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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Hoch-Gewitter.
Hand geschleuderten Blitzbündel. Jedes Donners Rollen, das sein
Resonanz-Maaß schon genügend in den Wolkenkammern findet,
brüllt außerdem, im hundertstimmigen Echo aus allen Felsenklüften
und Thaltiefen zurückgeworfen, wieder hervor und bildet gleichsam
in seiner nicht enden wollenden Permanenz eine Grund-Fermate,
auf welcher sich die neuen, accentuirten Solo-Schläge wie die vor¬
wärtsschreitende Melodie der imposanten Gewitter-Symphonie ab¬
lösen. Es ist ein Akt der Natur-Souveränetät, dessen Eindruck
völlig zerschmetternd auf den Zeugen derselben wirkt. Schlägts
dann vollends gar in eine Wettertanne oder eine einzeln stehende
Alphütte ein, dann kracht die Salve, als ob ringsum das Felsen¬
gebäude schier in Milliarden Fetzen zerspritzen sollte.

Das ist in schwachen Umrissen das Bild eines hochgehen¬
den Wetters. Sie steigen in den Alpen bis über 14000 Fuß;
denn de Saussure sah sie an der Dome de Goute unterm Mont¬
blanc-Gipfel, und die Bewohner von Zermatt beobachteten solche,
die noch über der Spitze des Matterhornes sich entluden. -- Im
Westen von Mexiko sah Alex. v. Humboldt Gewitterspuren an der
höchsten Spitze des Toluca-Hauptgipfels bei 14720 Fuß Höhe; in
den peruanischen Cordilleren überfiel die Reisenden Bouguer und
la Condamine auf dem Pichincha ein Gewitter in der Höhe von
15500 Fuß, und viele glaubwürdige Berichte erzählen von solchen,
die in den Pyrenäen bei 10000 Fuß und darüber tobten.

Die meisten Gewitter streichen aber im Gebirge tiefer; zwei-
bis dreitausend Fuß über der Thalsohle mag die aerische Region
derselben sein. Daß sie indessen noch viel tiefer sinken können,
bestätigen tausendfache Aussagen der Alpenbewohner. Ja, es ist
sogar ein Fall konstatirt, daß bei dem Gewitter, welches am 26.
Aug. 1827 zwei Geistliche während der Vesper im Kloster Admont
in Oesterreich erschlug, das Kreuz des 114 Fuß hohen Kloster¬
thurmes noch über die Wolken herausragte und das Gewitter selbst
etwa nur 90 Fuß vom Erdboden entfernt war. Dieser Tiefgang

Hoch-Gewitter.
Hand geſchleuderten Blitzbündel. Jedes Donners Rollen, das ſein
Reſonanz-Maaß ſchon genügend in den Wolkenkammern findet,
brüllt außerdem, im hundertſtimmigen Echo aus allen Felſenklüften
und Thaltiefen zurückgeworfen, wieder hervor und bildet gleichſam
in ſeiner nicht enden wollenden Permanenz eine Grund-Fermate,
auf welcher ſich die neuen, accentuirten Solo-Schläge wie die vor¬
wärtsſchreitende Melodie der impoſanten Gewitter-Symphonie ab¬
löſen. Es iſt ein Akt der Natur-Souveränetät, deſſen Eindruck
völlig zerſchmetternd auf den Zeugen derſelben wirkt. Schlägts
dann vollends gar in eine Wettertanne oder eine einzeln ſtehende
Alphütte ein, dann kracht die Salve, als ob ringsum das Felſen¬
gebäude ſchier in Milliarden Fetzen zerſpritzen ſollte.

Das iſt in ſchwachen Umriſſen das Bild eines hochgehen¬
den Wetters. Sie ſteigen in den Alpen bis über 14000 Fuß;
denn de Sauſſure ſah ſie an der Dôme de Gouté unterm Mont¬
blanc-Gipfel, und die Bewohner von Zermatt beobachteten ſolche,
die noch über der Spitze des Matterhornes ſich entluden. — Im
Weſten von Mexiko ſah Alex. v. Humboldt Gewitterſpuren an der
höchſten Spitze des Toluca-Hauptgipfels bei 14720 Fuß Höhe; in
den peruaniſchen Cordilleren überfiel die Reiſenden Bouguer und
la Condamine auf dem Pichincha ein Gewitter in der Höhe von
15500 Fuß, und viele glaubwürdige Berichte erzählen von ſolchen,
die in den Pyrenäen bei 10000 Fuß und darüber tobten.

Die meiſten Gewitter ſtreichen aber im Gebirge tiefer; zwei-
bis dreitauſend Fuß über der Thalſohle mag die aëriſche Region
derſelben ſein. Daß ſie indeſſen noch viel tiefer ſinken können,
beſtätigen tauſendfache Ausſagen der Alpenbewohner. Ja, es iſt
ſogar ein Fall konſtatirt, daß bei dem Gewitter, welches am 26.
Aug. 1827 zwei Geiſtliche während der Vesper im Kloſter Admont
in Oeſterreich erſchlug, das Kreuz des 114 Fuß hohen Kloſter¬
thurmes noch über die Wolken herausragte und das Gewitter ſelbſt
etwa nur 90 Fuß vom Erdboden entfernt war. Dieſer Tiefgang

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[143/0171] Hoch-Gewitter. Hand geſchleuderten Blitzbündel. Jedes Donners Rollen, das ſein Reſonanz-Maaß ſchon genügend in den Wolkenkammern findet, brüllt außerdem, im hundertſtimmigen Echo aus allen Felſenklüften und Thaltiefen zurückgeworfen, wieder hervor und bildet gleichſam in ſeiner nicht enden wollenden Permanenz eine Grund-Fermate, auf welcher ſich die neuen, accentuirten Solo-Schläge wie die vor¬ wärtsſchreitende Melodie der impoſanten Gewitter-Symphonie ab¬ löſen. Es iſt ein Akt der Natur-Souveränetät, deſſen Eindruck völlig zerſchmetternd auf den Zeugen derſelben wirkt. Schlägts dann vollends gar in eine Wettertanne oder eine einzeln ſtehende Alphütte ein, dann kracht die Salve, als ob ringsum das Felſen¬ gebäude ſchier in Milliarden Fetzen zerſpritzen ſollte. Das iſt in ſchwachen Umriſſen das Bild eines hochgehen¬ den Wetters. Sie ſteigen in den Alpen bis über 14000 Fuß; denn de Sauſſure ſah ſie an der Dôme de Gouté unterm Mont¬ blanc-Gipfel, und die Bewohner von Zermatt beobachteten ſolche, die noch über der Spitze des Matterhornes ſich entluden. — Im Weſten von Mexiko ſah Alex. v. Humboldt Gewitterſpuren an der höchſten Spitze des Toluca-Hauptgipfels bei 14720 Fuß Höhe; in den peruaniſchen Cordilleren überfiel die Reiſenden Bouguer und la Condamine auf dem Pichincha ein Gewitter in der Höhe von 15500 Fuß, und viele glaubwürdige Berichte erzählen von ſolchen, die in den Pyrenäen bei 10000 Fuß und darüber tobten. Die meiſten Gewitter ſtreichen aber im Gebirge tiefer; zwei- bis dreitauſend Fuß über der Thalſohle mag die aëriſche Region derſelben ſein. Daß ſie indeſſen noch viel tiefer ſinken können, beſtätigen tauſendfache Ausſagen der Alpenbewohner. Ja, es iſt ſogar ein Fall konſtatirt, daß bei dem Gewitter, welches am 26. Aug. 1827 zwei Geiſtliche während der Vesper im Kloſter Admont in Oeſterreich erſchlug, das Kreuz des 114 Fuß hohen Kloſter¬ thurmes noch über die Wolken herausragte und das Gewitter ſelbſt etwa nur 90 Fuß vom Erdboden entfernt war. Dieſer Tiefgang

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/171>, abgerufen am 02.05.2024.