Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite
Strahlenbrechung. XIV.

Am 26. April kam bei Tagesgrauen Cap San-tun in Sicht,
das wir, in den Golf von Pe-tsi-li einbiegend, gegen fünf Uhr
Morgens umschifften. Die Fahrt ging westlich, die schroffe Fels-
küste entlang. Gegen zwei Uhr Nachmittags gewahrte man nah
dem Lande drei Schiffe: das französische Transportschiff Calvados,
das Shang-hae kurz vor der Arkona verliess, war hier gestrandet,
von zwei Dampfern aber wieder flott gemacht worden, und hielt
mit diesen jetzt gleich uns auf Tsi-fu los. Wir hatten wegen
der dunstigen Luft keine sichere Längen-Observation, der Meeres-
horizont zeigte die sonderbarsten Unebenheiten: bald wellenförmig,
bald gradezu bergan laufend brach die Linie plötzlich senkrecht
ab, um tiefer wieder anzusetzen; die Küsten reckten und hoben
sich fratzenhaft in unruhig wechselnder Verschiebung. Das wunder-
lichste Phänomen der Strahlenbrechung gewährten aber jene drei
Schiffe: sie verschwanden plötzlich vor unseren Augen und tauch-
ten wieder auf; dann schob sich der Meereshorizont mit zwei
Schiffen in die Höhe; sie standen wie auf einem Berge, während
das dritte in der Tiefe blieb; dann senkte sich die Meereslinie wie-
der, die Masten blieben in der Luft stehen und der Rumpf der
beiden Schiffe schwoll so ungeheuerlich, dass sie Thürmen glichen,
die allmälig einsanken, während nun die Untermasten wuchsen.
Nach einigen Minuten hatte Alles seine natürliche Gestalt. 1)

Da die Rhede von Ta-ku ein schlechter Ankerplatz für
grössere Kriegsschiffe, auch die Proviantirung unsicher ist, so lief
Capitän Sundewall Tsi-fu an, um die Vortheile dieses Hafens
kennen zu lernen. Der Namen bezeichnet streng genommen nur
das Felsencap, das, am Ende einer flachen Landzunge in schroffen
Wänden aus dem Meere steigend, mit einigen Felsinseln die Bucht
gegen Meeresschwall und nördliche Winde schützt. Die im Halb-
kreis gelagerte Stadt heisst bei den Chinesen Dzen-tai; die Frem-
den haben jedoch den Namen Tsi-fu auf die ganze Oertlichkeit
übertragen und kennen auch die Stadt nur unter dieser Bezeich-
nung. Von den Kriegen und Aufständen der letzten zwanzig Jahre
unberührt, genoss sie blühenden Wohlstandes; mehrere fremde
Schiffe hatten ihre Ladung mit Vortheil gegen klingendes Silber
verkauft, und der Handel bot so günstige Aussichten, dass die

1) Der Verfasser hat das sonderbare Phänomen auf dem Fleck beschrieben und
von Minute zu Minute die Veränderungen gezeichnet.
Strahlenbrechung. XIV.

Am 26. April kam bei Tagesgrauen Cap Šan-tuṅ in Sicht,
das wir, in den Golf von Pe-tši-li einbiegend, gegen fünf Uhr
Morgens umschifften. Die Fahrt ging westlich, die schroffe Fels-
küste entlang. Gegen zwei Uhr Nachmittags gewahrte man nah
dem Lande drei Schiffe: das französische Transportschiff Calvados,
das Shang-hae kurz vor der Arkona verliess, war hier gestrandet,
von zwei Dampfern aber wieder flott gemacht worden, und hielt
mit diesen jetzt gleich uns auf Tši-fu los. Wir hatten wegen
der dunstigen Luft keine sichere Längen-Observation, der Meeres-
horizont zeigte die sonderbarsten Unebenheiten: bald wellenförmig,
bald gradezu bergan laufend brach die Linie plötzlich senkrecht
ab, um tiefer wieder anzusetzen; die Küsten reckten und hoben
sich fratzenhaft in unruhig wechselnder Verschiebung. Das wunder-
lichste Phänomen der Strahlenbrechung gewährten aber jene drei
Schiffe: sie verschwanden plötzlich vor unseren Augen und tauch-
ten wieder auf; dann schob sich der Meereshorizont mit zwei
Schiffen in die Höhe; sie standen wie auf einem Berge, während
das dritte in der Tiefe blieb; dann senkte sich die Meereslinie wie-
der, die Masten blieben in der Luft stehen und der Rumpf der
beiden Schiffe schwoll so ungeheuerlich, dass sie Thürmen glichen,
die allmälig einsanken, während nun die Untermasten wuchsen.
Nach einigen Minuten hatte Alles seine natürliche Gestalt. 1)

Da die Rhede von Ta-ku ein schlechter Ankerplatz für
grössere Kriegsschiffe, auch die Proviantirung unsicher ist, so lief
Capitän Sundewall Tši-fu an, um die Vortheile dieses Hafens
kennen zu lernen. Der Namen bezeichnet streng genommen nur
das Felsencap, das, am Ende einer flachen Landzunge in schroffen
Wänden aus dem Meere steigend, mit einigen Felsinseln die Bucht
gegen Meeresschwall und nördliche Winde schützt. Die im Halb-
kreis gelagerte Stadt heisst bei den Chinesen Džen-tai; die Frem-
den haben jedoch den Namen Tši-fu auf die ganze Oertlichkeit
übertragen und kennen auch die Stadt nur unter dieser Bezeich-
nung. Von den Kriegen und Aufständen der letzten zwanzig Jahre
unberührt, genoss sie blühenden Wohlstandes; mehrere fremde
Schiffe hatten ihre Ladung mit Vortheil gegen klingendes Silber
verkauft, und der Handel bot so günstige Aussichten, dass die

1) Der Verfasser hat das sonderbare Phänomen auf dem Fleck beschrieben und
von Minute zu Minute die Veränderungen gezeichnet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0018" n="4"/>
          <fw place="top" type="header">Strahlenbrechung. XIV.</fw><lb/>
          <p>Am 26. April kam bei Tagesgrauen <placeName>Cap <hi rendition="#k">&#x0160;an-tun&#x0307;</hi></placeName> in Sicht,<lb/>
das wir, in den <placeName>Golf von <hi rendition="#k">Pe-t&#x0161;i-li</hi></placeName> einbiegend, gegen fünf Uhr<lb/>
Morgens umschifften. Die Fahrt ging westlich, die schroffe Fels-<lb/>
küste entlang. Gegen zwei Uhr Nachmittags gewahrte man nah<lb/>
dem Lande drei Schiffe: das französische Transportschiff Calvados,<lb/>
das <hi rendition="#k"><placeName>Shang-hae</placeName></hi> kurz vor der Arkona verliess, war hier gestrandet,<lb/>
von zwei Dampfern aber wieder flott gemacht worden, und hielt<lb/>
mit diesen jetzt gleich uns auf <hi rendition="#k"><placeName>T&#x0161;i-fu</placeName></hi> los. Wir hatten wegen<lb/>
der dunstigen Luft keine sichere Längen-Observation, der Meeres-<lb/>
horizont zeigte die sonderbarsten Unebenheiten: bald wellenförmig,<lb/>
bald gradezu bergan laufend brach die Linie plötzlich senkrecht<lb/>
ab, um tiefer wieder anzusetzen; die Küsten reckten und hoben<lb/>
sich fratzenhaft in unruhig wechselnder Verschiebung. Das wunder-<lb/>
lichste Phänomen der Strahlenbrechung gewährten aber jene drei<lb/>
Schiffe: sie verschwanden plötzlich vor unseren Augen und tauch-<lb/>
ten wieder auf; dann schob sich der Meereshorizont mit zwei<lb/>
Schiffen in die Höhe; sie standen wie auf einem Berge, während<lb/>
das dritte in der Tiefe blieb; dann senkte sich die Meereslinie wie-<lb/>
der, die Masten blieben in der Luft stehen und der Rumpf der<lb/>
beiden Schiffe schwoll so ungeheuerlich, dass sie Thürmen glichen,<lb/>
die allmälig einsanken, während nun die Untermasten wuchsen.<lb/>
Nach einigen Minuten hatte Alles seine natürliche Gestalt. <note place="foot" n="1)">Der Verfasser hat das sonderbare Phänomen auf dem Fleck beschrieben und<lb/>
von Minute zu Minute die Veränderungen gezeichnet.</note></p><lb/>
          <p>Da die Rhede von <hi rendition="#k"><placeName>Ta-ku</placeName></hi> ein schlechter Ankerplatz für<lb/>
grössere Kriegsschiffe, auch die Proviantirung unsicher ist, so lief<lb/>
Capitän <persName ref="nognd">Sundewall</persName> <hi rendition="#k"><placeName>T&#x0161;i-fu</placeName></hi> an, um die Vortheile dieses Hafens<lb/>
kennen zu lernen. Der Namen bezeichnet streng genommen nur<lb/>
das Felsencap, das, am Ende einer flachen Landzunge in schroffen<lb/>
Wänden aus dem Meere steigend, mit einigen Felsinseln die Bucht<lb/>
gegen Meeresschwall und nördliche Winde schützt. Die im Halb-<lb/>
kreis gelagerte Stadt heisst bei den Chinesen <hi rendition="#k"><placeName>D&#x017E;en-tai</placeName></hi>; die Frem-<lb/>
den haben jedoch den Namen <hi rendition="#k"><placeName>T&#x0161;i-fu</placeName></hi> auf die ganze Oertlichkeit<lb/>
übertragen und kennen auch die Stadt nur unter dieser Bezeich-<lb/>
nung. Von den Kriegen und Aufständen der letzten zwanzig Jahre<lb/>
unberührt, genoss sie blühenden Wohlstandes; mehrere fremde<lb/>
Schiffe hatten ihre Ladung mit Vortheil gegen klingendes Silber<lb/>
verkauft, und der Handel bot so günstige Aussichten, dass die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0018] Strahlenbrechung. XIV. Am 26. April kam bei Tagesgrauen Cap Šan-tuṅ in Sicht, das wir, in den Golf von Pe-tši-li einbiegend, gegen fünf Uhr Morgens umschifften. Die Fahrt ging westlich, die schroffe Fels- küste entlang. Gegen zwei Uhr Nachmittags gewahrte man nah dem Lande drei Schiffe: das französische Transportschiff Calvados, das Shang-hae kurz vor der Arkona verliess, war hier gestrandet, von zwei Dampfern aber wieder flott gemacht worden, und hielt mit diesen jetzt gleich uns auf Tši-fu los. Wir hatten wegen der dunstigen Luft keine sichere Längen-Observation, der Meeres- horizont zeigte die sonderbarsten Unebenheiten: bald wellenförmig, bald gradezu bergan laufend brach die Linie plötzlich senkrecht ab, um tiefer wieder anzusetzen; die Küsten reckten und hoben sich fratzenhaft in unruhig wechselnder Verschiebung. Das wunder- lichste Phänomen der Strahlenbrechung gewährten aber jene drei Schiffe: sie verschwanden plötzlich vor unseren Augen und tauch- ten wieder auf; dann schob sich der Meereshorizont mit zwei Schiffen in die Höhe; sie standen wie auf einem Berge, während das dritte in der Tiefe blieb; dann senkte sich die Meereslinie wie- der, die Masten blieben in der Luft stehen und der Rumpf der beiden Schiffe schwoll so ungeheuerlich, dass sie Thürmen glichen, die allmälig einsanken, während nun die Untermasten wuchsen. Nach einigen Minuten hatte Alles seine natürliche Gestalt. 1) Da die Rhede von Ta-ku ein schlechter Ankerplatz für grössere Kriegsschiffe, auch die Proviantirung unsicher ist, so lief Capitän Sundewall Tši-fu an, um die Vortheile dieses Hafens kennen zu lernen. Der Namen bezeichnet streng genommen nur das Felsencap, das, am Ende einer flachen Landzunge in schroffen Wänden aus dem Meere steigend, mit einigen Felsinseln die Bucht gegen Meeresschwall und nördliche Winde schützt. Die im Halb- kreis gelagerte Stadt heisst bei den Chinesen Džen-tai; die Frem- den haben jedoch den Namen Tši-fu auf die ganze Oertlichkeit übertragen und kennen auch die Stadt nur unter dieser Bezeich- nung. Von den Kriegen und Aufständen der letzten zwanzig Jahre unberührt, genoss sie blühenden Wohlstandes; mehrere fremde Schiffe hatten ihre Ladung mit Vortheil gegen klingendes Silber verkauft, und der Handel bot so günstige Aussichten, dass die 1) Der Verfasser hat das sonderbare Phänomen auf dem Fleck beschrieben und von Minute zu Minute die Veränderungen gezeichnet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/18
Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/18>, abgerufen am 24.11.2024.