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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Tsun-luen. XV.
Hals eine lange Kette grosser Email-Perlen hing. Seine Hände
waren weiss und glatt, die Nägel wohl gepflegt, der des kleinen
Fingers fast einen Zoll lang: das sind in China Zeichen des vor-
nehmen Mannes, der seine Hände nicht brauchen darf. Am Dau-
men trug Tsun-hau einen breiten Ring von weissem Jade. Er
unterhielt sich mit dem zu seiner Linken sitzenden Gesandten un-
gezwungen über Landessitten, Natur und Kunst. Die Collation aus
Früchten, Backwerk, Gemüse, Schinken und Süssigkeiten war auf
zierlichen Schüsselchen angerichtet; das Eingemachte und über-
zuckerte Mandeln schmeckten gut, die meisten Gerichte aber recht
fade. -- Einige Tage nach diesem Besuch schickte Tsun-hau dem
Gesandten ein gebratenes Spanferkel, zwei gebratene Enten, Kuchen,
Früchte und candirte Nüsse, und erhielt als Gegengabe einen Korb
Champagner.

Am 8. Mai traf der erste Commissar Tsun-luen in Tien-tsin
ein und besuchte am folgenden Tage den Gesandten; ein kleiner
beweglicher Mann von siebzig Jahren, dessen Antecedentien von
schlechter Vorbedeutung für die Verhandlungen waren. Ihn hatte
man schon früher ins Feuer geschickt, wo es sich um Abweisung
von Gesandten handelte; seine Berichte an den Kaiser über die
1854 mit Sir John Bowring gepflogenen Berathungen gaben ange-
nehmen Aufschluss über seine Schätzung der Barbaren; Kaiser
Hien-fun wusste, dass er sich keiner Inconsequenz, keines Wort-
bruches schämte, wo es seinen Vortheil und Ueberlistung der Frem-
den galt. -- Beim ersten Besuch sprach er mit grosser Volubilität
von seinen Geschäften: neben den Functionen im Ministerium des
Auswärtigen läge ihm die Versorgung der Hauptstadt mit Getreide
ob; die Unsicherheit der Zufuhren, welche die Rebellen häufig ab-
schnitten, machte ihm viel Sorge; Pe-kin brauche jährlich
4,000,000 Pi-kul Reis. Auf die Frage, warum die Regierung nicht
kräftiger einschreite, antwortete Tsun-luen, dass sie kein Geld
habe, deutete auch an, dass der Himmel selbst sich einmischen
werde. Er that überhaupt sehr fromm, verdrehte bei Erwähnung
der angeordneten Gebete um Regen die Augen und erhob feierlich
die Hände: die furchtbare Dürre lasse schlechte Ernten befürchten.
Die Rede kam auf die grosse Gefahr, in welcher die Stadt beim
Brande der französischen Artillerie-Ställe schwebte: wer ein reines
Gewissen habe, meinte Tsun-luen, dürfe getrost dem Schutze des
Himmels vertrauen. -- Eine Sentenz jagte die andere. -- Als der

Tsuṅ-luen. XV.
Hals eine lange Kette grosser Email-Perlen hing. Seine Hände
waren weiss und glatt, die Nägel wohl gepflegt, der des kleinen
Fingers fast einen Zoll lang: das sind in China Zeichen des vor-
nehmen Mannes, der seine Hände nicht brauchen darf. Am Dau-
men trug Tsuṅ-hau einen breiten Ring von weissem Jade. Er
unterhielt sich mit dem zu seiner Linken sitzenden Gesandten un-
gezwungen über Landessitten, Natur und Kunst. Die Collation aus
Früchten, Backwerk, Gemüse, Schinken und Süssigkeiten war auf
zierlichen Schüsselchen angerichtet; das Eingemachte und über-
zuckerte Mandeln schmeckten gut, die meisten Gerichte aber recht
fade. — Einige Tage nach diesem Besuch schickte Tsuṅ-hau dem
Gesandten ein gebratenes Spanferkel, zwei gebratene Enten, Kuchen,
Früchte und candirte Nüsse, und erhielt als Gegengabe einen Korb
Champagner.

Am 8. Mai traf der erste Commissar Tsuṅ-luen in Tien-tsin
ein und besuchte am folgenden Tage den Gesandten; ein kleiner
beweglicher Mann von siebzig Jahren, dessen Antecedentien von
schlechter Vorbedeutung für die Verhandlungen waren. Ihn hatte
man schon früher ins Feuer geschickt, wo es sich um Abweisung
von Gesandten handelte; seine Berichte an den Kaiser über die
1854 mit Sir John Bowring gepflogenen Berathungen gaben ange-
nehmen Aufschluss über seine Schätzung der Barbaren; Kaiser
Hien-fuṅ wusste, dass er sich keiner Inconsequenz, keines Wort-
bruches schämte, wo es seinen Vortheil und Ueberlistung der Frem-
den galt. — Beim ersten Besuch sprach er mit grosser Volubilität
von seinen Geschäften: neben den Functionen im Ministerium des
Auswärtigen läge ihm die Versorgung der Hauptstadt mit Getreide
ob; die Unsicherheit der Zufuhren, welche die Rebellen häufig ab-
schnitten, machte ihm viel Sorge; Pe-kiṅ brauche jährlich
4,000,000 Pi-kul Reis. Auf die Frage, warum die Regierung nicht
kräftiger einschreite, antwortete Tsuṅ-luen, dass sie kein Geld
habe, deutete auch an, dass der Himmel selbst sich einmischen
werde. Er that überhaupt sehr fromm, verdrehte bei Erwähnung
der angeordneten Gebete um Regen die Augen und erhob feierlich
die Hände: die furchtbare Dürre lasse schlechte Ernten befürchten.
Die Rede kam auf die grosse Gefahr, in welcher die Stadt beim
Brande der französischen Artillerie-Ställe schwebte: wer ein reines
Gewissen habe, meinte Tsuṅ-luen, dürfe getrost dem Schutze des
Himmels vertrauen. — Eine Sentenz jagte die andere. — Als der

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[34/0048] Tsuṅ-luen. XV. Hals eine lange Kette grosser Email-Perlen hing. Seine Hände waren weiss und glatt, die Nägel wohl gepflegt, der des kleinen Fingers fast einen Zoll lang: das sind in China Zeichen des vor- nehmen Mannes, der seine Hände nicht brauchen darf. Am Dau- men trug Tsuṅ-hau einen breiten Ring von weissem Jade. Er unterhielt sich mit dem zu seiner Linken sitzenden Gesandten un- gezwungen über Landessitten, Natur und Kunst. Die Collation aus Früchten, Backwerk, Gemüse, Schinken und Süssigkeiten war auf zierlichen Schüsselchen angerichtet; das Eingemachte und über- zuckerte Mandeln schmeckten gut, die meisten Gerichte aber recht fade. — Einige Tage nach diesem Besuch schickte Tsuṅ-hau dem Gesandten ein gebratenes Spanferkel, zwei gebratene Enten, Kuchen, Früchte und candirte Nüsse, und erhielt als Gegengabe einen Korb Champagner. Am 8. Mai traf der erste Commissar Tsuṅ-luen in Tien-tsin ein und besuchte am folgenden Tage den Gesandten; ein kleiner beweglicher Mann von siebzig Jahren, dessen Antecedentien von schlechter Vorbedeutung für die Verhandlungen waren. Ihn hatte man schon früher ins Feuer geschickt, wo es sich um Abweisung von Gesandten handelte; seine Berichte an den Kaiser über die 1854 mit Sir John Bowring gepflogenen Berathungen gaben ange- nehmen Aufschluss über seine Schätzung der Barbaren; Kaiser Hien-fuṅ wusste, dass er sich keiner Inconsequenz, keines Wort- bruches schämte, wo es seinen Vortheil und Ueberlistung der Frem- den galt. — Beim ersten Besuch sprach er mit grosser Volubilität von seinen Geschäften: neben den Functionen im Ministerium des Auswärtigen läge ihm die Versorgung der Hauptstadt mit Getreide ob; die Unsicherheit der Zufuhren, welche die Rebellen häufig ab- schnitten, machte ihm viel Sorge; Pe-kiṅ brauche jährlich 4,000,000 Pi-kul Reis. Auf die Frage, warum die Regierung nicht kräftiger einschreite, antwortete Tsuṅ-luen, dass sie kein Geld habe, deutete auch an, dass der Himmel selbst sich einmischen werde. Er that überhaupt sehr fromm, verdrehte bei Erwähnung der angeordneten Gebete um Regen die Augen und erhob feierlich die Hände: die furchtbare Dürre lasse schlechte Ernten befürchten. Die Rede kam auf die grosse Gefahr, in welcher die Stadt beim Brande der französischen Artillerie-Ställe schwebte: wer ein reines Gewissen habe, meinte Tsuṅ-luen, dürfe getrost dem Schutze des Himmels vertrauen. — Eine Sentenz jagte die andere. — Als der

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/48>, abgerufen am 22.11.2024.