dem Samen geschlossener, also geschützter, Waldmassen des Flach¬ landes gezogen wurden, sich zu so hartlebigen Trutztannen hier oben in der Nähe des permanenten Winters ausbilden, überhaupt in diesen sturmumbrausten Höhen sich akklimatisiren könnten. Die Alpen-Forstmänner bezweifeln es; sie halten den im Flachlande ge¬ wonnenen Waldsamen für zu verweichlicht. Es geht der Pflanze wie dem Menschen; im Fleisch und Blut muß sie beim Volke stecken, die Spartaner-Natur, durch Generationen hindurch muß sie sich selbsthelfend gestählt haben, wenn sie nicht zur leidigen Parodie herabsinken soll. -- Bezüglich des Samens benutzt man dagegen sehr gern den von den Hochlandstannen für Forst¬ saaten im Tieflande, sowie ja auch die Getreidearten, welche in hoher Lage wuchsen, sehr gern zum Saatkorn für tiefere Gegenden benutzt werden.
So borstig und brummig solch eine Wettertanne nun auch drein schaut, als ob sie mit allen anderen Bäumen in Haß und Hader lebte und deshalb in diese Einsamkeit sich zurückgezogen habe, -- so sehr sie das leibhafte Ebenbild eines alten, zerhaue¬ nen, narbenbedeckten Kriegers ist, der hundertmal mit dem Tode auf der Mensur, doch immer wieder sich frei kämpfte, -- ein so zuthunlicher, gastfreundschaftlicher Baum ist sie. Gerade wie man unter den alten Haudegen und Eisenfressern die gemüthreichsten und herzlichsten Kumpane findet, so auch bei diesen unter tausend Ge¬ fahren und Nöthen grau gewordenen Bauminvaliden. Sie ist ein Obdach und Asyl gewährendes, von der Natur errichtetes Hospi¬ tium, unter dessen Schutz sich das weidende Vieh flüchtet, wenn plötzlich schwarze Unwetter daherbrausen, Regenwolken strömend sich entleeren oder Hagelladungen in dichten Massen herniederschmettern. Freilich fielen dann schon oft die schönsten Häupter einer Alpen¬ heerde unter solch einem Baume dem Gewitter zum Opfer, wenn der Blitz einschlug. Aber auch im sengenden Hochsommer, wenn die Sonne beinahe im Zenith steht und auf der ganzen großen
Die Wettertanne.
dem Samen geſchloſſener, alſo geſchützter, Waldmaſſen des Flach¬ landes gezogen wurden, ſich zu ſo hartlebigen Trutztannen hier oben in der Nähe des permanenten Winters ausbilden, überhaupt in dieſen ſturmumbrauſten Höhen ſich akklimatiſiren könnten. Die Alpen-Forſtmänner bezweifeln es; ſie halten den im Flachlande ge¬ wonnenen Waldſamen für zu verweichlicht. Es geht der Pflanze wie dem Menſchen; im Fleiſch und Blut muß ſie beim Volke ſtecken, die Spartaner-Natur, durch Generationen hindurch muß ſie ſich ſelbſthelfend geſtählt haben, wenn ſie nicht zur leidigen Parodie herabſinken ſoll. — Bezüglich des Samens benutzt man dagegen ſehr gern den von den Hochlandstannen für Forſt¬ ſaaten im Tieflande, ſowie ja auch die Getreidearten, welche in hoher Lage wuchſen, ſehr gern zum Saatkorn für tiefere Gegenden benutzt werden.
So borſtig und brummig ſolch eine Wettertanne nun auch drein ſchaut, als ob ſie mit allen anderen Bäumen in Haß und Hader lebte und deshalb in dieſe Einſamkeit ſich zurückgezogen habe, — ſo ſehr ſie das leibhafte Ebenbild eines alten, zerhaue¬ nen, narbenbedeckten Kriegers iſt, der hundertmal mit dem Tode auf der Menſur, doch immer wieder ſich frei kämpfte, — ein ſo zuthunlicher, gaſtfreundſchaftlicher Baum iſt ſie. Gerade wie man unter den alten Haudegen und Eiſenfreſſern die gemüthreichſten und herzlichſten Kumpane findet, ſo auch bei dieſen unter tauſend Ge¬ fahren und Nöthen grau gewordenen Bauminvaliden. Sie iſt ein Obdach und Aſyl gewährendes, von der Natur errichtetes Hospi¬ tium, unter deſſen Schutz ſich das weidende Vieh flüchtet, wenn plötzlich ſchwarze Unwetter daherbrauſen, Regenwolken ſtrömend ſich entleeren oder Hagelladungen in dichten Maſſen herniederſchmettern. Freilich fielen dann ſchon oft die ſchönſten Häupter einer Alpen¬ heerde unter ſolch einem Baume dem Gewitter zum Opfer, wenn der Blitz einſchlug. Aber auch im ſengenden Hochſommer, wenn die Sonne beinahe im Zenith ſteht und auf der ganzen großen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0111"n="87"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#fr #g">Die Wettertanne.</hi><lb/></fw> dem Samen geſchloſſener, alſo geſchützter, Waldmaſſen des Flach¬<lb/>
landes gezogen wurden, ſich zu ſo hartlebigen Trutztannen hier<lb/>
oben in der Nähe des permanenten Winters ausbilden, überhaupt<lb/>
in dieſen ſturmumbrauſten Höhen ſich akklimatiſiren könnten. Die<lb/>
Alpen-Forſtmänner bezweifeln es; ſie halten den im Flachlande ge¬<lb/>
wonnenen Waldſamen für zu verweichlicht. Es geht der Pflanze<lb/>
wie dem Menſchen; im Fleiſch und Blut muß ſie beim Volke<lb/>ſtecken, die Spartaner-Natur, durch Generationen hindurch muß ſie<lb/>ſich ſelbſthelfend geſtählt haben, wenn ſie nicht zur leidigen<lb/><hirendition="#g">Parodie</hi> herabſinken ſoll. — Bezüglich des Samens benutzt<lb/>
man dagegen ſehr gern den von den Hochlandstannen für Forſt¬<lb/>ſaaten im Tieflande, ſowie ja auch die Getreidearten, welche in<lb/>
hoher Lage wuchſen, ſehr gern zum Saatkorn für tiefere Gegenden<lb/>
benutzt werden.</p><lb/><p>So borſtig und brummig ſolch eine Wettertanne nun auch<lb/>
drein ſchaut, als ob ſie mit allen anderen Bäumen in Haß und<lb/>
Hader lebte und deshalb in dieſe Einſamkeit ſich zurückgezogen<lb/>
habe, —ſo ſehr ſie das leibhafte Ebenbild eines alten, zerhaue¬<lb/>
nen, narbenbedeckten Kriegers iſt, der hundertmal mit dem Tode<lb/>
auf der Menſur, doch immer wieder ſich frei kämpfte, — ein ſo<lb/>
zuthunlicher, gaſtfreundſchaftlicher Baum iſt ſie. Gerade wie man<lb/>
unter den alten Haudegen und Eiſenfreſſern die gemüthreichſten und<lb/>
herzlichſten Kumpane findet, ſo auch bei dieſen unter tauſend Ge¬<lb/>
fahren und Nöthen grau gewordenen Bauminvaliden. Sie iſt ein<lb/>
Obdach und Aſyl gewährendes, von der Natur errichtetes Hospi¬<lb/>
tium, unter deſſen Schutz ſich das weidende Vieh flüchtet, wenn<lb/>
plötzlich ſchwarze Unwetter daherbrauſen, Regenwolken ſtrömend ſich<lb/>
entleeren oder Hagelladungen in dichten Maſſen herniederſchmettern.<lb/>
Freilich fielen dann ſchon oft die ſchönſten Häupter einer Alpen¬<lb/>
heerde unter ſolch einem Baume dem Gewitter zum Opfer, wenn<lb/>
der Blitz einſchlug. Aber auch im ſengenden Hochſommer, wenn<lb/>
die Sonne beinahe im Zenith ſteht und auf der ganzen großen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[87/0111]
Die Wettertanne.
dem Samen geſchloſſener, alſo geſchützter, Waldmaſſen des Flach¬
landes gezogen wurden, ſich zu ſo hartlebigen Trutztannen hier
oben in der Nähe des permanenten Winters ausbilden, überhaupt
in dieſen ſturmumbrauſten Höhen ſich akklimatiſiren könnten. Die
Alpen-Forſtmänner bezweifeln es; ſie halten den im Flachlande ge¬
wonnenen Waldſamen für zu verweichlicht. Es geht der Pflanze
wie dem Menſchen; im Fleiſch und Blut muß ſie beim Volke
ſtecken, die Spartaner-Natur, durch Generationen hindurch muß ſie
ſich ſelbſthelfend geſtählt haben, wenn ſie nicht zur leidigen
Parodie herabſinken ſoll. — Bezüglich des Samens benutzt
man dagegen ſehr gern den von den Hochlandstannen für Forſt¬
ſaaten im Tieflande, ſowie ja auch die Getreidearten, welche in
hoher Lage wuchſen, ſehr gern zum Saatkorn für tiefere Gegenden
benutzt werden.
So borſtig und brummig ſolch eine Wettertanne nun auch
drein ſchaut, als ob ſie mit allen anderen Bäumen in Haß und
Hader lebte und deshalb in dieſe Einſamkeit ſich zurückgezogen
habe, — ſo ſehr ſie das leibhafte Ebenbild eines alten, zerhaue¬
nen, narbenbedeckten Kriegers iſt, der hundertmal mit dem Tode
auf der Menſur, doch immer wieder ſich frei kämpfte, — ein ſo
zuthunlicher, gaſtfreundſchaftlicher Baum iſt ſie. Gerade wie man
unter den alten Haudegen und Eiſenfreſſern die gemüthreichſten und
herzlichſten Kumpane findet, ſo auch bei dieſen unter tauſend Ge¬
fahren und Nöthen grau gewordenen Bauminvaliden. Sie iſt ein
Obdach und Aſyl gewährendes, von der Natur errichtetes Hospi¬
tium, unter deſſen Schutz ſich das weidende Vieh flüchtet, wenn
plötzlich ſchwarze Unwetter daherbrauſen, Regenwolken ſtrömend ſich
entleeren oder Hagelladungen in dichten Maſſen herniederſchmettern.
Freilich fielen dann ſchon oft die ſchönſten Häupter einer Alpen¬
heerde unter ſolch einem Baume dem Gewitter zum Opfer, wenn
der Blitz einſchlug. Aber auch im ſengenden Hochſommer, wenn
die Sonne beinahe im Zenith ſteht und auf der ganzen großen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/111>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.