zu der freundlichen Hüttenkolonie. Die Bauern von Montreux, denen die umliegenden fetten Bergwiesen gehören, waren hier oben, um ihr Oehmd (Grummet, zweites Heu) einzuheimsen. Da geht es denn bei Mr. Dufour lebendiger her als sonst, besonders am Abend.
Kaum hatte ich bei einer Flasche trefflichen Waadtländer Wei¬ nes eine halbe Stunde gerastet, als einer der Bergbauern mit der tröstlichen Nachricht eintrat: "y pliau" (es regnet). Also der Professoren-Führer hatte doch recht gehabt. Dieser Pliau verdich¬ tete sich aber zusehends, und mit dem raschen Eintritt der Däm¬ merung schienen alle Schleusen der himmlischen Bäche gezogen zu sein. -- Abendbrod, -- Gute Nacht, -- zu Bett! -- war das einzige Rettungsmittel gegen den im Anmarsch begriffenen Unmuth. Morgen kanns ja besser sein.
Gegen Morgen, als ich erwachte: O weh! Fortsetzung vom vorigen Abend. Das Rieseln der Wasserfäden über die gesättig¬ ten, glänzenden Dachziegeln in die erklingende Blechrinne, und das plätschernde Abtröpfeln der Traufe aufs Pflaster hat gleich jedem anderen monotonen Geräusch eine magnetisch einschläfernde Kraft. -- Auch ich erlag ihren Einwirkungen. Nach 9 Uhr er¬ wachte ich zum zweiten Mal. Ein Blick durchs Fenster, -- Ne¬ bel und dichter Regen! Von der Gegend waren nur die näher gelegenen Partieen sichtbar! Drunten, nach dem See zu, der sonst so reizende Einblick, war dicht verschleiert durch graue, tiefhängende Wolken. Die Tagesparole: Hierbleiben und in Geduld Abwarten! diktirte sich von selbst.
Ich hatte tausend Prozent vor jedem ähnlichen Unfall, wenn er mir zum Beispiel in einer, von aller Welt abgeschnittenen, ein¬ samen Alpenhütte begegnet wäre, voraus; denn Mr. Dufours Wohnung war ein ganz ordentliches Häuschen, das genugsam ge¬ gen die Unbilden der Witterung schützte, und das Bett in meinem
Eine Nebel-Novelle.
zu der freundlichen Hüttenkolonie. Die Bauern von Montreux, denen die umliegenden fetten Bergwieſen gehören, waren hier oben, um ihr Oehmd (Grummet, zweites Heu) einzuheimſen. Da geht es denn bei Mr. Dufour lebendiger her als ſonſt, beſonders am Abend.
Kaum hatte ich bei einer Flaſche trefflichen Waadtländer Wei¬ nes eine halbe Stunde geraſtet, als einer der Bergbauern mit der tröſtlichen Nachricht eintrat: „y pliau“ (es regnet). Alſo der Profeſſoren-Führer hatte doch recht gehabt. Dieſer Pliau verdich¬ tete ſich aber zuſehends, und mit dem raſchen Eintritt der Däm¬ merung ſchienen alle Schleuſen der himmliſchen Bäche gezogen zu ſein. — Abendbrod, — Gute Nacht, — zu Bett! — war das einzige Rettungsmittel gegen den im Anmarſch begriffenen Unmuth. Morgen kanns ja beſſer ſein.
Gegen Morgen, als ich erwachte: O weh! Fortſetzung vom vorigen Abend. Das Rieſeln der Waſſerfäden über die geſättig¬ ten, glänzenden Dachziegeln in die erklingende Blechrinne, und das plätſchernde Abtröpfeln der Traufe aufs Pflaſter hat gleich jedem anderen monotonen Geräuſch eine magnetiſch einſchläfernde Kraft. — Auch ich erlag ihren Einwirkungen. Nach 9 Uhr er¬ wachte ich zum zweiten Mal. Ein Blick durchs Fenſter, — Ne¬ bel und dichter Regen! Von der Gegend waren nur die näher gelegenen Partieen ſichtbar! Drunten, nach dem See zu, der ſonſt ſo reizende Einblick, war dicht verſchleiert durch graue, tiefhängende Wolken. Die Tagesparole: Hierbleiben und in Geduld Abwarten! diktirte ſich von ſelbſt.
Ich hatte tauſend Prozent vor jedem ähnlichen Unfall, wenn er mir zum Beiſpiel in einer, von aller Welt abgeſchnittenen, ein¬ ſamen Alpenhütte begegnet wäre, voraus; denn Mr. Dufours Wohnung war ein ganz ordentliches Häuschen, das genugſam ge¬ gen die Unbilden der Witterung ſchützte, und das Bett in meinem
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Eine Nebel-Novelle.
zu der freundlichen Hüttenkolonie. Die Bauern von Montreux,
denen die umliegenden fetten Bergwieſen gehören, waren hier oben,
um ihr Oehmd (Grummet, zweites Heu) einzuheimſen. Da geht
es denn bei Mr. Dufour lebendiger her als ſonſt, beſonders am
Abend.
Kaum hatte ich bei einer Flaſche trefflichen Waadtländer Wei¬
nes eine halbe Stunde geraſtet, als einer der Bergbauern mit der
tröſtlichen Nachricht eintrat: „y pliau“ (es regnet). Alſo der
Profeſſoren-Führer hatte doch recht gehabt. Dieſer Pliau verdich¬
tete ſich aber zuſehends, und mit dem raſchen Eintritt der Däm¬
merung ſchienen alle Schleuſen der himmliſchen Bäche gezogen zu
ſein. — Abendbrod, — Gute Nacht, — zu Bett! — war das
einzige Rettungsmittel gegen den im Anmarſch begriffenen Unmuth.
Morgen kanns ja beſſer ſein.
Gegen Morgen, als ich erwachte: O weh! Fortſetzung vom
vorigen Abend. Das Rieſeln der Waſſerfäden über die geſättig¬
ten, glänzenden Dachziegeln in die erklingende Blechrinne, und
das plätſchernde Abtröpfeln der Traufe aufs Pflaſter hat gleich
jedem anderen monotonen Geräuſch eine magnetiſch einſchläfernde
Kraft. — Auch ich erlag ihren Einwirkungen. Nach 9 Uhr er¬
wachte ich zum zweiten Mal. Ein Blick durchs Fenſter, — Ne¬
bel und dichter Regen! Von der Gegend waren nur die näher
gelegenen Partieen ſichtbar! Drunten, nach dem See zu, der ſonſt
ſo reizende Einblick, war dicht verſchleiert durch graue, tiefhängende
Wolken. Die Tagesparole: Hierbleiben und in Geduld Abwarten!
diktirte ſich von ſelbſt.
Ich hatte tauſend Prozent vor jedem ähnlichen Unfall, wenn
er mir zum Beiſpiel in einer, von aller Welt abgeſchnittenen, ein¬
ſamen Alpenhütte begegnet wäre, voraus; denn Mr. Dufours
Wohnung war ein ganz ordentliches Häuschen, das genugſam ge¬
gen die Unbilden der Witterung ſchützte, und das Bett in meinem
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/149>, abgerufen am 28.11.2024.
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