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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Heirathen. Sterbegebräuche. XXII.

Die meisten Mädchen werden im Alter von funfzehn Jahren
verheirathet; warten die Eltern auf bessere Preise hoffend länger,
so geht die Tochter gewöhnlich durch, kommt nach einigen Wochen
mit ihrem Liebsten wieder und bittet unter dem Beistande von
Verwandten in vorgeschriebener Form um Verzeihung, worauf die
Eltern sich mit dem Schwiegersohn abfinden und die Hochzeit be-
reiten. Erfolgt die Einigung nicht, so segnet die Behörde den Ehe-
bund. -- Bei der Hochzeit, die bei den Reicheren mit feierlichen
Bootsprocessionen, dramatischen Aufführungen, Musik und allerlei
Spielen gefeiert wird, scheinen die Bonzen keine anderen Verrich-
tungen zu haben, als den Gesang von Litaneien und die Einsegnung
des Ehebettes.75) Die Zahlung des Kaufpreises -- oder der Mitgift
-- scheint der die Ehe begründende Act zu sein. Die Grossen haben
viele Nebenweiber, aber nur die Kinder der ersten rechtmässigen
Frau sind erbberechtigt. -- Bei Scheidungen, zu denen das Gericht
den Ehegatten auf der Frau Verlangen zwingen kann, wird die
Mitgift zurückgegeben. Das älteste, dritte und alle Kinder un-
grader Zahl folgen der Mutter, die anderen dem Vater. -- Die
meisten Ehen sollen glücklich sein; die Frau wird mit Achtung be-
handelt, hat gebührenden Einfluss auf alle häuslichen Angelegen-
heiten und bewegt sich auch ausserhalb des Hauses mit voller
Freiheit.

Wenn es zum Sterben geht, lässt der Siamese die Bonzen
kommen, die ihn unter Gebeten mit Weihwasser besprengen und
im letzten Augenblick dem Sterbenden beständig das Wort Arahan
-- Sei frei von Begehrlichkeit -- in die Ohren rufen; das soll der
scheidenden Seele Glück auf die Reise bringen. Dann bricht die
ganze Familie in Wehklagen aus. Die Leiche wird gewaschen, in
ein weisses Tuch gehüllt und in den mit Goldpapier beklebten Sarg
gelegt, über den man wo möglich einen Baldachin mit Papierspitzen,
Blumenguirlanden und Goldflitter baut. Nicht durch die Thür,
sondern durch ein in die Wand gebrochenes Loch wird die Leiche,
die Füsse voran, heraus und dann dreimal in schnellem Lauf um
das Haus getragen, damit sie den Eingang vergesse und keinen
Spuk treibe. -- Nach Pallegoix würde nur das Fleisch Derjenigen,
die es ausdrücklich verlangen, den Geiern vorgeworfen.

75) Die Bonzen besprengen das Ehebett mit Weihwasser und umwinden es
77 Mal mit Fäden ungesponnener Baumwolle, deren Enden sie bei Recitirung der
Segensformeln in den Händen halten.
Heirathen. Sterbegebräuche. XXII.

Die meisten Mädchen werden im Alter von funfzehn Jahren
verheirathet; warten die Eltern auf bessere Preise hoffend länger,
so geht die Tochter gewöhnlich durch, kommt nach einigen Wochen
mit ihrem Liebsten wieder und bittet unter dem Beistande von
Verwandten in vorgeschriebener Form um Verzeihung, worauf die
Eltern sich mit dem Schwiegersohn abfinden und die Hochzeit be-
reiten. Erfolgt die Einigung nicht, so segnet die Behörde den Ehe-
bund. — Bei der Hochzeit, die bei den Reicheren mit feierlichen
Bootsprocessionen, dramatischen Aufführungen, Musik und allerlei
Spielen gefeiert wird, scheinen die Bonzen keine anderen Verrich-
tungen zu haben, als den Gesang von Litaneien und die Einsegnung
des Ehebettes.75) Die Zahlung des Kaufpreises — oder der Mitgift
— scheint der die Ehe begründende Act zu sein. Die Grossen haben
viele Nebenweiber, aber nur die Kinder der ersten rechtmässigen
Frau sind erbberechtigt. — Bei Scheidungen, zu denen das Gericht
den Ehegatten auf der Frau Verlangen zwingen kann, wird die
Mitgift zurückgegeben. Das älteste, dritte und alle Kinder un-
grader Zahl folgen der Mutter, die anderen dem Vater. — Die
meisten Ehen sollen glücklich sein; die Frau wird mit Achtung be-
handelt, hat gebührenden Einfluss auf alle häuslichen Angelegen-
heiten und bewegt sich auch ausserhalb des Hauses mit voller
Freiheit.

Wenn es zum Sterben geht, lässt der Siamese die Bonzen
kommen, die ihn unter Gebeten mit Weihwasser besprengen und
im letzten Augenblick dem Sterbenden beständig das Wort Arahaṅ
— Sei frei von Begehrlichkeit — in die Ohren rufen; das soll der
scheidenden Seele Glück auf die Reise bringen. Dann bricht die
ganze Familie in Wehklagen aus. Die Leiche wird gewaschen, in
ein weisses Tuch gehüllt und in den mit Goldpapier beklebten Sarg
gelegt, über den man wo möglich einen Baldachin mit Papierspitzen,
Blumenguirlanden und Goldflitter baut. Nicht durch die Thür,
sondern durch ein in die Wand gebrochenes Loch wird die Leiche,
die Füsse voran, heraus und dann dreimal in schnellem Lauf um
das Haus getragen, damit sie den Eingang vergesse und keinen
Spuk treibe. — Nach Pallégoix würde nur das Fleisch Derjenigen,
die es ausdrücklich verlangen, den Geiern vorgeworfen.

75) Die Bonzen besprengen das Ehebett mit Weihwasser und umwinden es
77 Mal mit Fäden ungesponnener Baumwolle, deren Enden sie bei Recitirung der
Segensformeln in den Händen halten.
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[332/0346] Heirathen. Sterbegebräuche. XXII. Die meisten Mädchen werden im Alter von funfzehn Jahren verheirathet; warten die Eltern auf bessere Preise hoffend länger, so geht die Tochter gewöhnlich durch, kommt nach einigen Wochen mit ihrem Liebsten wieder und bittet unter dem Beistande von Verwandten in vorgeschriebener Form um Verzeihung, worauf die Eltern sich mit dem Schwiegersohn abfinden und die Hochzeit be- reiten. Erfolgt die Einigung nicht, so segnet die Behörde den Ehe- bund. — Bei der Hochzeit, die bei den Reicheren mit feierlichen Bootsprocessionen, dramatischen Aufführungen, Musik und allerlei Spielen gefeiert wird, scheinen die Bonzen keine anderen Verrich- tungen zu haben, als den Gesang von Litaneien und die Einsegnung des Ehebettes. 75) Die Zahlung des Kaufpreises — oder der Mitgift — scheint der die Ehe begründende Act zu sein. Die Grossen haben viele Nebenweiber, aber nur die Kinder der ersten rechtmässigen Frau sind erbberechtigt. — Bei Scheidungen, zu denen das Gericht den Ehegatten auf der Frau Verlangen zwingen kann, wird die Mitgift zurückgegeben. Das älteste, dritte und alle Kinder un- grader Zahl folgen der Mutter, die anderen dem Vater. — Die meisten Ehen sollen glücklich sein; die Frau wird mit Achtung be- handelt, hat gebührenden Einfluss auf alle häuslichen Angelegen- heiten und bewegt sich auch ausserhalb des Hauses mit voller Freiheit. Wenn es zum Sterben geht, lässt der Siamese die Bonzen kommen, die ihn unter Gebeten mit Weihwasser besprengen und im letzten Augenblick dem Sterbenden beständig das Wort Arahaṅ — Sei frei von Begehrlichkeit — in die Ohren rufen; das soll der scheidenden Seele Glück auf die Reise bringen. Dann bricht die ganze Familie in Wehklagen aus. Die Leiche wird gewaschen, in ein weisses Tuch gehüllt und in den mit Goldpapier beklebten Sarg gelegt, über den man wo möglich einen Baldachin mit Papierspitzen, Blumenguirlanden und Goldflitter baut. Nicht durch die Thür, sondern durch ein in die Wand gebrochenes Loch wird die Leiche, die Füsse voran, heraus und dann dreimal in schnellem Lauf um das Haus getragen, damit sie den Eingang vergesse und keinen Spuk treibe. — Nach Pallégoix würde nur das Fleisch Derjenigen, die es ausdrücklich verlangen, den Geiern vorgeworfen. 75) Die Bonzen besprengen das Ehebett mit Weihwasser und umwinden es 77 Mal mit Fäden ungesponnener Baumwolle, deren Enden sie bei Recitirung der Segensformeln in den Händen halten.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/346>, abgerufen am 30.04.2024.