Lin-Tse-tsiu war ein Mann von seltenen Gaben des Cha- rakters, der eingefleischte Vertreter der altchinesischen Gesittung. Von unbedeutendem Herkommen, hatte er sich durch wohlbestandene Prüfungen, geschickte Verwaltung, Energie und Zuverlässigkeit zu den höchsten Aemtern emporgeschwungen; seine Integrität und Gewissenhaftigkeit standen über jedem Zweifel.27) Er blieb seinen Anschauungen selbst dann und bis an sein Ende treu, als er die Macht der Barbaren kennen lernte, und wegen schlechten Erfolges seiner Politik in Ungnade fiel. In das Privatleben zurücktretend strebte er mit rastlosem Eifer, durch literarische Studien sich über die Fremden zu unterrichten, um die Wege zu ihrer Vernichtung zu finden, und liess aus eigenen Mitteln einen Truppenkörper zu ihrer Bekämpfung ausbilden. Furchtlos sagte er auch im Unglück dem Himmelssohne seine Meinung; Tüchtigkeit, Treue der Gesin- nung und unbeugsame Thatkraft erhielten ihm Ansehn und Ein- fluss bis an sein Lebensende; er blieb trotz seiner Degradirung eine politische Grösse. Lin war die Verkörperung der altchine- sisch reactionären Parthei, welche im Gegensatz zu der den Um- ständen grössere Rechnung tragenden, zur Vergleichung neigenden, damals besonders durch tartarische Staatsmänner vertretenen Richtung die Aufrechthaltung unbedingter Oberhoheit und Unter- drückung der Barbaren durch unversöhnlichen Krieg bis aufs Messer wünschte.
Lin begnadigte nach seiner Ankunft in Kan-ton alle des Schleichhandels verdächtigte Eingeborne, drohte aber den Hon- Kaufleuten mit der äussersten Strenge, wenn sie sich zweideutig be- nähmen. An die Fremden richtete er einen Erlass, in welchem ihnen zunächst die Wohlthaten und der grosse Gewinn vorgehalten wurden, deren sie im Handel mit China durch die Gnade des Himmels- sohnes genössen. Dann kommen Vorwürfe über den unverzeihlichen durch schmachvolle Einführung des Opium bewiesenen Undank. "Da ihr euch im Lande der Ueberausreinen Dynastie befindet, so müsst ihr, ebensogut wie die Eingeborenen, den Gesetzen gehorchen. Ich höre, dass die bei Lin-tin ankernden Schiffe viele tausend Kisten Opium an Bord haben, die eingeschmuggelt werden sollen. Nun höret meinen Befehl, und mögen die fremden Kaufleute ihn
27)Lin ist Familiennamen, Tse-tsiu Ehrenbenennung, "die Muster-Würde". Er war 1785 geboren.
Lin-Tse-tsiu war ein Mann von seltenen Gaben des Cha- rakters, der eingefleischte Vertreter der altchinesischen Gesittung. Von unbedeutendem Herkommen, hatte er sich durch wohlbestandene Prüfungen, geschickte Verwaltung, Energie und Zuverlässigkeit zu den höchsten Aemtern emporgeschwungen; seine Integrität und Gewissenhaftigkeit standen über jedem Zweifel.27) Er blieb seinen Anschauungen selbst dann und bis an sein Ende treu, als er die Macht der Barbaren kennen lernte, und wegen schlechten Erfolges seiner Politik in Ungnade fiel. In das Privatleben zurücktretend strebte er mit rastlosem Eifer, durch literarische Studien sich über die Fremden zu unterrichten, um die Wege zu ihrer Vernichtung zu finden, und liess aus eigenen Mitteln einen Truppenkörper zu ihrer Bekämpfung ausbilden. Furchtlos sagte er auch im Unglück dem Himmelssohne seine Meinung; Tüchtigkeit, Treue der Gesin- nung und unbeugsame Thatkraft erhielten ihm Ansehn und Ein- fluss bis an sein Lebensende; er blieb trotz seiner Degradirung eine politische Grösse. Lin war die Verkörperung der altchine- sisch reactionären Parthei, welche im Gegensatz zu der den Um- ständen grössere Rechnung tragenden, zur Vergleichung neigenden, damals besonders durch tartarische Staatsmänner vertretenen Richtung die Aufrechthaltung unbedingter Oberhoheit und Unter- drückung der Barbaren durch unversöhnlichen Krieg bis aufs Messer wünschte.
Lin begnadigte nach seiner Ankunft in Kan-ton alle des Schleichhandels verdächtigte Eingeborne, drohte aber den Hoṅ- Kaufleuten mit der äussersten Strenge, wenn sie sich zweideutig be- nähmen. An die Fremden richtete er einen Erlass, in welchem ihnen zunächst die Wohlthaten und der grosse Gewinn vorgehalten wurden, deren sie im Handel mit China durch die Gnade des Himmels- sohnes genössen. Dann kommen Vorwürfe über den unverzeihlichen durch schmachvolle Einführung des Opium bewiesenen Undank. »Da ihr euch im Lande der Ueberausreinen Dynastie befindet, so müsst ihr, ebensogut wie die Eingeborenen, den Gesetzen gehorchen. Ich höre, dass die bei Lin-tin ankernden Schiffe viele tausend Kisten Opium an Bord haben, die eingeschmuggelt werden sollen. Nun höret meinen Befehl, und mögen die fremden Kaufleute ihn
27)Lin ist Familiennamen, Tse-tsiu Ehrenbenennung, »die Muster-Würde«. Er war 1785 geboren.
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Von unbedeutendem Herkommen, hatte er sich durch wohlbestandene
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den höchsten Aemtern emporgeschwungen; seine Integrität und
Gewissenhaftigkeit standen über jedem Zweifel. 27) Er blieb seinen
Anschauungen selbst dann und bis an sein Ende treu, als er die
Macht der Barbaren kennen lernte, und wegen schlechten Erfolges
seiner Politik in Ungnade fiel. In das Privatleben zurücktretend
strebte er mit rastlosem Eifer, durch literarische Studien sich über
die Fremden zu unterrichten, um die Wege zu ihrer Vernichtung
zu finden, und liess aus eigenen Mitteln einen Truppenkörper
zu ihrer Bekämpfung ausbilden. Furchtlos sagte er auch im Unglück
dem Himmelssohne seine Meinung; Tüchtigkeit, Treue der Gesin-
nung und unbeugsame Thatkraft erhielten ihm Ansehn und Ein-
fluss bis an sein Lebensende; er blieb trotz seiner Degradirung
eine politische Grösse. Lin war die Verkörperung der altchine-
sisch reactionären Parthei, welche im Gegensatz zu der den Um-
ständen grössere Rechnung tragenden, zur Vergleichung neigenden,
damals besonders durch tartarische Staatsmänner vertretenen
Richtung die Aufrechthaltung unbedingter Oberhoheit und Unter-
drückung der Barbaren durch unversöhnlichen Krieg bis aufs
Messer wünschte.
Lin begnadigte nach seiner Ankunft in Kan-ton alle des
Schleichhandels verdächtigte Eingeborne, drohte aber den Hoṅ-
Kaufleuten mit der äussersten Strenge, wenn sie sich zweideutig be-
nähmen. An die Fremden richtete er einen Erlass, in welchem
ihnen zunächst die Wohlthaten und der grosse Gewinn vorgehalten
wurden, deren sie im Handel mit China durch die Gnade des Himmels-
sohnes genössen. Dann kommen Vorwürfe über den unverzeihlichen
durch schmachvolle Einführung des Opium bewiesenen Undank.
»Da ihr euch im Lande der Ueberausreinen Dynastie befindet, so
müsst ihr, ebensogut wie die Eingeborenen, den Gesetzen gehorchen.
Ich höre, dass die bei Lin-tin ankernden Schiffe viele tausend
Kisten Opium an Bord haben, die eingeschmuggelt werden sollen.
Nun höret meinen Befehl, und mögen die fremden Kaufleute ihn
27) Lin ist Familiennamen, Tse-tsiu Ehrenbenennung, »die Muster-Würde«.
Er war 1785 geboren.
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/90>, abgerufen am 27.11.2024.
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