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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Die Alliirten besetzen Shang-hae.
darinen, welche durch diese Diversion nicht nur die ihnen anver-
traute Provinz gerettet, sondern auch der kaiserlichen Regierung in
Pe-kin den wesentlichsten Dienst geleistet hätten. Die Gesandten
und Feldherren der Alliirten kamen deshalb überein, sich auf Ver-
theidigung von Shang-hae zu beschränken. "Ich beschloss,"
schreibt Herr Bruce unter dem 30. Mai an Lord John Russel, "in
Uebereinstimmung mit Herrn von Bourboulon, dass es aus politischen
und Humanitätsrücksichten zweckmässig wäre, wo möglich den
Auftritten des Blutvergiessens und der Plünderung vorzubeugen,
deren Schauplatz Han-tsau-fu wurde, als diese Stadt vor kurzem
von den Rebellen angegriffen wurde; und es schien mir, dass wir,
ohne an dem Bürgerkriege Theil zu nehmen oder eine Meinung über
die Rechte der Partheien auszusprechen, Shang-hae gegen Angriffe
schützen und den Behörden helfen könnten, in der Stadt Ruhe und
Ordnung zu erhalten, aus dem Grunde, dass sie ein dem Handel
geöffneter Hafen ist, und wegen der nahen Beziehungen, in welchen
die Interessen der Stadt zu denen der fremden Niederlassung stehen;
denn erstere kann nicht angegriffen werden ohne grosse Gefahr für
letztere. Wir erliessen deshalb getrennte Bekanntmachungen dieses
Inhalts in gleichlautenden Ausdrücken."

Es war in der That die einzige Rettung; denn die Reste der
kaiserlichen Armee in Kian-su und Tse-kian konnten den Insur-
genten nicht entfernt die Spitze bieten. Soldaten der aufgelösten
Heerkörper plünderten in starken Banden Städte und Dörfer und
bedrohten selbst Shang-hae. Sie schlichen sich einzeln oder in
kleinen Haufen mit versteckten Waffen in die Stadt, und da man
befürchten musste, dass sie sich auch hier, nach ihrer gewöhn-
lichen Taktik, der Zugänge bemächtigen und die Mandarinen be-
seitigen wollten, so übergaben diese den Alliirten zwei Stadtthore.
Unter dem Schutze der englischen und französischen Besatzung
liessen sie dann die entlaufenen kaiserlichen Soldaten aufgreifen
und haufenweise köpfen.

Anfang Juni kam der Statthalter Ho-kwei-tsin nach Shang-
hae
und bemühte sich vergebens, die Alliirten zu aggressivem Vor-
gehen und Säuberung seiner Provinz von den Rebellen zu vermögen.
Es war seine letzte, eitele Hoffnung, der drohenden Ungnade zu
entgehen: bald darauf wurde er degradirt, nach Pe-kin berufen
und enthauptet. Ho-kwei-tsin erfüllte damit das gewöhnliche
Schicksal unglücklicher Statthalter und zugleich die warnende Ver-

18*

Die Alliirten besetzen Shang-hae.
darinen, welche durch diese Diversion nicht nur die ihnen anver-
traute Provinz gerettet, sondern auch der kaiserlichen Regierung in
Pe-kiṅ den wesentlichsten Dienst geleistet hätten. Die Gesandten
und Feldherren der Alliirten kamen deshalb überein, sich auf Ver-
theidigung von Shang-hae zu beschränken. »Ich beschloss,«
schreibt Herr Bruce unter dem 30. Mai an Lord John Russel, »in
Uebereinstimmung mit Herrn von Bourboulon, dass es aus politischen
und Humanitätsrücksichten zweckmässig wäre, wo möglich den
Auftritten des Blutvergiessens und der Plünderung vorzubeugen,
deren Schauplatz Haṅ-tšau-fu wurde, als diese Stadt vor kurzem
von den Rebellen angegriffen wurde; und es schien mir, dass wir,
ohne an dem Bürgerkriege Theil zu nehmen oder eine Meinung über
die Rechte der Partheien auszusprechen, Shang-hae gegen Angriffe
schützen und den Behörden helfen könnten, in der Stadt Ruhe und
Ordnung zu erhalten, aus dem Grunde, dass sie ein dem Handel
geöffneter Hafen ist, und wegen der nahen Beziehungen, in welchen
die Interessen der Stadt zu denen der fremden Niederlassung stehen;
denn erstere kann nicht angegriffen werden ohne grosse Gefahr für
letztere. Wir erliessen deshalb getrennte Bekanntmachungen dieses
Inhalts in gleichlautenden Ausdrücken.«

Es war in der That die einzige Rettung; denn die Reste der
kaiserlichen Armee in Kiaṅ-su und Tše-kiaṅ konnten den Insur-
genten nicht entfernt die Spitze bieten. Soldaten der aufgelösten
Heerkörper plünderten in starken Banden Städte und Dörfer und
bedrohten selbst Shang-hae. Sie schlichen sich einzeln oder in
kleinen Haufen mit versteckten Waffen in die Stadt, und da man
befürchten musste, dass sie sich auch hier, nach ihrer gewöhn-
lichen Taktik, der Zugänge bemächtigen und die Mandarinen be-
seitigen wollten, so übergaben diese den Alliirten zwei Stadtthore.
Unter dem Schutze der englischen und französischen Besatzung
liessen sie dann die entlaufenen kaiserlichen Soldaten aufgreifen
und haufenweise köpfen.

Anfang Juni kam der Statthalter Ho-kwei-tsiṅ nach Shang-
hae
und bemühte sich vergebens, die Alliirten zu aggressivem Vor-
gehen und Säuberung seiner Provinz von den Rebellen zu vermögen.
Es war seine letzte, eitele Hoffnung, der drohenden Ungnade zu
entgehen: bald darauf wurde er degradirt, nach Pe-kiṅ berufen
und enthauptet. Ho-kwei-tsiṅ erfüllte damit das gewöhnliche
Schicksal unglücklicher Statthalter und zugleich die warnende Ver-

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[275/0297] Die Alliirten besetzen Shang-hae. darinen, welche durch diese Diversion nicht nur die ihnen anver- traute Provinz gerettet, sondern auch der kaiserlichen Regierung in Pe-kiṅ den wesentlichsten Dienst geleistet hätten. Die Gesandten und Feldherren der Alliirten kamen deshalb überein, sich auf Ver- theidigung von Shang-hae zu beschränken. »Ich beschloss,« schreibt Herr Bruce unter dem 30. Mai an Lord John Russel, »in Uebereinstimmung mit Herrn von Bourboulon, dass es aus politischen und Humanitätsrücksichten zweckmässig wäre, wo möglich den Auftritten des Blutvergiessens und der Plünderung vorzubeugen, deren Schauplatz Haṅ-tšau-fu wurde, als diese Stadt vor kurzem von den Rebellen angegriffen wurde; und es schien mir, dass wir, ohne an dem Bürgerkriege Theil zu nehmen oder eine Meinung über die Rechte der Partheien auszusprechen, Shang-hae gegen Angriffe schützen und den Behörden helfen könnten, in der Stadt Ruhe und Ordnung zu erhalten, aus dem Grunde, dass sie ein dem Handel geöffneter Hafen ist, und wegen der nahen Beziehungen, in welchen die Interessen der Stadt zu denen der fremden Niederlassung stehen; denn erstere kann nicht angegriffen werden ohne grosse Gefahr für letztere. Wir erliessen deshalb getrennte Bekanntmachungen dieses Inhalts in gleichlautenden Ausdrücken.« Es war in der That die einzige Rettung; denn die Reste der kaiserlichen Armee in Kiaṅ-su und Tše-kiaṅ konnten den Insur- genten nicht entfernt die Spitze bieten. Soldaten der aufgelösten Heerkörper plünderten in starken Banden Städte und Dörfer und bedrohten selbst Shang-hae. Sie schlichen sich einzeln oder in kleinen Haufen mit versteckten Waffen in die Stadt, und da man befürchten musste, dass sie sich auch hier, nach ihrer gewöhn- lichen Taktik, der Zugänge bemächtigen und die Mandarinen be- seitigen wollten, so übergaben diese den Alliirten zwei Stadtthore. Unter dem Schutze der englischen und französischen Besatzung liessen sie dann die entlaufenen kaiserlichen Soldaten aufgreifen und haufenweise köpfen. Anfang Juni kam der Statthalter Ho-kwei-tsiṅ nach Shang- hae und bemühte sich vergebens, die Alliirten zu aggressivem Vor- gehen und Säuberung seiner Provinz von den Rebellen zu vermögen. Es war seine letzte, eitele Hoffnung, der drohenden Ungnade zu entgehen: bald darauf wurde er degradirt, nach Pe-kiṅ berufen und enthauptet. Ho-kwei-tsiṅ erfüllte damit das gewöhnliche Schicksal unglücklicher Statthalter und zugleich die warnende Ver- 18*

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/297>, abgerufen am 28.04.2024.