Blindia crispula, Bartramia ithyphylla und Oederi, schattige Felsen haushoch überziehend, in Masse vor. Und wo endlich die Wände vom herabrinnenden Wasser eigentlich triefen, da mästet das kupferbraune Astmoos (Hypnum rufescens) seine dicken, derben Blätterschweife.
Der überschattete Pfad steigt längs des Tobels bergan. Wir versuchen eine zweite Waldexcursion und dringen wieder in die Säulenhallen ein. Diesmal ists kein moosiger Grund, auf dem wir emporklettern; hundertjährige Schichten von Tannen-Nadeln liegen übereinander, zu einem elastischen Boden ineinandergefilzt. Das eng verästelte Dach ist so dicht geflochten, daß nur spärliche Lichtblitze von Oben in die tiefe Waldnacht eindringen können;
"Im Labyrinthe fließt in kargen Tropfen "Durchs Laubgewölb' das Licht, Staubregen kaum!"
Lenau. darum gedeiht auch das Moos nicht. Aber eine neue, höchst aben¬ teuerliche Erscheinung überrascht uns; -- in langen zottigen Schöpfen hängt die graugrünliche Bartflechte (Usnea barbata) von den halbverdorrten Aesten herab. Nicht ein Fädchen dieser müssigen Zottelpflanzen bewegt sich in der windstillen Mittags¬ wärme; aber durchzieht nur ein leiser Lufthauch den Wald, dann schwankt und schweift es unheimlich durch die tiefe Dämmerung, alle bestimmten Umrisse verschwinden, der ganze Einblick geräth in flirrende, huschende Bewegung und die "Alten vom Berge" schei¬ nen Leben zu gewinnen. In den Engadiner Arvenwäldern kommt eine Varietät vor, Usnea longissima, die mehre Ellen lange dünne Striemen spinnt. An den Lärchen dagegen wuchert vorzüg¬ lich die ochergelbe Bandflechte (Evernia divaricata) und gemischt unter diesen der mähnenartige Moosbart (Bryopogon jubatus), auch schwarze Bartflechte (Alectoria jubata) genannt, weil ihre äußerst feinen, mehr als spannenlangen Haare tiefbraune Färbung haben.
Der Bannwald.
Blindia crispula, Bartramia ithyphylla und Oederi, ſchattige Felſen haushoch überziehend, in Maſſe vor. Und wo endlich die Wände vom herabrinnenden Waſſer eigentlich triefen, da mäſtet das kupferbraune Aſtmoos (Hypnum rufescens) ſeine dicken, derben Blätterſchweife.
Der überſchattete Pfad ſteigt längs des Tobels bergan. Wir verſuchen eine zweite Waldexcurſion und dringen wieder in die Säulenhallen ein. Diesmal iſts kein mooſiger Grund, auf dem wir emporklettern; hundertjährige Schichten von Tannen-Nadeln liegen übereinander, zu einem elaſtiſchen Boden ineinandergefilzt. Das eng veräſtelte Dach iſt ſo dicht geflochten, daß nur ſpärliche Lichtblitze von Oben in die tiefe Waldnacht eindringen können;
„Im Labyrinthe fließt in kargen Tropfen „Durchs Laubgewölb' das Licht, Staubregen kaum!“
Lenau. darum gedeiht auch das Moos nicht. Aber eine neue, höchſt aben¬ teuerliche Erſcheinung überraſcht uns; — in langen zottigen Schöpfen hängt die graugrünliche Bartflechte (Usnea barbata) von den halbverdorrten Aeſten herab. Nicht ein Fädchen dieſer müſſigen Zottelpflanzen bewegt ſich in der windſtillen Mittags¬ wärme; aber durchzieht nur ein leiſer Lufthauch den Wald, dann ſchwankt und ſchweift es unheimlich durch die tiefe Dämmerung, alle beſtimmten Umriſſe verſchwinden, der ganze Einblick geräth in flirrende, huſchende Bewegung und die „Alten vom Berge“ ſchei¬ nen Leben zu gewinnen. In den Engadiner Arvenwäldern kommt eine Varietät vor, Usnea longissima, die mehre Ellen lange dünne Striemen ſpinnt. An den Lärchen dagegen wuchert vorzüg¬ lich die ochergelbe Bandflechte (Evernia divaricata) und gemiſcht unter dieſen der mähnenartige Moosbart (Bryopogon jubatus), auch ſchwarze Bartflechte (Alectoria jubata) genannt, weil ihre äußerſt feinen, mehr als ſpannenlangen Haare tiefbraune Färbung haben.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0100"n="78"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#fr #g">Der Bannwald</hi>.<lb/></fw><hirendition="#aq">Blindia crispula, Bartramia ithyphylla</hi> und <hirendition="#aq">Oederi,</hi>ſchattige<lb/>
Felſen haushoch überziehend, in Maſſe vor. Und wo endlich die<lb/>
Wände vom herabrinnenden Waſſer eigentlich triefen, da mäſtet<lb/>
das <hirendition="#g">kupferbraune Aſtmoos</hi> (<hirendition="#aq">Hypnum rufescens</hi>) ſeine<lb/>
dicken, derben Blätterſchweife.</p><lb/><p>Der überſchattete Pfad ſteigt längs des Tobels bergan. Wir<lb/>
verſuchen eine zweite Waldexcurſion und dringen wieder in die<lb/>
Säulenhallen ein. Diesmal iſts kein mooſiger Grund, auf dem<lb/>
wir emporklettern; hundertjährige Schichten von Tannen-Nadeln<lb/>
liegen übereinander, zu einem elaſtiſchen Boden ineinandergefilzt.<lb/>
Das eng veräſtelte Dach iſt ſo dicht geflochten, daß nur ſpärliche<lb/>
Lichtblitze von Oben in die tiefe Waldnacht eindringen können;<lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l>„Im Labyrinthe fließt in kargen Tropfen<lb/></l><l>„Durchs Laubgewölb' das Licht, Staubregen kaum!“<lb/></l></lg></quote><biblrendition="#right"><hirendition="#g">Lenau</hi>.<lb/></bibl></cit> darum gedeiht auch das Moos nicht. Aber eine neue, höchſt aben¬<lb/>
teuerliche Erſcheinung überraſcht uns; — in langen zottigen<lb/>
Schöpfen hängt die graugrünliche Bartflechte (<hirendition="#aq">Usnea barbata</hi>)<lb/>
von den halbverdorrten Aeſten herab. Nicht ein Fädchen dieſer<lb/>
müſſigen Zottelpflanzen bewegt ſich in der windſtillen Mittags¬<lb/>
wärme; aber durchzieht nur ein leiſer Lufthauch den Wald, dann<lb/>ſchwankt und ſchweift es unheimlich durch die tiefe Dämmerung,<lb/>
alle beſtimmten Umriſſe verſchwinden, der ganze Einblick geräth in<lb/>
flirrende, huſchende Bewegung und die „Alten vom Berge“ſchei¬<lb/>
nen Leben zu gewinnen. In den Engadiner Arvenwäldern kommt<lb/>
eine Varietät vor, <hirendition="#aq">Usnea longissima,</hi> die mehre Ellen lange<lb/>
dünne Striemen ſpinnt. An den Lärchen dagegen wuchert vorzüg¬<lb/>
lich die ochergelbe Bandflechte (<hirendition="#aq">Evernia divaricata</hi>) und gemiſcht<lb/>
unter dieſen der mähnenartige Moosbart (<hirendition="#aq">Bryopogon jubatus</hi>),<lb/>
auch ſchwarze Bartflechte (<hirendition="#aq">Alectoria jubata</hi>) genannt, weil ihre<lb/>
äußerſt feinen, mehr als ſpannenlangen Haare tiefbraune Färbung<lb/>
haben.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[78/0100]
Der Bannwald.
Blindia crispula, Bartramia ithyphylla und Oederi, ſchattige
Felſen haushoch überziehend, in Maſſe vor. Und wo endlich die
Wände vom herabrinnenden Waſſer eigentlich triefen, da mäſtet
das kupferbraune Aſtmoos (Hypnum rufescens) ſeine
dicken, derben Blätterſchweife.
Der überſchattete Pfad ſteigt längs des Tobels bergan. Wir
verſuchen eine zweite Waldexcurſion und dringen wieder in die
Säulenhallen ein. Diesmal iſts kein mooſiger Grund, auf dem
wir emporklettern; hundertjährige Schichten von Tannen-Nadeln
liegen übereinander, zu einem elaſtiſchen Boden ineinandergefilzt.
Das eng veräſtelte Dach iſt ſo dicht geflochten, daß nur ſpärliche
Lichtblitze von Oben in die tiefe Waldnacht eindringen können;
„Im Labyrinthe fließt in kargen Tropfen
„Durchs Laubgewölb' das Licht, Staubregen kaum!“
Lenau.
darum gedeiht auch das Moos nicht. Aber eine neue, höchſt aben¬
teuerliche Erſcheinung überraſcht uns; — in langen zottigen
Schöpfen hängt die graugrünliche Bartflechte (Usnea barbata)
von den halbverdorrten Aeſten herab. Nicht ein Fädchen dieſer
müſſigen Zottelpflanzen bewegt ſich in der windſtillen Mittags¬
wärme; aber durchzieht nur ein leiſer Lufthauch den Wald, dann
ſchwankt und ſchweift es unheimlich durch die tiefe Dämmerung,
alle beſtimmten Umriſſe verſchwinden, der ganze Einblick geräth in
flirrende, huſchende Bewegung und die „Alten vom Berge“ ſchei¬
nen Leben zu gewinnen. In den Engadiner Arvenwäldern kommt
eine Varietät vor, Usnea longissima, die mehre Ellen lange
dünne Striemen ſpinnt. An den Lärchen dagegen wuchert vorzüg¬
lich die ochergelbe Bandflechte (Evernia divaricata) und gemiſcht
unter dieſen der mähnenartige Moosbart (Bryopogon jubatus),
auch ſchwarze Bartflechte (Alectoria jubata) genannt, weil ihre
äußerſt feinen, mehr als ſpannenlangen Haare tiefbraune Färbung
haben.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/100>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.