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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XIX. Kaufläden.
grössere Sauberkeit eine Folge der Occupation sein; die englische
Polizei soll mit unerbittlicher Strenge darauf gehalten haben.
Die Bewohner sehen schmuck und wohlhabend aus, alle Bettler
und Krüppel scheinen auf den Fluss verbannt. -- Den Süden
merkt man in den kühlen schattigen Gassen der Chinesenstadt auf
Schritt und Tritt; ihre Häuser sind von Backstein, ohne anderen
Schmuck als die dichtgedrängten Ladenschilder. Die Kaufläden
empfangen ihr Licht von den Strassen und der Hofseite, der ganze
Waarenvorrath ist darin zur Schau gestellt. Den buntesten An-
blick und eine reichere Auswahl, als irgendwo in China, bieten die
Porcelan-Handlungen, wo Alles dem Bedürfniss der Fremden ange-
passt ist. Wie in Japan stehen hier vollständige Tafelservice zu
Kauf, aber auch schöne Gefässe von landesüblicher Form. Dem
alten kann sich das heutige chinesische Porcelan nicht ent-
fernt vergleichen; das Geheimniss der Farben unter der Glasur
scheint verloren zu sein; die Malerei ist bunt, überladen und con-
ventionell, ohne künstlerischen Werth. Zwar wechselt die Mode
beständig, bringt aber nichts Neues und Eigenthümliches mehr.
Auch die Masse des Porcelans soll sich verschlechtert haben. --
Die Elfenbein-, Schildpatt- und Perlmutterarbeiten gleichen den in
Hong-kong verkauften, nur sind die Lager von Kan-ton viel reich-
haltiger. Von hoher Meisterschaft in der Kunstfertigkeit des
Schnitzens zeugen besonders die Möbel in Kan-ton: die meisten
Stücke sind dem europäischen Gebrauch angepasst, aus chinesi-
schem Ebenholz sehr reich und prächtig gearbeitet, mit vollem und
durchbrochenem Ornament von höchster technischer Vollendung.
-- In den Seidenläden findet man schwere geblümte Möbelstoffe
von grosser Schönheit und Crepe de Chine-Tücher mit prachtvoller
Stickerei.

In der Tartarenstadt sind die Kaufläden seltener, die Strassen
stiller als in der chinesischen, ihr nördliches Ende lehnt sich an
eine Anhöhe. Auf dem höchsten Puncte steht in der Flucht der
Ringmauer die "fünfstöckige Pagode", ein breites Tempelgebäude
von alterthümlichem Aussehn. Hier warf 1841 der alte Yan-fan
dem englischen Commandeur seine goldenen Armspangen hinab und
bot den Frieden. Auf dieser Seite stürmten die Truppen der Ver-
bündeten auch im December 1857.45) Der Hügel beherrscht die
ganze Stadt, die von hier aus einem Meer grauer Dächer gleicht;

45) S. Ansichten aus Japan, China und Siam VIII.
IV. 13

XIX. Kaufläden.
grössere Sauberkeit eine Folge der Occupation sein; die englische
Polizei soll mit unerbittlicher Strenge darauf gehalten haben.
Die Bewohner sehen schmuck und wohlhabend aus, alle Bettler
und Krüppel scheinen auf den Fluss verbannt. — Den Süden
merkt man in den kühlen schattigen Gassen der Chinesenstadt auf
Schritt und Tritt; ihre Häuser sind von Backstein, ohne anderen
Schmuck als die dichtgedrängten Ladenschilder. Die Kaufläden
empfangen ihr Licht von den Strassen und der Hofseite, der ganze
Waarenvorrath ist darin zur Schau gestellt. Den buntesten An-
blick und eine reichere Auswahl, als irgendwo in China, bieten die
Porcelan-Handlungen, wo Alles dem Bedürfniss der Fremden ange-
passt ist. Wie in Japan stehen hier vollständige Tafelservice zu
Kauf, aber auch schöne Gefässe von landesüblicher Form. Dem
alten kann sich das heutige chinesische Porcelan nicht ent-
fernt vergleichen; das Geheimniss der Farben unter der Glasur
scheint verloren zu sein; die Malerei ist bunt, überladen und con-
ventionell, ohne künstlerischen Werth. Zwar wechselt die Mode
beständig, bringt aber nichts Neues und Eigenthümliches mehr.
Auch die Masse des Porcelans soll sich verschlechtert haben. —
Die Elfenbein-, Schildpatt- und Perlmutterarbeiten gleichen den in
Hong-kong verkauften, nur sind die Lager von Kan-ton viel reich-
haltiger. Von hoher Meisterschaft in der Kunstfertigkeit des
Schnitzens zeugen besonders die Möbel in Kan-ton: die meisten
Stücke sind dem europäischen Gebrauch angepasst, aus chinesi-
schem Ebenholz sehr reich und prächtig gearbeitet, mit vollem und
durchbrochenem Ornament von höchster technischer Vollendung.
— In den Seidenläden findet man schwere geblümte Möbelstoffe
von grosser Schönheit und Crêpe de Chine-Tücher mit prachtvoller
Stickerei.

In der Tartarenstadt sind die Kaufläden seltener, die Strassen
stiller als in der chinesischen, ihr nördliches Ende lehnt sich an
eine Anhöhe. Auf dem höchsten Puncte steht in der Flucht der
Ringmauer die »fünfstöckige Pagode«, ein breites Tempelgebäude
von alterthümlichem Aussehn. Hier warf 1841 der alte Yaṅ-faṅ
dem englischen Commandeur seine goldenen Armspangen hinab und
bot den Frieden. Auf dieser Seite stürmten die Truppen der Ver-
bündeten auch im December 1857.45) Der Hügel beherrscht die
ganze Stadt, die von hier aus einem Meer grauer Dächer gleicht;

45) S. Ansichten aus Japan, China und Siam VIII.
IV. 13
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[193/0207] XIX. Kaufläden. grössere Sauberkeit eine Folge der Occupation sein; die englische Polizei soll mit unerbittlicher Strenge darauf gehalten haben. Die Bewohner sehen schmuck und wohlhabend aus, alle Bettler und Krüppel scheinen auf den Fluss verbannt. — Den Süden merkt man in den kühlen schattigen Gassen der Chinesenstadt auf Schritt und Tritt; ihre Häuser sind von Backstein, ohne anderen Schmuck als die dichtgedrängten Ladenschilder. Die Kaufläden empfangen ihr Licht von den Strassen und der Hofseite, der ganze Waarenvorrath ist darin zur Schau gestellt. Den buntesten An- blick und eine reichere Auswahl, als irgendwo in China, bieten die Porcelan-Handlungen, wo Alles dem Bedürfniss der Fremden ange- passt ist. Wie in Japan stehen hier vollständige Tafelservice zu Kauf, aber auch schöne Gefässe von landesüblicher Form. Dem alten kann sich das heutige chinesische Porcelan nicht ent- fernt vergleichen; das Geheimniss der Farben unter der Glasur scheint verloren zu sein; die Malerei ist bunt, überladen und con- ventionell, ohne künstlerischen Werth. Zwar wechselt die Mode beständig, bringt aber nichts Neues und Eigenthümliches mehr. Auch die Masse des Porcelans soll sich verschlechtert haben. — Die Elfenbein-, Schildpatt- und Perlmutterarbeiten gleichen den in Hong-kong verkauften, nur sind die Lager von Kan-ton viel reich- haltiger. Von hoher Meisterschaft in der Kunstfertigkeit des Schnitzens zeugen besonders die Möbel in Kan-ton: die meisten Stücke sind dem europäischen Gebrauch angepasst, aus chinesi- schem Ebenholz sehr reich und prächtig gearbeitet, mit vollem und durchbrochenem Ornament von höchster technischer Vollendung. — In den Seidenläden findet man schwere geblümte Möbelstoffe von grosser Schönheit und Crêpe de Chine-Tücher mit prachtvoller Stickerei. In der Tartarenstadt sind die Kaufläden seltener, die Strassen stiller als in der chinesischen, ihr nördliches Ende lehnt sich an eine Anhöhe. Auf dem höchsten Puncte steht in der Flucht der Ringmauer die »fünfstöckige Pagode«, ein breites Tempelgebäude von alterthümlichem Aussehn. Hier warf 1841 der alte Yaṅ-faṅ dem englischen Commandeur seine goldenen Armspangen hinab und bot den Frieden. Auf dieser Seite stürmten die Truppen der Ver- bündeten auch im December 1857. 45) Der Hügel beherrscht die ganze Stadt, die von hier aus einem Meer grauer Dächer gleicht; 45) S. Ansichten aus Japan, China und Siam VIII. IV. 13

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/207>, abgerufen am 30.04.2024.