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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XV. Vorstädte.
strasse führt vom nördlichen zum südlichen, eine zweite vom öst-
lichen zum westlichen Thor; über ihrer Kreuzung steht im Mittel-
puncte der Stadt ein den Stadtthoren gleichendes massives Ge-
bäude mit gewölbten Eingängen von den vier Seiten. Dieser Bau
beherrscht ganz Tien-tsin, kann aber durch seine Lage keinen
möglichen Nutzen bieten und soll wohl nur, der symmetrischen
Anordnung des Gründers zu Liebe, den Mittelpunct der Stadt be-
zeichnen; nicht einmal als Feuerwarte scheint das festungsartige
Gebäude zu dienen, dessen Unterbau genau in der Höhe der Stadt-
mauer massiv aus Luftsteinen gebaut ist. Die oberen Stockwerke
sind, wie bei den Thoren, aus Holz und Luftsteinen aufgeführt,
mit schweren vorspringenden Dächern, die Dachkanten geschwun-
gen und mit grotesken Thiergestalten verziert. Die vier durch die
Hauptstrassen abgetheilten Stadtviertel bilden ein Labyrinth enger
gewundener Gassen; in der Nähe der Mauern liegen weite Strecken
unbebaut, mit Lachen stagnirenden Wassers. Rechts vom Ostthor
steht der Tempel des Confucius, links ein grosses Theater, damals
von den Engländern zur Kaserne eingerichtet; andere Tempel und
Theater liegen in der Stadt zerstreut.

Ein weit grösseres Areal als diesen mauerumschlossenen
Platz bedecken die Vorstädte, die sich zu beiden Seiten des Pei-ho
und des Kaisercanales ausdehnen. Hier wohnt die handeltreibende
Bevölkerung; die Strassen sind breiter und etwas reinlicher, die
Kaufläden besser als in der Stadt, wo es fast nur Schmutz und
Spelunken giebt. Der Kaisercanal läuft aus Westen her etwa fünf-
hundert Schritt von der nördlichen Mauer mit dieser eine Strecke
parallel und macht dann eine Biegung gegen die Nordost-Ecke der
Stadt, wo unter der Mauer nur eine Strassenbreite bleibt. Nicht
weit von da mündet der Canal in den aus Nordwesten kommenden
Pei-ho, der sich hier scharf nach Süden wendet und etwa sechs-
hundert Schritt von der Ostmauer strömt. Die Vorstädte vor dem
Nord- und dem Ost-Thore sind die beste Gegend von Tien-tsin;
weiter den Canal hinauf, flussabwärts und jenseit beider Gewässer
giebt es nur enge winklige Gassen und wenig gute Gebäude. Auf
dem linken Flussufer liegen am östlichen Ende der Vorstadt unge-
heuere Salzmassen in freier Luft aufgestapelt. Südlich vom Ost-
thor führt eine Schiffbrücke über den Pei-ho; eine zweite über
den Kaisercanal stösst auf die vom Nordthor ausgehende Strasse.
Dort liegen mehrere Theater, und jenseit des Canales ein Tempel,

XV. Vorstädte.
strasse führt vom nördlichen zum südlichen, eine zweite vom öst-
lichen zum westlichen Thor; über ihrer Kreuzung steht im Mittel-
puncte der Stadt ein den Stadtthoren gleichendes massives Ge-
bäude mit gewölbten Eingängen von den vier Seiten. Dieser Bau
beherrscht ganz Tien-tsin, kann aber durch seine Lage keinen
möglichen Nutzen bieten und soll wohl nur, der symmetrischen
Anordnung des Gründers zu Liebe, den Mittelpunct der Stadt be-
zeichnen; nicht einmal als Feuerwarte scheint das festungsartige
Gebäude zu dienen, dessen Unterbau genau in der Höhe der Stadt-
mauer massiv aus Luftsteinen gebaut ist. Die oberen Stockwerke
sind, wie bei den Thoren, aus Holz und Luftsteinen aufgeführt,
mit schweren vorspringenden Dächern, die Dachkanten geschwun-
gen und mit grotesken Thiergestalten verziert. Die vier durch die
Hauptstrassen abgetheilten Stadtviertel bilden ein Labyrinth enger
gewundener Gassen; in der Nähe der Mauern liegen weite Strecken
unbebaut, mit Lachen stagnirenden Wassers. Rechts vom Ostthor
steht der Tempel des Confucius, links ein grosses Theater, damals
von den Engländern zur Kaserne eingerichtet; andere Tempel und
Theater liegen in der Stadt zerstreut.

Ein weit grösseres Areal als diesen mauerumschlossenen
Platz bedecken die Vorstädte, die sich zu beiden Seiten des Pei-ho
und des Kaisercanales ausdehnen. Hier wohnt die handeltreibende
Bevölkerung; die Strassen sind breiter und etwas reinlicher, die
Kaufläden besser als in der Stadt, wo es fast nur Schmutz und
Spelunken giebt. Der Kaisercanal läuft aus Westen her etwa fünf-
hundert Schritt von der nördlichen Mauer mit dieser eine Strecke
parallel und macht dann eine Biegung gegen die Nordost-Ecke der
Stadt, wo unter der Mauer nur eine Strassenbreite bleibt. Nicht
weit von da mündet der Canal in den aus Nordwesten kommenden
Pei-ho, der sich hier scharf nach Süden wendet und etwa sechs-
hundert Schritt von der Ostmauer strömt. Die Vorstädte vor dem
Nord- und dem Ost-Thore sind die beste Gegend von Tien-tsin;
weiter den Canal hinauf, flussabwärts und jenseit beider Gewässer
giebt es nur enge winklige Gassen und wenig gute Gebäude. Auf
dem linken Flussufer liegen am östlichen Ende der Vorstadt unge-
heuere Salzmassen in freier Luft aufgestapelt. Südlich vom Ost-
thor führt eine Schiffbrücke über den Pei-ho; eine zweite über
den Kaisercanal stösst auf die vom Nordthor ausgehende Strasse.
Dort liegen mehrere Theater, und jenseit des Canales ein Tempel,

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[13/0027] XV. Vorstädte. strasse führt vom nördlichen zum südlichen, eine zweite vom öst- lichen zum westlichen Thor; über ihrer Kreuzung steht im Mittel- puncte der Stadt ein den Stadtthoren gleichendes massives Ge- bäude mit gewölbten Eingängen von den vier Seiten. Dieser Bau beherrscht ganz Tien-tsin, kann aber durch seine Lage keinen möglichen Nutzen bieten und soll wohl nur, der symmetrischen Anordnung des Gründers zu Liebe, den Mittelpunct der Stadt be- zeichnen; nicht einmal als Feuerwarte scheint das festungsartige Gebäude zu dienen, dessen Unterbau genau in der Höhe der Stadt- mauer massiv aus Luftsteinen gebaut ist. Die oberen Stockwerke sind, wie bei den Thoren, aus Holz und Luftsteinen aufgeführt, mit schweren vorspringenden Dächern, die Dachkanten geschwun- gen und mit grotesken Thiergestalten verziert. Die vier durch die Hauptstrassen abgetheilten Stadtviertel bilden ein Labyrinth enger gewundener Gassen; in der Nähe der Mauern liegen weite Strecken unbebaut, mit Lachen stagnirenden Wassers. Rechts vom Ostthor steht der Tempel des Confucius, links ein grosses Theater, damals von den Engländern zur Kaserne eingerichtet; andere Tempel und Theater liegen in der Stadt zerstreut. Ein weit grösseres Areal als diesen mauerumschlossenen Platz bedecken die Vorstädte, die sich zu beiden Seiten des Pei-ho und des Kaisercanales ausdehnen. Hier wohnt die handeltreibende Bevölkerung; die Strassen sind breiter und etwas reinlicher, die Kaufläden besser als in der Stadt, wo es fast nur Schmutz und Spelunken giebt. Der Kaisercanal läuft aus Westen her etwa fünf- hundert Schritt von der nördlichen Mauer mit dieser eine Strecke parallel und macht dann eine Biegung gegen die Nordost-Ecke der Stadt, wo unter der Mauer nur eine Strassenbreite bleibt. Nicht weit von da mündet der Canal in den aus Nordwesten kommenden Pei-ho, der sich hier scharf nach Süden wendet und etwa sechs- hundert Schritt von der Ostmauer strömt. Die Vorstädte vor dem Nord- und dem Ost-Thore sind die beste Gegend von Tien-tsin; weiter den Canal hinauf, flussabwärts und jenseit beider Gewässer giebt es nur enge winklige Gassen und wenig gute Gebäude. Auf dem linken Flussufer liegen am östlichen Ende der Vorstadt unge- heuere Salzmassen in freier Luft aufgestapelt. Südlich vom Ost- thor führt eine Schiffbrücke über den Pei-ho; eine zweite über den Kaisercanal stösst auf die vom Nordthor ausgehende Strasse. Dort liegen mehrere Theater, und jenseit des Canales ein Tempel,

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/27>, abgerufen am 22.11.2024.