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Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876.

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Tiger in Singapore.
zungen beschäftigten allein befindlichen Arbeiter, von dessen Rück-
seite naht, namentlich wenn der Mensch stille sitzt, und ihn mit
einem Schlage der Tatze auf den Nacken tödtet; die Köpfe solcher
Leichen sollen so schlaff und haltlos herabhängen, als ob kein
Knochen im Hals ganz wäre (Verrenkung der obern Halswirbel?
und dadurch plötzlicher Tod); oft konnte man konstatiren, dass
der Mensch auf der Stelle todt gewesen. Nach geschehener That
pflegt der Tiger, wenn er nicht gestört wird, die Leiche eine Strecke
weit fortzuschleppen, frisst dann davon, entfernt sich darauf und
kehrt in der Regel innerhalb 24 Stunden, wenn er unterdessen keine
neue Beute gemacht, wieder zu der früheren zurück. Hierauf baut
der Mensch die Vergeltung: Die Leiche wird an demselben Ort
gelassen, wo sie gefunden wurde, auf dem nächsten hohen Baum
ein Sitz eingerichtet und von einem Schützen eingenommen, um das
zurückkehrende Raubthier zu erschiessen. Diese Methode versagt
fast nie. Eine andere Art, sich des Tigers zu bemächtigen, sind
die Tigergruben, bis 20 Fuss tief und 8 Fuss breit, mit Baumzweigen
und Laub lose zugedeckt, welche man da anlegt, wo man das Pas-
siren des Tigers vermuthet. Tritt dieser darauf, so stürzt er mit
der Decke hinab und ist gefangen, denn die senkrechten Wände
und die Weite der Grube verbieten das Hinaufklettern, die Tiefe
das Hinausspringen. Bemerkt man den Tiger in der Grube, so
sucht man zunächst eine seiner Tatzen nach der andern in hinab-
gelassenen Schlingen aus Rotang (Spanischrohr) zu fesseln, worauf
man ihn lebendig heraufzieht, um ihn nach Belieben gleich zu
tödten oder lebend zu erhalten. Trotzdem nun beide Methoden oft
mit Glück angewendet werden, erscheinen immer wieder Tiger auf
der Insel; man muss annehmen, dass sie vom festen Lande herüber-
schwimmen, was bei der Schmalheit des Meeresarmes keine Schwierig-
keit hat, aber was bewegt die dortigen Tiger so zahlreich dazu
herüberzustreben? ich weiss darauf keine andere Antwort, als dass
sie, wie Raubthiere überhaupt, ein umherstreichendes Leben führen,
also gewissermaassen zufällig herüberkommen, aber wenn einmal da,
der guten Beute wegen bleiben, bis sie getödtet werden.

Auch einen lebenden Schabracken-Tapir, Tapir Indicus
Desm. = Malayanus Raffl., bekamen wir auf Singapore zu sehen,
und er wurde von einem Mitgliede der Expedition für einen der
zoologischen Gärten in Europa angekauft; er war aber nicht auf der
Insel selbst, sondern drüben auf dem Festlande von Djohore gefangen.

Tiger in Singapore.
zungen beschäftigten allein befindlichen Arbeiter, von dessen Rück-
seite naht, namentlich wenn der Mensch stille sitzt, und ihn mit
einem Schlage der Tatze auf den Nacken tödtet; die Köpfe solcher
Leichen sollen so schlaff und haltlos herabhängen, als ob kein
Knochen im Hals ganz wäre (Verrenkung der obern Halswirbel?
und dadurch plötzlicher Tod); oft konnte man konstatiren, dass
der Mensch auf der Stelle todt gewesen. Nach geschehener That
pflegt der Tiger, wenn er nicht gestört wird, die Leiche eine Strecke
weit fortzuschleppen, frisst dann davon, entfernt sich darauf und
kehrt in der Regel innerhalb 24 Stunden, wenn er unterdessen keine
neue Beute gemacht, wieder zu der früheren zurück. Hierauf baut
der Mensch die Vergeltung: Die Leiche wird an demselben Ort
gelassen, wo sie gefunden wurde, auf dem nächsten hohen Baum
ein Sitz eingerichtet und von einem Schützen eingenommen, um das
zurückkehrende Raubthier zu erschiessen. Diese Methode versagt
fast nie. Eine andere Art, sich des Tigers zu bemächtigen, sind
die Tigergruben, bis 20 Fuss tief und 8 Fuss breit, mit Baumzweigen
und Laub lose zugedeckt, welche man da anlegt, wo man das Pas-
siren des Tigers vermuthet. Tritt dieser darauf, so stürzt er mit
der Decke hinab und ist gefangen, denn die senkrechten Wände
und die Weite der Grube verbieten das Hinaufklettern, die Tiefe
das Hinausspringen. Bemerkt man den Tiger in der Grube, so
sucht man zunächst eine seiner Tatzen nach der andern in hinab-
gelassenen Schlingen aus Rotang (Spanischrohr) zu fesseln, worauf
man ihn lebendig heraufzieht, um ihn nach Belieben gleich zu
tödten oder lebend zu erhalten. Trotzdem nun beide Methoden oft
mit Glück angewendet werden, erscheinen immer wieder Tiger auf
der Insel; man muss annehmen, dass sie vom festen Lande herüber-
schwimmen, was bei der Schmalheit des Meeresarmes keine Schwierig-
keit hat, aber was bewegt die dortigen Tiger so zahlreich dazu
herüberzustreben? ich weiss darauf keine andere Antwort, als dass
sie, wie Raubthiere überhaupt, ein umherstreichendes Leben führen,
also gewissermaassen zufällig herüberkommen, aber wenn einmal da,
der guten Beute wegen bleiben, bis sie getödtet werden.

Auch einen lebenden Schabracken-Tapir, Tapir Indicus
Desm. = Malayanus Raffl., bekamen wir auf Singapore zu sehen,
und er wurde von einem Mitgliede der Expedition für einen der
zoologischen Gärten in Europa angekauft; er war aber nicht auf der
Insel selbst, sondern drüben auf dem Festlande von Djohore gefangen.

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[230/0248] Tiger in Singapore. zungen beschäftigten allein befindlichen Arbeiter, von dessen Rück- seite naht, namentlich wenn der Mensch stille sitzt, und ihn mit einem Schlage der Tatze auf den Nacken tödtet; die Köpfe solcher Leichen sollen so schlaff und haltlos herabhängen, als ob kein Knochen im Hals ganz wäre (Verrenkung der obern Halswirbel? und dadurch plötzlicher Tod); oft konnte man konstatiren, dass der Mensch auf der Stelle todt gewesen. Nach geschehener That pflegt der Tiger, wenn er nicht gestört wird, die Leiche eine Strecke weit fortzuschleppen, frisst dann davon, entfernt sich darauf und kehrt in der Regel innerhalb 24 Stunden, wenn er unterdessen keine neue Beute gemacht, wieder zu der früheren zurück. Hierauf baut der Mensch die Vergeltung: Die Leiche wird an demselben Ort gelassen, wo sie gefunden wurde, auf dem nächsten hohen Baum ein Sitz eingerichtet und von einem Schützen eingenommen, um das zurückkehrende Raubthier zu erschiessen. Diese Methode versagt fast nie. Eine andere Art, sich des Tigers zu bemächtigen, sind die Tigergruben, bis 20 Fuss tief und 8 Fuss breit, mit Baumzweigen und Laub lose zugedeckt, welche man da anlegt, wo man das Pas- siren des Tigers vermuthet. Tritt dieser darauf, so stürzt er mit der Decke hinab und ist gefangen, denn die senkrechten Wände und die Weite der Grube verbieten das Hinaufklettern, die Tiefe das Hinausspringen. Bemerkt man den Tiger in der Grube, so sucht man zunächst eine seiner Tatzen nach der andern in hinab- gelassenen Schlingen aus Rotang (Spanischrohr) zu fesseln, worauf man ihn lebendig heraufzieht, um ihn nach Belieben gleich zu tödten oder lebend zu erhalten. Trotzdem nun beide Methoden oft mit Glück angewendet werden, erscheinen immer wieder Tiger auf der Insel; man muss annehmen, dass sie vom festen Lande herüber- schwimmen, was bei der Schmalheit des Meeresarmes keine Schwierig- keit hat, aber was bewegt die dortigen Tiger so zahlreich dazu herüberzustreben? ich weiss darauf keine andere Antwort, als dass sie, wie Raubthiere überhaupt, ein umherstreichendes Leben führen, also gewissermaassen zufällig herüberkommen, aber wenn einmal da, der guten Beute wegen bleiben, bis sie getödtet werden. Auch einen lebenden Schabracken-Tapir, Tapir Indicus Desm. = Malayanus Raffl., bekamen wir auf Singapore zu sehen, und er wurde von einem Mitgliede der Expedition für einen der zoologischen Gärten in Europa angekauft; er war aber nicht auf der Insel selbst, sondern drüben auf dem Festlande von Djohore gefangen.

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Zitationshilfe: Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasienzoologie01_1876/248>, abgerufen am 03.05.2024.