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Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876.

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Eintheilung. Fabelhafte Thiere.
Würmer neben den Insektenlarven, die Echinodermen bei den Schal-
thieren, die Korallen bei den Mineralien stehen, entspricht ganz
jener Periode der europäischen Wissenschaft; die Krebse aber zu
den Fischen zu stellen, greift noch weiter zurück in die allgemeine
Volksanschauung, welche dieselben eben als Wasserthiere zu den
Fischen zählt, so nennt der Engländer den Flusskrebs cray-fish,
der Italiener subsumirt alle Krebse und Krabben unter dem Begriff
pesce armado, gewappneter Fisch. Die Batrachier endlich von den
beschuppten Reptilien zu trennen, wäre an sich wohl sehr lobens-
werth, aber sie zu den Würmern zu bringen, ist doch arg; es rührt
von der chinesischen Systematik her, welche alle Thiere nach der
äusseren Bedeckung in Haarthiere, Federthiere, Schuppenthiere und
nackte Thiere theilt, jeder Classe einen eigenen König zutheilend,
Einhorn, Phönix, Schildkröte und Mensch, welche denn auch richtig
in der japanischen Zoologie unausweichlich wiederkehren.

Dieses Hochhalten der Tradition, die unbewusste Annahme,
dass die Alten es viel besser wussten, als wir, ist ein gemeinsamer
Zug der japanisch-chinesischen und der damaligen europäischen
Wissenschaft, China spielt für die japanischen Schriftsteller dieselbe
Rolle, welche das classische Alterthum für unsere Gelehrten im sechs-
zehnten Jahrhundert; daher die grosse Zahl fabelhafter Thiere,
welche wir bei beiden finden. Dieses ist eine bedeutende Schatten-
seite der meisten japanischen Naturgeschichten: Menschen mit Einem
Bein, mit schrecklich langen Armen oder Beinen, Einhörner ver-
schiedener Art, zwei- oder siebenköpfige Vögel stehen ganz un-
befangen neben recht naturgetreuen Abbildungen. Aber man darf
es ihnen, wie unseren mittelalterlichen Gelehrten, nicht zu hoch
anrechnen, sondern muss dabei bedenken, dass ihnen die Hülfs-
mittel zur Selbstanschauung, welche unsere Zeit dem Europäer so
reichlich bietet, Reisen und zoologische Gärten, ganz oder fast ganz
fehlen. Wenn einem ganzen Volke, wie in Japan seit mehreren
Jahrhunderten, das Ausland ein verbotenes Land ist, worüber es
nur durch vereinzelt zu ihm dringende Angaben der Fremden selbst
etwas erfahren kann, dann wird ihm freilich auch der Maassstab
schwinden, um fabelhafte und fremde Thiere zu unterscheiden,
Einhorn und Sirene wird ihm nicht minder möglich und nicht minder
gut bezeugt erscheinen, als Elephant, Kameel, der feuerfressende
Kasuar und der Neger. Die fabelhaften Thiere der japanischen
Bücher haben übrigens alle einen gemeinschaftlichen, auf ihre Her-

Ost-Asien. Zoologisch. I. 5

Eintheilung. Fabelhafte Thiere.
Würmer neben den Insektenlarven, die Echinodermen bei den Schal-
thieren, die Korallen bei den Mineralien stehen, entspricht ganz
jener Periode der europäischen Wissenschaft; die Krebse aber zu
den Fischen zu stellen, greift noch weiter zurück in die allgemeine
Volksanschauung, welche dieselben eben als Wasserthiere zu den
Fischen zählt, so nennt der Engländer den Flusskrebs cray-fish,
der Italiener subsumirt alle Krebse und Krabben unter dem Begriff
pesce armado, gewappneter Fisch. Die Batrachier endlich von den
beschuppten Reptilien zu trennen, wäre an sich wohl sehr lobens-
werth, aber sie zu den Würmern zu bringen, ist doch arg; es rührt
von der chinesischen Systematik her, welche alle Thiere nach der
äusseren Bedeckung in Haarthiere, Federthiere, Schuppenthiere und
nackte Thiere theilt, jeder Classe einen eigenen König zutheilend,
Einhorn, Phönix, Schildkröte und Mensch, welche denn auch richtig
in der japanischen Zoologie unausweichlich wiederkehren.

Dieses Hochhalten der Tradition, die unbewusste Annahme,
dass die Alten es viel besser wussten, als wir, ist ein gemeinsamer
Zug der japanisch-chinesischen und der damaligen europäischen
Wissenschaft, China spielt für die japanischen Schriftsteller dieselbe
Rolle, welche das classische Alterthum für unsere Gelehrten im sechs-
zehnten Jahrhundert; daher die grosse Zahl fabelhafter Thiere,
welche wir bei beiden finden. Dieses ist eine bedeutende Schatten-
seite der meisten japanischen Naturgeschichten: Menschen mit Einem
Bein, mit schrecklich langen Armen oder Beinen, Einhörner ver-
schiedener Art, zwei- oder siebenköpfige Vögel stehen ganz un-
befangen neben recht naturgetreuen Abbildungen. Aber man darf
es ihnen, wie unseren mittelalterlichen Gelehrten, nicht zu hoch
anrechnen, sondern muss dabei bedenken, dass ihnen die Hülfs-
mittel zur Selbstanschauung, welche unsere Zeit dem Europäer so
reichlich bietet, Reisen und zoologische Gärten, ganz oder fast ganz
fehlen. Wenn einem ganzen Volke, wie in Japan seit mehreren
Jahrhunderten, das Ausland ein verbotenes Land ist, worüber es
nur durch vereinzelt zu ihm dringende Angaben der Fremden selbst
etwas erfahren kann, dann wird ihm freilich auch der Maassstab
schwinden, um fabelhafte und fremde Thiere zu unterscheiden,
Einhorn und Sirene wird ihm nicht minder möglich und nicht minder
gut bezeugt erscheinen, als Elephant, Kameel, der feuerfressende
Kasuar und der Neger. Die fabelhaften Thiere der japanischen
Bücher haben übrigens alle einen gemeinschaftlichen, auf ihre Her-

Ost-Asien. Zoologisch. I. 5
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[65/0083] Eintheilung. Fabelhafte Thiere. Würmer neben den Insektenlarven, die Echinodermen bei den Schal- thieren, die Korallen bei den Mineralien stehen, entspricht ganz jener Periode der europäischen Wissenschaft; die Krebse aber zu den Fischen zu stellen, greift noch weiter zurück in die allgemeine Volksanschauung, welche dieselben eben als Wasserthiere zu den Fischen zählt, so nennt der Engländer den Flusskrebs cray-fish, der Italiener subsumirt alle Krebse und Krabben unter dem Begriff pesce armado, gewappneter Fisch. Die Batrachier endlich von den beschuppten Reptilien zu trennen, wäre an sich wohl sehr lobens- werth, aber sie zu den Würmern zu bringen, ist doch arg; es rührt von der chinesischen Systematik her, welche alle Thiere nach der äusseren Bedeckung in Haarthiere, Federthiere, Schuppenthiere und nackte Thiere theilt, jeder Classe einen eigenen König zutheilend, Einhorn, Phönix, Schildkröte und Mensch, welche denn auch richtig in der japanischen Zoologie unausweichlich wiederkehren. Dieses Hochhalten der Tradition, die unbewusste Annahme, dass die Alten es viel besser wussten, als wir, ist ein gemeinsamer Zug der japanisch-chinesischen und der damaligen europäischen Wissenschaft, China spielt für die japanischen Schriftsteller dieselbe Rolle, welche das classische Alterthum für unsere Gelehrten im sechs- zehnten Jahrhundert; daher die grosse Zahl fabelhafter Thiere, welche wir bei beiden finden. Dieses ist eine bedeutende Schatten- seite der meisten japanischen Naturgeschichten: Menschen mit Einem Bein, mit schrecklich langen Armen oder Beinen, Einhörner ver- schiedener Art, zwei- oder siebenköpfige Vögel stehen ganz un- befangen neben recht naturgetreuen Abbildungen. Aber man darf es ihnen, wie unseren mittelalterlichen Gelehrten, nicht zu hoch anrechnen, sondern muss dabei bedenken, dass ihnen die Hülfs- mittel zur Selbstanschauung, welche unsere Zeit dem Europäer so reichlich bietet, Reisen und zoologische Gärten, ganz oder fast ganz fehlen. Wenn einem ganzen Volke, wie in Japan seit mehreren Jahrhunderten, das Ausland ein verbotenes Land ist, worüber es nur durch vereinzelt zu ihm dringende Angaben der Fremden selbst etwas erfahren kann, dann wird ihm freilich auch der Maassstab schwinden, um fabelhafte und fremde Thiere zu unterscheiden, Einhorn und Sirene wird ihm nicht minder möglich und nicht minder gut bezeugt erscheinen, als Elephant, Kameel, der feuerfressende Kasuar und der Neger. Die fabelhaften Thiere der japanischen Bücher haben übrigens alle einen gemeinschaftlichen, auf ihre Her- Ost-Asien. Zoologisch. I. 5

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Zitationshilfe: Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasienzoologie01_1876/83>, abgerufen am 26.11.2024.