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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XV. Staubstürme. Sommerklima.
schwarze Stürme. Draussen kaute man die Luft; Nase und Ohren
füllten sich mit feinem Staube, der selbst bei dicht verstopften
Fenstern und Thüren in die Häuser drang. Das Schreiben wurde
unmöglich; die Dinte stockte in der Feder, und auf das Papier
lagerte sich im Nu eine Staubschicht.3) Meist war die Luft furcht-
bar schwül; aus dem Electrometer des englischen Hospitals strömten
bei heftigem Sturm beständig blaue Flammen; die Electricität
wechselte oft zwischen positiver und negativer. Zuweilen kam
dabei ein Wolkenbruch, dass das aufgeweichte Papier in Lappen
von den Fenstern floss und das Wasser fusshoch in den Strassen
stand. Dann regnete es dicken braunen Schmutz, und wen solch
Wetter draussen packte, der kam gepanzert nach Hause. Oft kühlte
die schwüle Luft sich während des Sturmes dermaassen ab, dass
man Winterkleidung brauchte.

Anfang Juni legten sich die Staubwinde; nur zuweilen ver-
finsterte sich die Luft noch auf halbe Stunden. Dafür trat aber,
bei klarem blauem Himmel, arge Hitze ein, die Mitte Juni auf
33° R. stieg; kein Hygrometer zeigte mehr den Wassergehalt der
Luft an, die Haut blieb selbst bei starker Bewegung trocken. In
der zweiten Hälfte des Juni gab es zuweilen erfrischende Regen-
schauer und Gewitter, nach denen das Wetter auf einige Stunden
angenehm wurde. Abends genoss man in diesem Monat noch leid-
licher Kühle unter dem prachtvoll glänzenden Sternhimmel; bei
Tage liess sich die Hitze der Zimmer auch durch grosse Eisblöcke
kaum abkühlen; man fühlte sich unbehaglich, zu keiner Arbeit auf-
gelegt, viel schlimmer als in feuchten tropischen Gegenden, bei
schwächerer Verdunstung. -- Im Juli sollte es noch schlimmer
werden.

An gesunden Lebensmitteln mangelte es nicht. Gutes Brod
bereiteten die Bäcker der englischen Garnison; es gab Hammel-,
Rind- und Schweinefleisch, vorzügliche Bohnen, Spinat, Kartoffeln,
Bataten, nachher auch Brinjals, die Früchte der Eierpflanze (So-
lanum Melongena), ferner den ganzen Sommer durch Birnen und

3) Von der Menge des von diesen Stürmen mitgeführten Sandes giebt folgende
verbürgte Thatsache einen Begriff. Am 26. März 1862 wurde ein den Pei-ho mit
dem Pe-tan-Fluss verbindender schiffbarer Canal meilenweit in wenigen Stunden
dermaassen zugeschüttet, dass sich auf lange Strecken kaum noch die Richtung er-
kennen liess. Viele kornbeladene Fahrzeuge standen auf dem Trockenen neben dem
verschütteten Bett des Canales; der Sturm hatte sie auf dem darunter angehäuften
Sande allmälig bei Seite geschoben.

XV. Staubstürme. Sommerklima.
schwarze Stürme. Draussen kaute man die Luft; Nase und Ohren
füllten sich mit feinem Staube, der selbst bei dicht verstopften
Fenstern und Thüren in die Häuser drang. Das Schreiben wurde
unmöglich; die Dinte stockte in der Feder, und auf das Papier
lagerte sich im Nu eine Staubschicht.3) Meist war die Luft furcht-
bar schwül; aus dem Electrometer des englischen Hospitals strömten
bei heftigem Sturm beständig blaue Flammen; die Electricität
wechselte oft zwischen positiver und negativer. Zuweilen kam
dabei ein Wolkenbruch, dass das aufgeweichte Papier in Lappen
von den Fenstern floss und das Wasser fusshoch in den Strassen
stand. Dann regnete es dicken braunen Schmutz, und wen solch
Wetter draussen packte, der kam gepanzert nach Hause. Oft kühlte
die schwüle Luft sich während des Sturmes dermaassen ab, dass
man Winterkleidung brauchte.

Anfang Juni legten sich die Staubwinde; nur zuweilen ver-
finsterte sich die Luft noch auf halbe Stunden. Dafür trat aber,
bei klarem blauem Himmel, arge Hitze ein, die Mitte Juni auf
33° R. stieg; kein Hygrometer zeigte mehr den Wassergehalt der
Luft an, die Haut blieb selbst bei starker Bewegung trocken. In
der zweiten Hälfte des Juni gab es zuweilen erfrischende Regen-
schauer und Gewitter, nach denen das Wetter auf einige Stunden
angenehm wurde. Abends genoss man in diesem Monat noch leid-
licher Kühle unter dem prachtvoll glänzenden Sternhimmel; bei
Tage liess sich die Hitze der Zimmer auch durch grosse Eisblöcke
kaum abkühlen; man fühlte sich unbehaglich, zu keiner Arbeit auf-
gelegt, viel schlimmer als in feuchten tropischen Gegenden, bei
schwächerer Verdunstung. — Im Juli sollte es noch schlimmer
werden.

An gesunden Lebensmitteln mangelte es nicht. Gutes Brod
bereiteten die Bäcker der englischen Garnison; es gab Hammel-,
Rind- und Schweinefleisch, vorzügliche Bohnen, Spinat, Kartoffeln,
Bataten, nachher auch Brinjals, die Früchte der Eierpflanze (So-
lanum Melongena), ferner den ganzen Sommer durch Birnen und

3) Von der Menge des von diesen Stürmen mitgeführten Sandes giebt folgende
verbürgte Thatsache einen Begriff. Am 26. März 1862 wurde ein den Pei-ho mit
dem Pe-taṅ-Fluss verbindender schiffbarer Canal meilenweit in wenigen Stunden
dermaassen zugeschüttet, dass sich auf lange Strecken kaum noch die Richtung er-
kennen liess. Viele kornbeladene Fahrzeuge standen auf dem Trockenen neben dem
verschütteten Bett des Canales; der Sturm hatte sie auf dem darunter angehäuften
Sande allmälig bei Seite geschoben.
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[15/0029] XV. Staubstürme. Sommerklima. schwarze Stürme. Draussen kaute man die Luft; Nase und Ohren füllten sich mit feinem Staube, der selbst bei dicht verstopften Fenstern und Thüren in die Häuser drang. Das Schreiben wurde unmöglich; die Dinte stockte in der Feder, und auf das Papier lagerte sich im Nu eine Staubschicht. 3) Meist war die Luft furcht- bar schwül; aus dem Electrometer des englischen Hospitals strömten bei heftigem Sturm beständig blaue Flammen; die Electricität wechselte oft zwischen positiver und negativer. Zuweilen kam dabei ein Wolkenbruch, dass das aufgeweichte Papier in Lappen von den Fenstern floss und das Wasser fusshoch in den Strassen stand. Dann regnete es dicken braunen Schmutz, und wen solch Wetter draussen packte, der kam gepanzert nach Hause. Oft kühlte die schwüle Luft sich während des Sturmes dermaassen ab, dass man Winterkleidung brauchte. Anfang Juni legten sich die Staubwinde; nur zuweilen ver- finsterte sich die Luft noch auf halbe Stunden. Dafür trat aber, bei klarem blauem Himmel, arge Hitze ein, die Mitte Juni auf 33° R. stieg; kein Hygrometer zeigte mehr den Wassergehalt der Luft an, die Haut blieb selbst bei starker Bewegung trocken. In der zweiten Hälfte des Juni gab es zuweilen erfrischende Regen- schauer und Gewitter, nach denen das Wetter auf einige Stunden angenehm wurde. Abends genoss man in diesem Monat noch leid- licher Kühle unter dem prachtvoll glänzenden Sternhimmel; bei Tage liess sich die Hitze der Zimmer auch durch grosse Eisblöcke kaum abkühlen; man fühlte sich unbehaglich, zu keiner Arbeit auf- gelegt, viel schlimmer als in feuchten tropischen Gegenden, bei schwächerer Verdunstung. — Im Juli sollte es noch schlimmer werden. An gesunden Lebensmitteln mangelte es nicht. Gutes Brod bereiteten die Bäcker der englischen Garnison; es gab Hammel-, Rind- und Schweinefleisch, vorzügliche Bohnen, Spinat, Kartoffeln, Bataten, nachher auch Brinjals, die Früchte der Eierpflanze (So- lanum Melongena), ferner den ganzen Sommer durch Birnen und 3) Von der Menge des von diesen Stürmen mitgeführten Sandes giebt folgende verbürgte Thatsache einen Begriff. Am 26. März 1862 wurde ein den Pei-ho mit dem Pe-taṅ-Fluss verbindender schiffbarer Canal meilenweit in wenigen Stunden dermaassen zugeschüttet, dass sich auf lange Strecken kaum noch die Richtung er- kennen liess. Viele kornbeladene Fahrzeuge standen auf dem Trockenen neben dem verschütteten Bett des Canales; der Sturm hatte sie auf dem darunter angehäuften Sande allmälig bei Seite geschoben.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/29>, abgerufen am 20.04.2024.