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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Eine Nebel-Novelle.
einige Stunden Zeit, dann verlor er nach und nach seine Spann¬
kraft, und draußen lief, nach wie vor, das nasse Einerlei vom Himmel
hernieder. Wie begonnen, so endete der Tag, und auch, die zweite
Nacht. Der dritte Morgen brachte abermals Nebel und Regen in
Strömen. Jetzt fing die Geschichte an ernstlich langweilig zu
werden.

Abermals war Mittag vorüber. Während ich, mit den Fin¬
gern am Fenster trommelnd, gedankenlos in die große General¬
wäsche der Natur hinausschaue, kommen zwei junge kräftige Män¬
ner, der eine bedeutend größer und breitschulteriger als der
andere, gegen das Wirthshaus heraufgewandert, -- so gründlich
und vollständig durchnäßt, daß sie nicht nasser werden konnten.
Die Hüttenkolonisten, meine Freunde und Lehrer von gestern, kannte
ich sämmtlich; -- dies waren neue Gesichter, -- Grund genug,
mein Interesse an ihrer Person, ihrem Erscheinen zu erhöhen.
Woher? Wohin? Hierbleiben oder Weiterwandern? Fremd oder
Einheimisch? fragte ich mich selbst mit Neugierde, denn ein Kom¬
men unter solchen Umständen war ein Ereigniß, mußte irgend
einen triftigen Grund bei diesem triefenden Regen haben. Der
Eine, Größere, ging geraden Schrittes auf den vor dem Hause
stehenden Brunnentrog und seine immerwährend laufende Röhre
zu, begann Stock und Schirm abzulegen, überhaupt zu irgend
einem Geschäft sich anzuschicken. Was? auch noch waschen? bei
dieser exemplarischen Durchnässung, wo der ganze Körper schon
einem unfreiwilligen Vollbade seit geraumer Zeit ausgesetzt sein
mußte? Das schien mir Luxus zu sein. Jetzt zog er seine dicken,
schweren, rindsledernen Schuhe aus, hielt dieselben unter den lau¬
fenden Wasserstrahl und schwenkte sie zwei, drei Mal aus, wie man
ein unreinliches Glas säubert; er hatte Sand und kleine Kiesel
drin gehabt. Diese Abhilfe war mir ein wenig allzu radikal, so
konnte nur ein Naturmensch handeln, der mit Wind und Wetter
auf Du und Du steht.

Eine Nebel-Novelle.
einige Stunden Zeit, dann verlor er nach und nach ſeine Spann¬
kraft, und draußen lief, nach wie vor, das naſſe Einerlei vom Himmel
hernieder. Wie begonnen, ſo endete der Tag, und auch, die zweite
Nacht. Der dritte Morgen brachte abermals Nebel und Regen in
Strömen. Jetzt fing die Geſchichte an ernſtlich langweilig zu
werden.

Abermals war Mittag vorüber. Während ich, mit den Fin¬
gern am Fenſter trommelnd, gedankenlos in die große General¬
wäſche der Natur hinausſchaue, kommen zwei junge kräftige Män¬
ner, der eine bedeutend größer und breitſchulteriger als der
andere, gegen das Wirthshaus heraufgewandert, — ſo gründlich
und vollſtändig durchnäßt, daß ſie nicht naſſer werden konnten.
Die Hüttenkoloniſten, meine Freunde und Lehrer von geſtern, kannte
ich ſämmtlich; — dies waren neue Geſichter, — Grund genug,
mein Intereſſe an ihrer Perſon, ihrem Erſcheinen zu erhöhen.
Woher? Wohin? Hierbleiben oder Weiterwandern? Fremd oder
Einheimiſch? fragte ich mich ſelbſt mit Neugierde, denn ein Kom¬
men unter ſolchen Umſtänden war ein Ereigniß, mußte irgend
einen triftigen Grund bei dieſem triefenden Regen haben. Der
Eine, Größere, ging geraden Schrittes auf den vor dem Hauſe
ſtehenden Brunnentrog und ſeine immerwährend laufende Röhre
zu, begann Stock und Schirm abzulegen, überhaupt zu irgend
einem Geſchäft ſich anzuſchicken. Was? auch noch waſchen? bei
dieſer exemplariſchen Durchnäſſung, wo der ganze Körper ſchon
einem unfreiwilligen Vollbade ſeit geraumer Zeit ausgeſetzt ſein
mußte? Das ſchien mir Luxus zu ſein. Jetzt zog er ſeine dicken,
ſchweren, rindsledernen Schuhe aus, hielt dieſelben unter den lau¬
fenden Waſſerſtrahl und ſchwenkte ſie zwei, drei Mal aus, wie man
ein unreinliches Glas ſäubert; er hatte Sand und kleine Kieſel
drin gehabt. Dieſe Abhilfe war mir ein wenig allzu radikal, ſo
konnte nur ein Naturmenſch handeln, der mit Wind und Wetter
auf Du und Du ſteht.

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[123/0151] Eine Nebel-Novelle. einige Stunden Zeit, dann verlor er nach und nach ſeine Spann¬ kraft, und draußen lief, nach wie vor, das naſſe Einerlei vom Himmel hernieder. Wie begonnen, ſo endete der Tag, und auch, die zweite Nacht. Der dritte Morgen brachte abermals Nebel und Regen in Strömen. Jetzt fing die Geſchichte an ernſtlich langweilig zu werden. Abermals war Mittag vorüber. Während ich, mit den Fin¬ gern am Fenſter trommelnd, gedankenlos in die große General¬ wäſche der Natur hinausſchaue, kommen zwei junge kräftige Män¬ ner, der eine bedeutend größer und breitſchulteriger als der andere, gegen das Wirthshaus heraufgewandert, — ſo gründlich und vollſtändig durchnäßt, daß ſie nicht naſſer werden konnten. Die Hüttenkoloniſten, meine Freunde und Lehrer von geſtern, kannte ich ſämmtlich; — dies waren neue Geſichter, — Grund genug, mein Intereſſe an ihrer Perſon, ihrem Erſcheinen zu erhöhen. Woher? Wohin? Hierbleiben oder Weiterwandern? Fremd oder Einheimiſch? fragte ich mich ſelbſt mit Neugierde, denn ein Kom¬ men unter ſolchen Umſtänden war ein Ereigniß, mußte irgend einen triftigen Grund bei dieſem triefenden Regen haben. Der Eine, Größere, ging geraden Schrittes auf den vor dem Hauſe ſtehenden Brunnentrog und ſeine immerwährend laufende Röhre zu, begann Stock und Schirm abzulegen, überhaupt zu irgend einem Geſchäft ſich anzuſchicken. Was? auch noch waſchen? bei dieſer exemplariſchen Durchnäſſung, wo der ganze Körper ſchon einem unfreiwilligen Vollbade ſeit geraumer Zeit ausgeſetzt ſein mußte? Das ſchien mir Luxus zu ſein. Jetzt zog er ſeine dicken, ſchweren, rindsledernen Schuhe aus, hielt dieſelben unter den lau¬ fenden Waſſerſtrahl und ſchwenkte ſie zwei, drei Mal aus, wie man ein unreinliches Glas ſäubert; er hatte Sand und kleine Kieſel drin gehabt. Dieſe Abhilfe war mir ein wenig allzu radikal, ſo konnte nur ein Naturmenſch handeln, der mit Wind und Wetter auf Du und Du ſteht.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/151>, abgerufen am 28.11.2024.