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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Consul Parkes im Kerker.
es gebe in England und Indien viele Fürsten; alle aber ständen
unter einem einzigen Souverän, wie in China. "Was ist das für
eine Sprache", schrieen die Mandarinen, "du selbst hast gesagt,
dass du so lange in China bist; du kannst unsere Sprache reden
und unsere Bücher lesen und musst also wissen, dass es nur Einen
Kaiser giebt, der über alle Länder herrscht. Deine Pflicht ist es, diese
überlegene Kenntniss deinen Landsleuten mitzutheilen, statt sie in
ihren verrückten Ansichten zu bestärken." -- Sie glaubten, dass
Verräther in Pe-kin seien und wollten Parkes zwingen, solche zu
nennen: er selbst müsse oft verkleidet dort gewesen sein. Das
glaubten sie wegen seiner guten Aussprache der in Pe-kin ge-
sprochenen Mundart.117) Am Schlusse des Verhörs erlaubten sie
ihm, selbstständig Aussagen zu machen, liessen ihn aber unter
Schmähungen misshandeln und fortschleppen, als er nach Consta-
tirung der Thatsachen Gerechtigkeit forderte.

Herr Parkes blieb nun bis zum 22. September in demselben
Kerker, streng bewacht von vier Schliessern, welche jede Be-
mühung vereitelten, mit Herrn Loch, der in einem anderen Raume
weilte, Gedanken auszutauschen. Während dieser Tage besuchten
das Gefängniss viele hohe Staatsbeamte, darunter der Präsident
und die Beisitzer des Strafgerichtshofes, mehrere Censoren und
Präsidenten von Ministerien. Viele liessen Herrn Parkes in den
Hof hinausführen und vor sich auf die Knie werfen, um ihn zu
höhnen und zu beschimpfen. Dagegen behandelten ihn fast alle
Mitgefangenen, -- lauter Menschen aus den niedersten Volksclassen,
darunter Diebe und Mörder, -- freundlich, ehrerbietig und mitleidig.
Sie nannten ihn bei seinem Titel, halfen ihm seine Ketten tragen
und lauschten aufmerksam seinen Worten. Viele waren durch
Schmutz und schlechte Nahrung abgezehrt, voller Wunden und
Schwären, in denen die Würmer nagten; der Geruch war entsetz-
lich. -- Die Regierung giebt den Gefangenen nur die kärglichste
Nahrung, bei der sie langsam verschmachten. Wasser, Thee, Reis,
Licht und Brennholz werden nur gegen hohe Vergütung von den
Schliessern gereicht; ein Theil des Strafmaasses wird Denjenigen
erlassen, welche sie leisten können. -- Herr Parkes war auf der
im Kerker aufgehängten Liste als Aufrührer und einer von fünf

117) Die Mundart von Pe-kin ist die von den Mandarinen gesprochene, welche
allen Dolmetschern im diplomatischen Dienst geläufig sein muss.
III. 23

Consul Parkes im Kerker.
es gebe in England und Indien viele Fürsten; alle aber ständen
unter einem einzigen Souverän, wie in China. »Was ist das für
eine Sprache«, schrieen die Mandarinen, »du selbst hast gesagt,
dass du so lange in China bist; du kannst unsere Sprache reden
und unsere Bücher lesen und musst also wissen, dass es nur Einen
Kaiser giebt, der über alle Länder herrscht. Deine Pflicht ist es, diese
überlegene Kenntniss deinen Landsleuten mitzutheilen, statt sie in
ihren verrückten Ansichten zu bestärken.« — Sie glaubten, dass
Verräther in Pe-kiṅ seien und wollten Parkes zwingen, solche zu
nennen: er selbst müsse oft verkleidet dort gewesen sein. Das
glaubten sie wegen seiner guten Aussprache der in Pe-kiṅ ge-
sprochenen Mundart.117) Am Schlusse des Verhörs erlaubten sie
ihm, selbstständig Aussagen zu machen, liessen ihn aber unter
Schmähungen misshandeln und fortschleppen, als er nach Consta-
tirung der Thatsachen Gerechtigkeit forderte.

Herr Parkes blieb nun bis zum 22. September in demselben
Kerker, streng bewacht von vier Schliessern, welche jede Be-
mühung vereitelten, mit Herrn Loch, der in einem anderen Raume
weilte, Gedanken auszutauschen. Während dieser Tage besuchten
das Gefängniss viele hohe Staatsbeamte, darunter der Präsident
und die Beisitzer des Strafgerichtshofes, mehrere Censoren und
Präsidenten von Ministerien. Viele liessen Herrn Parkes in den
Hof hinausführen und vor sich auf die Knie werfen, um ihn zu
höhnen und zu beschimpfen. Dagegen behandelten ihn fast alle
Mitgefangenen, — lauter Menschen aus den niedersten Volksclassen,
darunter Diebe und Mörder, — freundlich, ehrerbietig und mitleidig.
Sie nannten ihn bei seinem Titel, halfen ihm seine Ketten tragen
und lauschten aufmerksam seinen Worten. Viele waren durch
Schmutz und schlechte Nahrung abgezehrt, voller Wunden und
Schwären, in denen die Würmer nagten; der Geruch war entsetz-
lich. — Die Regierung giebt den Gefangenen nur die kärglichste
Nahrung, bei der sie langsam verschmachten. Wasser, Thee, Reis,
Licht und Brennholz werden nur gegen hohe Vergütung von den
Schliessern gereicht; ein Theil des Strafmaasses wird Denjenigen
erlassen, welche sie leisten können. — Herr Parkes war auf der
im Kerker aufgehängten Liste als Aufrührer und einer von fünf

117) Die Mundart von Pe-kiṅ ist die von den Mandarinen gesprochene, welche
allen Dolmetschern im diplomatischen Dienst geläufig sein muss.
III. 23
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[353/0375] Consul Parkes im Kerker. es gebe in England und Indien viele Fürsten; alle aber ständen unter einem einzigen Souverän, wie in China. »Was ist das für eine Sprache«, schrieen die Mandarinen, »du selbst hast gesagt, dass du so lange in China bist; du kannst unsere Sprache reden und unsere Bücher lesen und musst also wissen, dass es nur Einen Kaiser giebt, der über alle Länder herrscht. Deine Pflicht ist es, diese überlegene Kenntniss deinen Landsleuten mitzutheilen, statt sie in ihren verrückten Ansichten zu bestärken.« — Sie glaubten, dass Verräther in Pe-kiṅ seien und wollten Parkes zwingen, solche zu nennen: er selbst müsse oft verkleidet dort gewesen sein. Das glaubten sie wegen seiner guten Aussprache der in Pe-kiṅ ge- sprochenen Mundart. 117) Am Schlusse des Verhörs erlaubten sie ihm, selbstständig Aussagen zu machen, liessen ihn aber unter Schmähungen misshandeln und fortschleppen, als er nach Consta- tirung der Thatsachen Gerechtigkeit forderte. Herr Parkes blieb nun bis zum 22. September in demselben Kerker, streng bewacht von vier Schliessern, welche jede Be- mühung vereitelten, mit Herrn Loch, der in einem anderen Raume weilte, Gedanken auszutauschen. Während dieser Tage besuchten das Gefängniss viele hohe Staatsbeamte, darunter der Präsident und die Beisitzer des Strafgerichtshofes, mehrere Censoren und Präsidenten von Ministerien. Viele liessen Herrn Parkes in den Hof hinausführen und vor sich auf die Knie werfen, um ihn zu höhnen und zu beschimpfen. Dagegen behandelten ihn fast alle Mitgefangenen, — lauter Menschen aus den niedersten Volksclassen, darunter Diebe und Mörder, — freundlich, ehrerbietig und mitleidig. Sie nannten ihn bei seinem Titel, halfen ihm seine Ketten tragen und lauschten aufmerksam seinen Worten. Viele waren durch Schmutz und schlechte Nahrung abgezehrt, voller Wunden und Schwären, in denen die Würmer nagten; der Geruch war entsetz- lich. — Die Regierung giebt den Gefangenen nur die kärglichste Nahrung, bei der sie langsam verschmachten. Wasser, Thee, Reis, Licht und Brennholz werden nur gegen hohe Vergütung von den Schliessern gereicht; ein Theil des Strafmaasses wird Denjenigen erlassen, welche sie leisten können. — Herr Parkes war auf der im Kerker aufgehängten Liste als Aufrührer und einer von fünf 117) Die Mundart von Pe-kiṅ ist die von den Mandarinen gesprochene, welche allen Dolmetschern im diplomatischen Dienst geläufig sein muss. III. 23

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/375>, abgerufen am 10.05.2024.