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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Besetzung von Tsu-san.
die Tae-pin-Bewegung im Innern des Reiches bewirkte Auflösung
sich auch auf die Küstenprovinzen ausdehnen möchte, wenn dort
Erwerblosigkeit einträte, -- dass die bürgerliche Ordnung gefährdet
und die regierende Mandschu-Dynastie ernstlich bedroht werden
möchte, eine Eventualität, welcher die englische Regierung drin-
gend vorzubeugen wünschte. Erhielt man sich das Vertrauen der
Bevölkerung in Mittel-China, so musste sich der gute Ruf der Ver-
bündeten, welche nur die kaiserliche Regierung bekriegten, das Volk
dagegen auf jede Weise schonten und alle Bedürfnisse bezahlten, auch
nach den nördlichen Provinzen verbreiten und den militärischen
Operationen grossen Vorschub leisten. Herr Bruce beschloss des-
halb auf eigene Verantwortung, die Blockade nicht zu verhängen.
Zu Befestigung des Vertrauens liessen die Gesandten Proclama-
tionen im Lande verbreiten, welche der Bevölkerung volle Sicher-
heit des Eigenthumes und der Familie versprachen, die Fortsetzung
des Handelsverkehrs und den Beschluss meldeten, nur gegen die
bewaffnete Macht und die Rathgeber des Kaisers zu kämpfen,
welche ihn zum Kriege drängten. Die Mandarinen unterstützten die
Verbreitung dieser Proclamationen und hinderten keinen Chinesen
den Verbündeten zu dienen. Dazu mag sie vor Allem die Angst
vor den Tae-pin getrieben haben. Man lebte in Shang-hae, wo
sich im April und Mai 1860 die Streitmacht der Alliirten versam-
melte, und in den anderen Häfen wie in Freundesland. Die Chi-
nesen stellten Pferde in Menge und meldeten sich haufenweise zu
contractlicher Lieferung von Lebensmitteln. Als die Absicht der
Alliirten bekannt wurde, Tsu-san zu besetzen, stiegen dort plötz-
lich die Miethspreise der Kaufläden; viele chinesische Speculanten
siedelten vom Festlande dahin über.

Die Besetzung der Tsu-san-Inseln wurde am 14. April von
den in Shang-hae versammelten Gesandten und Commandeuren
beschlossen; am 21. April erschienen die dazu bestimmten Schiffe
vor Tin-hae. Die chinesischen Behörden fügten sich ohne Um-
stände der Sommation des englischen Oberfeldherrn, General Sir
Hope Grant, lieferten alle Waffen aus und übergaben den Alliirten
die militärischen Posten. Die chinesischen Truppen erhielten freien
Abzug. Zwei englische und zwei französische Commissare bildeten
die oberste Regierungsbehörde. Die Mandarinen vom Civil-Dienst
mussten ihre Functionen als richterliche, Administrativ-, Municipal-
und Steuerbeamten unter Aufsicht der Commissare fortsetzen. Aus

Besetzung von Tšu-san.
die Tae-piṅ-Bewegung im Innern des Reiches bewirkte Auflösung
sich auch auf die Küstenprovinzen ausdehnen möchte, wenn dort
Erwerblosigkeit einträte, — dass die bürgerliche Ordnung gefährdet
und die regierende Mandschu-Dynastie ernstlich bedroht werden
möchte, eine Eventualität, welcher die englische Regierung drin-
gend vorzubeugen wünschte. Erhielt man sich das Vertrauen der
Bevölkerung in Mittel-China, so musste sich der gute Ruf der Ver-
bündeten, welche nur die kaiserliche Regierung bekriegten, das Volk
dagegen auf jede Weise schonten und alle Bedürfnisse bezahlten, auch
nach den nördlichen Provinzen verbreiten und den militärischen
Operationen grossen Vorschub leisten. Herr Bruce beschloss des-
halb auf eigene Verantwortung, die Blockade nicht zu verhängen.
Zu Befestigung des Vertrauens liessen die Gesandten Proclama-
tionen im Lande verbreiten, welche der Bevölkerung volle Sicher-
heit des Eigenthumes und der Familie versprachen, die Fortsetzung
des Handelsverkehrs und den Beschluss meldeten, nur gegen die
bewaffnete Macht und die Rathgeber des Kaisers zu kämpfen,
welche ihn zum Kriege drängten. Die Mandarinen unterstützten die
Verbreitung dieser Proclamationen und hinderten keinen Chinesen
den Verbündeten zu dienen. Dazu mag sie vor Allem die Angst
vor den Tae-piṅ getrieben haben. Man lebte in Shang-hae, wo
sich im April und Mai 1860 die Streitmacht der Alliirten versam-
melte, und in den anderen Häfen wie in Freundesland. Die Chi-
nesen stellten Pferde in Menge und meldeten sich haufenweise zu
contractlicher Lieferung von Lebensmitteln. Als die Absicht der
Alliirten bekannt wurde, Tšu-san zu besetzen, stiegen dort plötz-
lich die Miethspreise der Kaufläden; viele chinesische Speculanten
siedelten vom Festlande dahin über.

Die Besetzung der Tšu-san-Inseln wurde am 14. April von
den in Shang-hae versammelten Gesandten und Commandeuren
beschlossen; am 21. April erschienen die dazu bestimmten Schiffe
vor Tiṅ-hae. Die chinesischen Behörden fügten sich ohne Um-
stände der Sommation des englischen Oberfeldherrn, General Sir
Hope Grant, lieferten alle Waffen aus und übergaben den Alliirten
die militärischen Posten. Die chinesischen Truppen erhielten freien
Abzug. Zwei englische und zwei französische Commissare bildeten
die oberste Regierungsbehörde. Die Mandarinen vom Civil-Dienst
mussten ihre Functionen als richterliche, Administrativ-, Municipal-
und Steuerbeamten unter Aufsicht der Commissare fortsetzen. Aus

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[306/0328] Besetzung von Tšu-san. die Tae-piṅ-Bewegung im Innern des Reiches bewirkte Auflösung sich auch auf die Küstenprovinzen ausdehnen möchte, wenn dort Erwerblosigkeit einträte, — dass die bürgerliche Ordnung gefährdet und die regierende Mandschu-Dynastie ernstlich bedroht werden möchte, eine Eventualität, welcher die englische Regierung drin- gend vorzubeugen wünschte. Erhielt man sich das Vertrauen der Bevölkerung in Mittel-China, so musste sich der gute Ruf der Ver- bündeten, welche nur die kaiserliche Regierung bekriegten, das Volk dagegen auf jede Weise schonten und alle Bedürfnisse bezahlten, auch nach den nördlichen Provinzen verbreiten und den militärischen Operationen grossen Vorschub leisten. Herr Bruce beschloss des- halb auf eigene Verantwortung, die Blockade nicht zu verhängen. Zu Befestigung des Vertrauens liessen die Gesandten Proclama- tionen im Lande verbreiten, welche der Bevölkerung volle Sicher- heit des Eigenthumes und der Familie versprachen, die Fortsetzung des Handelsverkehrs und den Beschluss meldeten, nur gegen die bewaffnete Macht und die Rathgeber des Kaisers zu kämpfen, welche ihn zum Kriege drängten. Die Mandarinen unterstützten die Verbreitung dieser Proclamationen und hinderten keinen Chinesen den Verbündeten zu dienen. Dazu mag sie vor Allem die Angst vor den Tae-piṅ getrieben haben. Man lebte in Shang-hae, wo sich im April und Mai 1860 die Streitmacht der Alliirten versam- melte, und in den anderen Häfen wie in Freundesland. Die Chi- nesen stellten Pferde in Menge und meldeten sich haufenweise zu contractlicher Lieferung von Lebensmitteln. Als die Absicht der Alliirten bekannt wurde, Tšu-san zu besetzen, stiegen dort plötz- lich die Miethspreise der Kaufläden; viele chinesische Speculanten siedelten vom Festlande dahin über. Die Besetzung der Tšu-san-Inseln wurde am 14. April von den in Shang-hae versammelten Gesandten und Commandeuren beschlossen; am 21. April erschienen die dazu bestimmten Schiffe vor Tiṅ-hae. Die chinesischen Behörden fügten sich ohne Um- stände der Sommation des englischen Oberfeldherrn, General Sir Hope Grant, lieferten alle Waffen aus und übergaben den Alliirten die militärischen Posten. Die chinesischen Truppen erhielten freien Abzug. Zwei englische und zwei französische Commissare bildeten die oberste Regierungsbehörde. Die Mandarinen vom Civil-Dienst mussten ihre Functionen als richterliche, Administrativ-, Municipal- und Steuerbeamten unter Aufsicht der Commissare fortsetzen. Aus

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/328>, abgerufen am 02.05.2024.