Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.XIX. Tempelarchitectur. Holzes im Dachstuhl und tragenden Gebälk sieht man im Südennicht, der Dachstuhl ist leichter; überall tritt der Stein in den Vor- dergrund. Von Erfindung, Grazie und Sinn für schönes Verhältniss zeugt die reiche Profilirung der Pfeiler, Schwellen und Consolen; die Technik der Steinmetzarbeit ist vollendet. Die bunt geschnör- kelten Dächer haben alle dieselbe von der nordchinesischen ganz verschiedene Grundform der Verzierung. In der Mitte der hohen aus bunten Kacheln gefügten First ragt auf kelchartigem Untersatz eine grosse dunkelblaue Kugel in die Luft, an deren Seiten sich Schlangen oder Drachen durch Wolken ringeln; daneben zwei bunte Fische, den Kopf nach unten, den Schwanz hoch in die Luft geschwungen; das Alles mag symbolisch sein. Die brettartige Dach- first selbst zeigt zwei Reihen Reliefs, die obere gewöhnlich in Kacheln wie die Krönung, die untere in Stuck gearbeitet, theils figurenreiche Compositionen auf architectonischem Hintergrund, theils Blumen, Fruchtstücke, musikalische Instrumente und allerlei Embleme, das Ganze äusserst bunt. Darunter setzt die Bedachung aus grauen Ziegeln an, nur die Stirnziegel sind gemustert und bunt. Die Giebel haben verschiedene willkürliche, zackige, geschwungene, oft architectonisch widersinnige und unmögliche Formen. Unter dem Dach läuft gewöhnlich ein ornamentaler Fries von Stuck hin, der sich in der Krönung der daranstossenden Wände fortsetzt. Die Zeichnung dieses Mauerschmuckes zeigt oft die sonderbarsten Verkröpfungen, Verschlingungen, Verschiebungen der Linie; man staunt über die Extravaganzen der gedankenleeren Willkür; denn irgend ein Sinn ist in dieser Verzierung nicht zu finden, die sich weder auf Anschauungen aus der sinnlichen Welt, noch auf Sym- bolik oder die Ahnung mathematischer Gesetze gründet. -- Im Innern gleichen die kantonesischen Tempel den früher beschrie- benen, nur sind sie wo möglich noch buntscheckiger. Bei den meisten ist der Mittelraum oben offen, der Hauptgötze sitzt der Eingangshalle gegenüber; auf den Altären steht das übliche Ge- räth, in den Seitenhallen verkaufen die Bonzen ihre Gebetformeln, Silberpapiere und Glimmkerzen, und bescheinigen den Opfernden die verrichtete Andacht. Lustig knallen die Schwärmer und dem Pulverdampf mischen sich die Gerüche der Brand- und Speise- opfer: -- der Reiche bringt ein ganz gebratenes Mastschwein nebst hundert Schüsseln und bunten Kuchen, schleppt aber wie gesagt Alles wieder nach Hause, um es selbst zu essen; die abgeschiedene 13*
XIX. Tempelarchitectur. Holzes im Dachstuhl und tragenden Gebälk sieht man im Südennicht, der Dachstuhl ist leichter; überall tritt der Stein in den Vor- dergrund. Von Erfindung, Grazie und Sinn für schönes Verhältniss zeugt die reiche Profilirung der Pfeiler, Schwellen und Consolen; die Technik der Steinmetzarbeit ist vollendet. Die bunt geschnör- kelten Dächer haben alle dieselbe von der nordchinesischen ganz verschiedene Grundform der Verzierung. In der Mitte der hohen aus bunten Kacheln gefügten First ragt auf kelchartigem Untersatz eine grosse dunkelblaue Kugel in die Luft, an deren Seiten sich Schlangen oder Drachen durch Wolken ringeln; daneben zwei bunte Fische, den Kopf nach unten, den Schwanz hoch in die Luft geschwungen; das Alles mag symbolisch sein. Die brettartige Dach- first selbst zeigt zwei Reihen Reliefs, die obere gewöhnlich in Kacheln wie die Krönung, die untere in Stuck gearbeitet, theils figurenreiche Compositionen auf architectonischem Hintergrund, theils Blumen, Fruchtstücke, musikalische Instrumente und allerlei Embleme, das Ganze äusserst bunt. Darunter setzt die Bedachung aus grauen Ziegeln an, nur die Stirnziegel sind gemustert und bunt. Die Giebel haben verschiedene willkürliche, zackige, geschwungene, oft architectonisch widersinnige und unmögliche Formen. Unter dem Dach läuft gewöhnlich ein ornamentaler Fries von Stuck hin, der sich in der Krönung der daranstossenden Wände fortsetzt. Die Zeichnung dieses Mauerschmuckes zeigt oft die sonderbarsten Verkröpfungen, Verschlingungen, Verschiebungen der Linie; man staunt über die Extravaganzen der gedankenleeren Willkür; denn irgend ein Sinn ist in dieser Verzierung nicht zu finden, die sich weder auf Anschauungen aus der sinnlichen Welt, noch auf Sym- bolik oder die Ahnung mathematischer Gesetze gründet. — Im Innern gleichen die kantonesischen Tempel den früher beschrie- benen, nur sind sie wo möglich noch buntscheckiger. Bei den meisten ist der Mittelraum oben offen, der Hauptgötze sitzt der Eingangshalle gegenüber; auf den Altären steht das übliche Ge- räth, in den Seitenhallen verkaufen die Bonzen ihre Gebetformeln, Silberpapiere und Glimmkerzen, und bescheinigen den Opfernden die verrichtete Andacht. Lustig knallen die Schwärmer und dem Pulverdampf mischen sich die Gerüche der Brand- und Speise- opfer: — der Reiche bringt ein ganz gebratenes Mastschwein nebst hundert Schüsseln und bunten Kuchen, schleppt aber wie gesagt Alles wieder nach Hause, um es selbst zu essen; die abgeschiedene 13*
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XIX. Tempelarchitectur.
Holzes im Dachstuhl und tragenden Gebälk sieht man im Süden
nicht, der Dachstuhl ist leichter; überall tritt der Stein in den Vor-
dergrund. Von Erfindung, Grazie und Sinn für schönes Verhältniss
zeugt die reiche Profilirung der Pfeiler, Schwellen und Consolen;
die Technik der Steinmetzarbeit ist vollendet. Die bunt geschnör-
kelten Dächer haben alle dieselbe von der nordchinesischen ganz
verschiedene Grundform der Verzierung. In der Mitte der hohen
aus bunten Kacheln gefügten First ragt auf kelchartigem Untersatz
eine grosse dunkelblaue Kugel in die Luft, an deren Seiten sich
Schlangen oder Drachen durch Wolken ringeln; daneben zwei
bunte Fische, den Kopf nach unten, den Schwanz hoch in die Luft
geschwungen; das Alles mag symbolisch sein. Die brettartige Dach-
first selbst zeigt zwei Reihen Reliefs, die obere gewöhnlich in
Kacheln wie die Krönung, die untere in Stuck gearbeitet, theils
figurenreiche Compositionen auf architectonischem Hintergrund,
theils Blumen, Fruchtstücke, musikalische Instrumente und allerlei
Embleme, das Ganze äusserst bunt. Darunter setzt die Bedachung
aus grauen Ziegeln an, nur die Stirnziegel sind gemustert und bunt.
Die Giebel haben verschiedene willkürliche, zackige, geschwungene,
oft architectonisch widersinnige und unmögliche Formen. Unter
dem Dach läuft gewöhnlich ein ornamentaler Fries von Stuck hin,
der sich in der Krönung der daranstossenden Wände fortsetzt.
Die Zeichnung dieses Mauerschmuckes zeigt oft die sonderbarsten
Verkröpfungen, Verschlingungen, Verschiebungen der Linie; man
staunt über die Extravaganzen der gedankenleeren Willkür; denn
irgend ein Sinn ist in dieser Verzierung nicht zu finden, die sich
weder auf Anschauungen aus der sinnlichen Welt, noch auf Sym-
bolik oder die Ahnung mathematischer Gesetze gründet. — Im
Innern gleichen die kantonesischen Tempel den früher beschrie-
benen, nur sind sie wo möglich noch buntscheckiger. Bei den
meisten ist der Mittelraum oben offen, der Hauptgötze sitzt der
Eingangshalle gegenüber; auf den Altären steht das übliche Ge-
räth, in den Seitenhallen verkaufen die Bonzen ihre Gebetformeln,
Silberpapiere und Glimmkerzen, und bescheinigen den Opfernden
die verrichtete Andacht. Lustig knallen die Schwärmer und dem
Pulverdampf mischen sich die Gerüche der Brand- und Speise-
opfer: — der Reiche bringt ein ganz gebratenes Mastschwein nebst
hundert Schüsseln und bunten Kuchen, schleppt aber wie gesagt
Alles wieder nach Hause, um es selbst zu essen; die abgeschiedene
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