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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Pagode. -- Si-ka-be. XIII.
erhebt; es sind offene Gallerieen mit geschweiftem, vorspringendem
Dachstuhl; der oberste läuft in eine kunstreich geschmiedete eiserne
Spitze aus, von welcher Ketten nach seinen hornartig aufwärts ge-
krümmten Ecken herabhangen. Im Mittelpunct des untersten Stock-
werkes sitzt ein vergoldeter Budda. Leiterartige Treppen führen
bis zur obersten Gallerie, wo uns die unabsehbare grüne Fläche
im herrlichsten Sonnenschein zu Füssen lag; hier und da ein Dorf
mit blühenden Pfirsichbäumen, die in dieser Gegend der Verwüstung
entgangen waren; der schlängelnde Fluss von tausend Segeln
belebt, in der Ferne der Mastenwald von Shang-hae, am äusser-
sten westlichen Horizont zwei inselartig aufsteigende Höhen.

Die niedrigen Häuser des umgebenden Dorfes dienen dem
luftigen, leider stark verwitterten und der Zerstörung preisgegebe-
nen Bau als Folie; die Gassen sind wo möglich noch enger,
schmutziger und parfümirter als in Shang-hae. Vor kurzer Zeit
hatten die Tae-pin hier gehaust; viele Häuser lagen in Schutt und
verkohlten Trümmern, im Tempel die Götzen gestürzt und zer-
schlagen; um eine grosse hölzerne Puppe, die offenbar bekleidet
war, hatte das Gesindel Feuer gemacht; schwarz und klumpig sass
der Rumpf auf dem Fussgestell. Uebrigens erzählten die wenigen
Dorfbewohner, welche unter den Trümmern noch ein elendes
Dasein fristeten, die kaiserlichen Soldaten hätten eben so schlimm
gewüthet.

Den Rückweg machten wir zu Fuss, um das Missionshaus
der Jesuiten in Si-ka-be zu besuchen; man wandelte durch blüthen-
duftende Bohnenfelder. Die Anstalt liegt einsam im freien Felde,
etwa dreiviertel Stunden von der Pagode und zwei von Shang-hae
entfernt.

Si-ka-be ist ein Erziehungshaus unter Obhut von sechs
Jesuiten-Patres, welche den Gesandten und seine Begleiter freund-
lich empfingen; wie alle Missionare dieses Ordens trugen sie chine-
sische Kleidung und den langen Zopf. Einige Patres bereisen die
Provinzen Kian-su und Tse-kian, wo in kleinen zerstreuten Ge-
meinden 76,000 chinesische Katholiken wohnen. Sowohl in der
Hauptanstalt Si-ka-be als in den anderen unter Obhut ansässiger
Seelsorger stehenden Schulen werden nach Verhältniss des Raumes
und der Mittel alle Knaben aufgenommen, die sich melden, gleich-
viel ob von christlichen Eltern oder nicht. Chinesische Lehrer er-
theilen ihnen diejenige Erziehung, welche die erste Staatsprüfung

Pagode. — Si-ka-be. XIII.
erhebt; es sind offene Gallerieen mit geschweiftem, vorspringendem
Dachstuhl; der oberste läuft in eine kunstreich geschmiedete eiserne
Spitze aus, von welcher Ketten nach seinen hornartig aufwärts ge-
krümmten Ecken herabhangen. Im Mittelpunct des untersten Stock-
werkes sitzt ein vergoldeter Budda. Leiterartige Treppen führen
bis zur obersten Gallerie, wo uns die unabsehbare grüne Fläche
im herrlichsten Sonnenschein zu Füssen lag; hier und da ein Dorf
mit blühenden Pfirsichbäumen, die in dieser Gegend der Verwüstung
entgangen waren; der schlängelnde Fluss von tausend Segeln
belebt, in der Ferne der Mastenwald von Shang-hae, am äusser-
sten westlichen Horizont zwei inselartig aufsteigende Höhen.

Die niedrigen Häuser des umgebenden Dorfes dienen dem
luftigen, leider stark verwitterten und der Zerstörung preisgegebe-
nen Bau als Folie; die Gassen sind wo möglich noch enger,
schmutziger und parfümirter als in Shang-hae. Vor kurzer Zeit
hatten die Tae-piṅ hier gehaust; viele Häuser lagen in Schutt und
verkohlten Trümmern, im Tempel die Götzen gestürzt und zer-
schlagen; um eine grosse hölzerne Puppe, die offenbar bekleidet
war, hatte das Gesindel Feuer gemacht; schwarz und klumpig sass
der Rumpf auf dem Fussgestell. Uebrigens erzählten die wenigen
Dorfbewohner, welche unter den Trümmern noch ein elendes
Dasein fristeten, die kaiserlichen Soldaten hätten eben so schlimm
gewüthet.

Den Rückweg machten wir zu Fuss, um das Missionshaus
der Jesuiten in Si-ka-be zu besuchen; man wandelte durch blüthen-
duftende Bohnenfelder. Die Anstalt liegt einsam im freien Felde,
etwa dreiviertel Stunden von der Pagode und zwei von Shang-hae
entfernt.

Si-ka-be ist ein Erziehungshaus unter Obhut von sechs
Jesuiten-Patres, welche den Gesandten und seine Begleiter freund-
lich empfingen; wie alle Missionare dieses Ordens trugen sie chine-
sische Kleidung und den langen Zopf. Einige Patres bereisen die
Provinzen Kiaṅ-su und Tše-kiaṅ, wo in kleinen zerstreuten Ge-
meinden 76,000 chinesische Katholiken wohnen. Sowohl in der
Hauptanstalt Si-ka-be als in den anderen unter Obhut ansässiger
Seelsorger stehenden Schulen werden nach Verhältniss des Raumes
und der Mittel alle Knaben aufgenommen, die sich melden, gleich-
viel ob von christlichen Eltern oder nicht. Chinesische Lehrer er-
theilen ihnen diejenige Erziehung, welche die erste Staatsprüfung

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[396/0418] Pagode. — Si-ka-be. XIII. erhebt; es sind offene Gallerieen mit geschweiftem, vorspringendem Dachstuhl; der oberste läuft in eine kunstreich geschmiedete eiserne Spitze aus, von welcher Ketten nach seinen hornartig aufwärts ge- krümmten Ecken herabhangen. Im Mittelpunct des untersten Stock- werkes sitzt ein vergoldeter Budda. Leiterartige Treppen führen bis zur obersten Gallerie, wo uns die unabsehbare grüne Fläche im herrlichsten Sonnenschein zu Füssen lag; hier und da ein Dorf mit blühenden Pfirsichbäumen, die in dieser Gegend der Verwüstung entgangen waren; der schlängelnde Fluss von tausend Segeln belebt, in der Ferne der Mastenwald von Shang-hae, am äusser- sten westlichen Horizont zwei inselartig aufsteigende Höhen. Die niedrigen Häuser des umgebenden Dorfes dienen dem luftigen, leider stark verwitterten und der Zerstörung preisgegebe- nen Bau als Folie; die Gassen sind wo möglich noch enger, schmutziger und parfümirter als in Shang-hae. Vor kurzer Zeit hatten die Tae-piṅ hier gehaust; viele Häuser lagen in Schutt und verkohlten Trümmern, im Tempel die Götzen gestürzt und zer- schlagen; um eine grosse hölzerne Puppe, die offenbar bekleidet war, hatte das Gesindel Feuer gemacht; schwarz und klumpig sass der Rumpf auf dem Fussgestell. Uebrigens erzählten die wenigen Dorfbewohner, welche unter den Trümmern noch ein elendes Dasein fristeten, die kaiserlichen Soldaten hätten eben so schlimm gewüthet. Den Rückweg machten wir zu Fuss, um das Missionshaus der Jesuiten in Si-ka-be zu besuchen; man wandelte durch blüthen- duftende Bohnenfelder. Die Anstalt liegt einsam im freien Felde, etwa dreiviertel Stunden von der Pagode und zwei von Shang-hae entfernt. Si-ka-be ist ein Erziehungshaus unter Obhut von sechs Jesuiten-Patres, welche den Gesandten und seine Begleiter freund- lich empfingen; wie alle Missionare dieses Ordens trugen sie chine- sische Kleidung und den langen Zopf. Einige Patres bereisen die Provinzen Kiaṅ-su und Tše-kiaṅ, wo in kleinen zerstreuten Ge- meinden 76,000 chinesische Katholiken wohnen. Sowohl in der Hauptanstalt Si-ka-be als in den anderen unter Obhut ansässiger Seelsorger stehenden Schulen werden nach Verhältniss des Raumes und der Mittel alle Knaben aufgenommen, die sich melden, gleich- viel ob von christlichen Eltern oder nicht. Chinesische Lehrer er- theilen ihnen diejenige Erziehung, welche die erste Staatsprüfung

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/418>, abgerufen am 22.11.2024.