Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Giftschlangen des Archipels: Elaps, Bungarus.
gültige Regel, dass die Giftschlangen an dem breiten, vom Hals
deutlich abgesetzten Kopf zu erkennen seien, reicht für diese Ge-
genden nicht aus, und ein holländischer Offizier zu Ambarawa
musste diese Halbheit seiner zoologischen Kenntnisse kurze Zeit vor
unserer Ankunft auf Java mit dem Leben büssen, indem er einen
Bungarus semifasciatus seines kleinen Kopfes wegen für unschäd-
lich hielt.31) Dieser Fall ist übrigens der einzige von einem durch
Schlangenbiss getödteten Europäer, wovon ich während meines
anderthalbjährigen Aufenthalts im Archipel hörte; freilich setzen
sich die Europäer einer solchen Möglichkeit weniger aus, und bei
den Eingebornen mag es öfters vorkommen, ohne dass die Kunde
davon über die nächste Umgebung hinausgeht; doch auch ich wurde
nie von einer Schlange gebissen, obgleich ich, die anfängliche Vor-
sicht bald vergessend, sehr oft sorglos genug in abgefallenem Laub
handirte, Steine umdrehte und den nur leichtbeschuhten Fuss in
Dickicht und Gestrüpp setzte.

Die Giftschlangen des Archipels gehören den Gattungen Elaps,
Bungarus, Naja und Trigonocephalus, im weiteren Sinne genommen,
an. Alle indischen Arten der erstgenannten zeigen helle Längs-
streifen auf dunkelem Grunde und können ihres kleinen Mundes
wegen kaum einen Menschen verwunden, sind also praktisch nicht
gefährlich, obwohl Dr. A. B. Meyer bei einigen derselben eine ko-
lossal entwickelte Giftdrüse nachgewiesen hat.32) Die Arten von Bun-
garus, ular belang auf Java genannt, sind weiss und schwärzlich ge-
ringelt, theils vollständige Ringe, theils am Bauch unterbrochen;
Schlangen derartiger Zeichnung also sind es, die neben den dick-
köpfigen besonders zu meiden sind. Da Vorderende und Hinterende
auf den ersten Blick bei denselben nicht allzu verschieden aussehen,
so hält das Volk sie hier für doppelköpfig, und warnt vor den
doppelköpfigen Schlangen als besonders gefährlichen, ein Aber-
glauben, den wir ebenso bei den alten Griechen, wenn auch durch
andere Gattungen veranlasst, finden und dem der Name Amphis-
baena seine Entstehung verdankt. Beide Gattungen, Bungarus und
Elaps, sind in einigen wenigen Arten über die drei grossen Sunda-
Inseln verbreitet; auf den Molukken sah ich sie nicht. Ebenso die
mit Vorderindien gemeinsame Brillenschlange, Naja tripudians, im
Leben daran kenntlich, dass sie in Gefahr den Vorderleib aufrichtet
und den Hals durch Aufwärtsziehen der vorderen Rippen schild-
artig verbreitert. Valentyn beschreibt sie als "Bergschlange" von

Giftschlangen des Archipels: Elaps, Bungarus.
gültige Regel, dass die Giftschlangen an dem breiten, vom Hals
deutlich abgesetzten Kopf zu erkennen seien, reicht für diese Ge-
genden nicht aus, und ein holländischer Offizier zu Ambarawa
musste diese Halbheit seiner zoologischen Kenntnisse kurze Zeit vor
unserer Ankunft auf Java mit dem Leben büssen, indem er einen
Bungarus semifasciatus seines kleinen Kopfes wegen für unschäd-
lich hielt.31) Dieser Fall ist übrigens der einzige von einem durch
Schlangenbiss getödteten Europäer, wovon ich während meines
anderthalbjährigen Aufenthalts im Archipel hörte; freilich setzen
sich die Europäer einer solchen Möglichkeit weniger aus, und bei
den Eingebornen mag es öfters vorkommen, ohne dass die Kunde
davon über die nächste Umgebung hinausgeht; doch auch ich wurde
nie von einer Schlange gebissen, obgleich ich, die anfängliche Vor-
sicht bald vergessend, sehr oft sorglos genug in abgefallenem Laub
handirte, Steine umdrehte und den nur leichtbeschuhten Fuss in
Dickicht und Gestrüpp setzte.

Die Giftschlangen des Archipels gehören den Gattungen Elaps,
Bungarus, Naja und Trigonocephalus, im weiteren Sinne genommen,
an. Alle indischen Arten der erstgenannten zeigen helle Längs-
streifen auf dunkelem Grunde und können ihres kleinen Mundes
wegen kaum einen Menschen verwunden, sind also praktisch nicht
gefährlich, obwohl Dr. A. B. Meyer bei einigen derselben eine ko-
lossal entwickelte Giftdrüse nachgewiesen hat.32) Die Arten von Bun-
garus, ular belang auf Java genannt, sind weiss und schwärzlich ge-
ringelt, theils vollständige Ringe, theils am Bauch unterbrochen;
Schlangen derartiger Zeichnung also sind es, die neben den dick-
köpfigen besonders zu meiden sind. Da Vorderende und Hinterende
auf den ersten Blick bei denselben nicht allzu verschieden aussehen,
so hält das Volk sie hier für doppelköpfig, und warnt vor den
doppelköpfigen Schlangen als besonders gefährlichen, ein Aber-
glauben, den wir ebenso bei den alten Griechen, wenn auch durch
andere Gattungen veranlasst, finden und dem der Name Amphis-
baena seine Entstehung verdankt. Beide Gattungen, Bungarus und
Elaps, sind in einigen wenigen Arten über die drei grossen Sunda-
Inseln verbreitet; auf den Molukken sah ich sie nicht. Ebenso die
mit Vorderindien gemeinsame Brillenschlange, Naja tripudians, im
Leben daran kenntlich, dass sie in Gefahr den Vorderleib aufrichtet
und den Hals durch Aufwärtsziehen der vorderen Rippen schild-
artig verbreitert. Valentyn beschreibt sie als »Bergschlange« von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0304" n="286"/><fw place="top" type="header">Giftschlangen des Archipels: Elaps, Bungarus.</fw><lb/>
gültige Regel, dass die Giftschlangen an dem breiten, vom Hals<lb/>
deutlich abgesetzten Kopf zu erkennen seien, reicht für diese Ge-<lb/>
genden nicht aus, und ein holländischer Offizier zu Ambarawa<lb/>
musste diese Halbheit seiner zoologischen Kenntnisse kurze Zeit vor<lb/>
unserer Ankunft auf Java mit dem Leben büssen, indem er einen<lb/>
Bungarus semifasciatus seines kleinen Kopfes wegen für unschäd-<lb/>
lich hielt.<hi rendition="#sup">31</hi>) Dieser Fall ist übrigens der einzige von einem durch<lb/>
Schlangenbiss getödteten Europäer, wovon ich während meines<lb/>
anderthalbjährigen Aufenthalts im Archipel hörte; freilich setzen<lb/>
sich die Europäer einer solchen Möglichkeit weniger aus, und bei<lb/>
den Eingebornen mag es öfters vorkommen, ohne dass die Kunde<lb/>
davon über die nächste Umgebung hinausgeht; doch auch ich wurde<lb/>
nie von einer Schlange gebissen, obgleich ich, die anfängliche Vor-<lb/>
sicht bald vergessend, sehr oft sorglos genug in abgefallenem Laub<lb/>
handirte, Steine umdrehte und den nur leichtbeschuhten Fuss in<lb/>
Dickicht und Gestrüpp setzte.</p><lb/>
            <p>Die Giftschlangen des Archipels gehören den Gattungen Elaps,<lb/>
Bungarus, Naja und Trigonocephalus, im weiteren Sinne genommen,<lb/>
an. Alle indischen Arten der erstgenannten zeigen helle Längs-<lb/>
streifen auf dunkelem Grunde und können ihres kleinen Mundes<lb/>
wegen kaum einen Menschen verwunden, sind also praktisch nicht<lb/>
gefährlich, obwohl Dr. A. B. Meyer bei einigen derselben eine ko-<lb/>
lossal entwickelte Giftdrüse nachgewiesen hat.<hi rendition="#sup">32</hi>) Die Arten von Bun-<lb/>
garus, ular belang auf Java genannt, sind weiss und schwärzlich ge-<lb/>
ringelt, theils vollständige Ringe, theils am Bauch unterbrochen;<lb/>
Schlangen derartiger Zeichnung also sind es, die neben den dick-<lb/>
köpfigen besonders zu meiden sind. Da Vorderende und Hinterende<lb/>
auf den ersten Blick bei denselben nicht allzu verschieden aussehen,<lb/>
so hält das Volk sie hier für doppelköpfig, und warnt vor den<lb/>
doppelköpfigen Schlangen als besonders gefährlichen, ein Aber-<lb/>
glauben, den wir ebenso bei den alten Griechen, wenn auch durch<lb/>
andere Gattungen veranlasst, finden und dem der Name Amphis-<lb/>
baena seine Entstehung verdankt. Beide Gattungen, Bungarus und<lb/>
Elaps, sind in einigen wenigen Arten über die drei grossen Sunda-<lb/>
Inseln verbreitet; auf den Molukken sah ich sie nicht. Ebenso die<lb/>
mit Vorderindien gemeinsame Brillenschlange, Naja tripudians, im<lb/>
Leben daran kenntlich, dass sie in Gefahr den Vorderleib aufrichtet<lb/>
und den Hals durch Aufwärtsziehen der vorderen Rippen schild-<lb/>
artig verbreitert. Valentyn beschreibt sie als »Bergschlange« von<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[286/0304] Giftschlangen des Archipels: Elaps, Bungarus. gültige Regel, dass die Giftschlangen an dem breiten, vom Hals deutlich abgesetzten Kopf zu erkennen seien, reicht für diese Ge- genden nicht aus, und ein holländischer Offizier zu Ambarawa musste diese Halbheit seiner zoologischen Kenntnisse kurze Zeit vor unserer Ankunft auf Java mit dem Leben büssen, indem er einen Bungarus semifasciatus seines kleinen Kopfes wegen für unschäd- lich hielt.31) Dieser Fall ist übrigens der einzige von einem durch Schlangenbiss getödteten Europäer, wovon ich während meines anderthalbjährigen Aufenthalts im Archipel hörte; freilich setzen sich die Europäer einer solchen Möglichkeit weniger aus, und bei den Eingebornen mag es öfters vorkommen, ohne dass die Kunde davon über die nächste Umgebung hinausgeht; doch auch ich wurde nie von einer Schlange gebissen, obgleich ich, die anfängliche Vor- sicht bald vergessend, sehr oft sorglos genug in abgefallenem Laub handirte, Steine umdrehte und den nur leichtbeschuhten Fuss in Dickicht und Gestrüpp setzte. Die Giftschlangen des Archipels gehören den Gattungen Elaps, Bungarus, Naja und Trigonocephalus, im weiteren Sinne genommen, an. Alle indischen Arten der erstgenannten zeigen helle Längs- streifen auf dunkelem Grunde und können ihres kleinen Mundes wegen kaum einen Menschen verwunden, sind also praktisch nicht gefährlich, obwohl Dr. A. B. Meyer bei einigen derselben eine ko- lossal entwickelte Giftdrüse nachgewiesen hat.32) Die Arten von Bun- garus, ular belang auf Java genannt, sind weiss und schwärzlich ge- ringelt, theils vollständige Ringe, theils am Bauch unterbrochen; Schlangen derartiger Zeichnung also sind es, die neben den dick- köpfigen besonders zu meiden sind. Da Vorderende und Hinterende auf den ersten Blick bei denselben nicht allzu verschieden aussehen, so hält das Volk sie hier für doppelköpfig, und warnt vor den doppelköpfigen Schlangen als besonders gefährlichen, ein Aber- glauben, den wir ebenso bei den alten Griechen, wenn auch durch andere Gattungen veranlasst, finden und dem der Name Amphis- baena seine Entstehung verdankt. Beide Gattungen, Bungarus und Elaps, sind in einigen wenigen Arten über die drei grossen Sunda- Inseln verbreitet; auf den Molukken sah ich sie nicht. Ebenso die mit Vorderindien gemeinsame Brillenschlange, Naja tripudians, im Leben daran kenntlich, dass sie in Gefahr den Vorderleib aufrichtet und den Hals durch Aufwärtsziehen der vorderen Rippen schild- artig verbreitert. Valentyn beschreibt sie als »Bergschlange« von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasienzoologie01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasienzoologie01_1876/304
Zitationshilfe: Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasienzoologie01_1876/304>, abgerufen am 17.05.2024.