfüllt, er iſt ein begrabener Körper, der nur die einſeitige Oberfläche bloslegt. Darum kann auch hier nur wieder eine Wanderung über den Rücken dieſer Eisſchlange, der Einblick in ſeine Spalten, Abgründe und geheimnißvollen Tiefen, das Be¬ treten eines Gletſcher-Thores uns einläßlich inſtruiren.
Ausgebildete, alle charakteriſtiſchen Merkmale an ſich tragende Gletſcher giebt es nur in den Central-Stöcken der Alpen, dort wo die Gebirgshebung unmittelbar und energiſch ſtattfand. Die größten und umfangreichſten Gletſcher-Reviere ſind die Central-Maſſen des Montblanc, der Walliſer und Berner Alpen, der Bernina in Grau¬ bünden und der Oezthaler-Gruppe im Tyrol, alſo jene, welche in ihre Hochmulden die ausgebreitetſten Firn-Magazine einſchließen. Bedeutende Gletſcher erſten Ranges enthalten außerdem die graji¬ ſchen Alpen Savoyens, die Tödi-Gruppe auf der Gränze von Uri, Glarus und Graubünden, die Centralmaſſe des Adula oder Rhein¬ waldhornes, die Silvretta-Gruppe im Unter-Engadin, die Ortler- Gruppe und die Tauern der Salzburger und Kärnthniſchen Alpen. Unausgebildete Gletſcher und ſolche von ſekundärem Range finden ſich in allen Alpentheilen, welche die abſolute Höhe von 8000 Fuß erreichen und in dieſer Höhe nur einigermaßen nennenswerthe Hoch¬ flächen einſchließen, die Schneevorräthe anzuſammeln geeignet ſind. Gletſcher in Bergzügen ſuchen zu wollen, die in ihrer mittleren Erhebung die Schneegränze (7000—8000 Fuß) nicht überſchreiten, würde ein vergebliches Beginnen ſein.
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Der Gletſcher.
Berge geſehen, ſchwinden die mächtigſten Gletſcher unter dem Druck
der imponirenden Felſen-Umgebung zu untergeordneten, ſchmutzig-
weißen Streifen zuſammen. Dieſe, die Gebirgsrieſen der Granit-
und Kalk-Dome mit ihren Zinken, Riffen und Kämmen, ſteigen
frei und kühn in die Lüfte, zeigen die Größe ihrer Körperfülle in
kräftigen, derben Linien und geben durch dieſe mehrſeitigen Profile
Anhaltepunkte für die Höhen-Dimenſionen; — der Gletſcher birgt die
Summe ſeines unberechenbaren Inhaltes in den Gebirgs-Einſchnit¬
ten, welche er ausfüllt, er iſt ein begrabener Körper, der nur die
einſeitige Oberfläche bloslegt. Darum kann auch hier nur wieder
eine Wanderung über den Rücken dieſer Eisſchlange, der Einblick
in ſeine Spalten, Abgründe und geheimnißvollen Tiefen, das Be¬
treten eines Gletſcher-Thores uns einläßlich inſtruiren.
Ausgebildete, alle charakteriſtiſchen Merkmale an ſich tragende
Gletſcher giebt es nur in den Central-Stöcken der Alpen, dort wo
die Gebirgshebung unmittelbar und energiſch ſtattfand. Die größten
und umfangreichſten Gletſcher-Reviere ſind die Central-Maſſen des
Montblanc, der Walliſer und Berner Alpen, der Bernina in Grau¬
bünden und der Oezthaler-Gruppe im Tyrol, alſo jene, welche in
ihre Hochmulden die ausgebreitetſten Firn-Magazine einſchließen.
Bedeutende Gletſcher erſten Ranges enthalten außerdem die graji¬
ſchen Alpen Savoyens, die Tödi-Gruppe auf der Gränze von Uri,
Glarus und Graubünden, die Centralmaſſe des Adula oder Rhein¬
waldhornes, die Silvretta-Gruppe im Unter-Engadin, die Ortler-
Gruppe und die Tauern der Salzburger und Kärnthniſchen Alpen.
Unausgebildete Gletſcher und ſolche von ſekundärem Range finden
ſich in allen Alpentheilen, welche die abſolute Höhe von 8000 Fuß
erreichen und in dieſer Höhe nur einigermaßen nennenswerthe Hoch¬
flächen einſchließen, die Schneevorräthe anzuſammeln geeignet ſind.
Gletſcher in Bergzügen ſuchen zu wollen, die in ihrer mittleren
Erhebung die Schneegränze (7000—8000 Fuß) nicht überſchreiten,
würde ein vergebliches Beginnen ſein.
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/248>, abgerufen am 16.02.2025.
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