Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Ursachen des Krieges.
Der Staatsrath befiehlt Yi, die Barbaren eben so herrisch zu be-
handeln wie früher: "Vor Allem muss ihr Gesuch, auf dem Yan-tse
zu handeln, peremtorisch verweigert werden; auch dürfen sie nicht den
Glauben fassen, dass dieser Gedanken uns jemals mitgetheilt wurde."

Bowring erhielt also am Pei-ho nur leere Versprechungen
deren Werth die mitgetheilten Auszüge beleuchten, und kehrte im
August 1854 nach Hong-kong zurück. In den beiden folgenden
Jahren wurde das Verhältniss immer gespannter, und im October
1856 fing der angehäufte Zündstoff bei geringem Anlass Feuer. Die
Ereignisse, aus welchen der zweite Krieg mit China sich entwickelte,
veranlassten im englischen Parlament die heftigsten Debatten; an-
gesehene Männer sprachen dort offen aus, dass derselbe auf
ungerechte, jedes menschliche Gefühl empörende Weise begonnen
wurde. Bowring's Betragen fand den schärfsten Tadel; Viele
schoben die ganze Schuld auf seine Eitelkeit und das reizbare
Temperament des Consul Parkes. Mag nun gleich die politische
Begabung des Dr. Bowring -- welcher das Unglück hatte, den
Diplomaten für einen grossen Sinologen und den Sinologen für
einen tiefen Diplomaten zu gelten -- keine glänzende gewesen sein,
so darf man ihn doch kaum für den Gang der Weltgeschichte ver-
antwortlich machen. Selten haben Einzelne die Schuld oder das
Verdienst, grosse Entwickelungen durch freies Handeln aus eigener
Kraft herbeigeführt zu haben; selbst der handelnde Staatsmann
wird oft mehr getrieben als er treibt; seine Aufgabe ist, die Ge-
walten richtig zu schätzen, welche im gegebenen Augenblick die
Welt bewegen. Das Bewusstsein, dass grössere Freiheit des Ver-
kehrs und eine geachtetere Stellung der Fremden in China durch
die Interessen des westländischen Handels geboten sei und nöthigen-
falls erzwungen werden müsse, lebte in Vielen und mag sich auch
der englischen Regierung mitgetheilt haben. -- Ein sonst wohlunter-
richteter und unpartheiischer Engländer, welcher die Ereignisse in
China mit durchlebte und in nahen Beziehungen zu den Behörden
stand, erklärte in einem durch den Druck verbreiteten Werke, Dr.
Bowring sei von England aus angewiesen worden, keine Gelegenheit
zu Anknüpfung von Händeln mit China vorübergehen zu lassen. 93)

93) Diese Ansicht ist positiv ausgesprochen in dem Werke von Andrew Wilson:
The ever victorious army. Der Verfasser lebte lange Zeit in China und muss als
Redacteur der angesehensten in Hong-kong erscheinenden Zeitung mit den Ver-
hältnissen innig vertraut gewesen sein.

Die Ursachen des Krieges.
Der Staatsrath befiehlt Yi, die Barbaren eben so herrisch zu be-
handeln wie früher: »Vor Allem muss ihr Gesuch, auf dem Yaṅ-tse
zu handeln, peremtorisch verweigert werden; auch dürfen sie nicht den
Glauben fassen, dass dieser Gedanken uns jemals mitgetheilt wurde.«

Bowring erhielt also am Pei-ho nur leere Versprechungen
deren Werth die mitgetheilten Auszüge beleuchten, und kehrte im
August 1854 nach Hong-kong zurück. In den beiden folgenden
Jahren wurde das Verhältniss immer gespannter, und im October
1856 fing der angehäufte Zündstoff bei geringem Anlass Feuer. Die
Ereignisse, aus welchen der zweite Krieg mit China sich entwickelte,
veranlassten im englischen Parlament die heftigsten Debatten; an-
gesehene Männer sprachen dort offen aus, dass derselbe auf
ungerechte, jedes menschliche Gefühl empörende Weise begonnen
wurde. Bowring’s Betragen fand den schärfsten Tadel; Viele
schoben die ganze Schuld auf seine Eitelkeit und das reizbare
Temperament des Consul Parkes. Mag nun gleich die politische
Begabung des Dr. Bowring — welcher das Unglück hatte, den
Diplomaten für einen grossen Sinologen und den Sinologen für
einen tiefen Diplomaten zu gelten — keine glänzende gewesen sein,
so darf man ihn doch kaum für den Gang der Weltgeschichte ver-
antwortlich machen. Selten haben Einzelne die Schuld oder das
Verdienst, grosse Entwickelungen durch freies Handeln aus eigener
Kraft herbeigeführt zu haben; selbst der handelnde Staatsmann
wird oft mehr getrieben als er treibt; seine Aufgabe ist, die Ge-
walten richtig zu schätzen, welche im gegebenen Augenblick die
Welt bewegen. Das Bewusstsein, dass grössere Freiheit des Ver-
kehrs und eine geachtetere Stellung der Fremden in China durch
die Interessen des westländischen Handels geboten sei und nöthigen-
falls erzwungen werden müsse, lebte in Vielen und mag sich auch
der englischen Regierung mitgetheilt haben. — Ein sonst wohlunter-
richteter und unpartheiischer Engländer, welcher die Ereignisse in
China mit durchlebte und in nahen Beziehungen zu den Behörden
stand, erklärte in einem durch den Druck verbreiteten Werke, Dr.
Bowring sei von England aus angewiesen worden, keine Gelegenheit
zu Anknüpfung von Händeln mit China vorübergehen zu lassen. 93)

93) Diese Ansicht ist positiv ausgesprochen in dem Werke von Andrew Wilson:
The ever victorious army. Der Verfasser lebte lange Zeit in China und muss als
Redacteur der angesehensten in Hong-kong erscheinenden Zeitung mit den Ver-
hältnissen innig vertraut gewesen sein.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0241" n="219"/><fw place="top" type="header">Die Ursachen des Krieges.</fw><lb/>
Der Staatsrath befiehlt <hi rendition="#k"><persName ref="http://id.loc.gov/authorities/names/n2013019435">Yi</persName></hi>, die Barbaren eben so herrisch zu be-<lb/>
handeln wie früher: »Vor Allem muss ihr Gesuch, auf dem <hi rendition="#k"><placeName>Yan&#x0307;-tse</placeName></hi><lb/>
zu handeln, peremtorisch verweigert werden; auch dürfen sie nicht den<lb/>
Glauben fassen, dass dieser Gedanken uns jemals mitgetheilt wurde.«</p><lb/>
          <p><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119459078">Bowring</persName> erhielt also am <hi rendition="#k"><placeName>Pei-ho</placeName></hi> nur leere Versprechungen<lb/>
deren Werth die mitgetheilten Auszüge beleuchten, und kehrte im<lb/>
August 1854 nach <hi rendition="#k"><placeName>Hong-kong</placeName></hi> zurück. In den beiden folgenden<lb/>
Jahren wurde das Verhältniss immer gespannter, und im October<lb/>
1856 fing der angehäufte Zündstoff bei geringem Anlass Feuer. Die<lb/>
Ereignisse, aus welchen der zweite Krieg mit <placeName>China</placeName> sich entwickelte,<lb/>
veranlassten im englischen Parlament die heftigsten Debatten; an-<lb/>
gesehene Männer sprachen dort offen aus, dass derselbe auf<lb/>
ungerechte, jedes menschliche Gefühl empörende Weise begonnen<lb/>
wurde. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119459078">Bowring&#x2019;s</persName> Betragen fand den schärfsten Tadel; Viele<lb/>
schoben die ganze Schuld auf seine Eitelkeit und das reizbare<lb/>
Temperament des Consul <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119456648">Parkes</persName>. Mag nun gleich die politische<lb/>
Begabung des Dr. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119459078">Bowring</persName> &#x2014; welcher das Unglück hatte, den<lb/>
Diplomaten für einen grossen Sinologen und den Sinologen für<lb/>
einen tiefen Diplomaten zu gelten &#x2014; keine glänzende gewesen sein,<lb/>
so darf man ihn doch kaum für den Gang der Weltgeschichte ver-<lb/>
antwortlich machen. Selten haben Einzelne die Schuld oder das<lb/>
Verdienst, grosse Entwickelungen durch freies Handeln aus eigener<lb/>
Kraft herbeigeführt zu haben; selbst der handelnde Staatsmann<lb/>
wird oft mehr getrieben als er treibt; seine Aufgabe ist, die Ge-<lb/>
walten richtig zu schätzen, welche im gegebenen Augenblick die<lb/>
Welt bewegen. Das Bewusstsein, dass grössere Freiheit des Ver-<lb/>
kehrs und eine geachtetere Stellung der Fremden in <placeName>China</placeName> durch<lb/>
die Interessen des westländischen Handels geboten sei und nöthigen-<lb/>
falls erzwungen werden müsse, lebte in Vielen und mag sich auch<lb/>
der englischen Regierung mitgetheilt haben. &#x2014; Ein sonst wohlunter-<lb/>
richteter und unpartheiischer Engländer, welcher die Ereignisse in<lb/><placeName>China</placeName> mit durchlebte und in nahen Beziehungen zu den Behörden<lb/>
stand, erklärte in einem durch den Druck verbreiteten Werke, Dr.<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119459078">Bowring</persName> sei von <placeName>England</placeName> aus angewiesen worden, keine Gelegenheit<lb/>
zu Anknüpfung von Händeln mit <placeName>China</placeName> vorübergehen zu lassen. <note place="foot" n="93)">Diese Ansicht ist positiv ausgesprochen in dem Werke von <persName ref="http://isni-url.oclc.nl/isni/0000000083618666">Andrew Wilson</persName>:<lb/>
The ever victorious army. Der Verfasser lebte lange Zeit in <placeName>China</placeName> und muss als<lb/>
Redacteur der angesehensten in <hi rendition="#k"><placeName>Hong-kong</placeName></hi> erscheinenden Zeitung mit den Ver-<lb/>
hältnissen innig vertraut gewesen sein.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0241] Die Ursachen des Krieges. Der Staatsrath befiehlt Yi, die Barbaren eben so herrisch zu be- handeln wie früher: »Vor Allem muss ihr Gesuch, auf dem Yaṅ-tse zu handeln, peremtorisch verweigert werden; auch dürfen sie nicht den Glauben fassen, dass dieser Gedanken uns jemals mitgetheilt wurde.« Bowring erhielt also am Pei-ho nur leere Versprechungen deren Werth die mitgetheilten Auszüge beleuchten, und kehrte im August 1854 nach Hong-kong zurück. In den beiden folgenden Jahren wurde das Verhältniss immer gespannter, und im October 1856 fing der angehäufte Zündstoff bei geringem Anlass Feuer. Die Ereignisse, aus welchen der zweite Krieg mit China sich entwickelte, veranlassten im englischen Parlament die heftigsten Debatten; an- gesehene Männer sprachen dort offen aus, dass derselbe auf ungerechte, jedes menschliche Gefühl empörende Weise begonnen wurde. Bowring’s Betragen fand den schärfsten Tadel; Viele schoben die ganze Schuld auf seine Eitelkeit und das reizbare Temperament des Consul Parkes. Mag nun gleich die politische Begabung des Dr. Bowring — welcher das Unglück hatte, den Diplomaten für einen grossen Sinologen und den Sinologen für einen tiefen Diplomaten zu gelten — keine glänzende gewesen sein, so darf man ihn doch kaum für den Gang der Weltgeschichte ver- antwortlich machen. Selten haben Einzelne die Schuld oder das Verdienst, grosse Entwickelungen durch freies Handeln aus eigener Kraft herbeigeführt zu haben; selbst der handelnde Staatsmann wird oft mehr getrieben als er treibt; seine Aufgabe ist, die Ge- walten richtig zu schätzen, welche im gegebenen Augenblick die Welt bewegen. Das Bewusstsein, dass grössere Freiheit des Ver- kehrs und eine geachtetere Stellung der Fremden in China durch die Interessen des westländischen Handels geboten sei und nöthigen- falls erzwungen werden müsse, lebte in Vielen und mag sich auch der englischen Regierung mitgetheilt haben. — Ein sonst wohlunter- richteter und unpartheiischer Engländer, welcher die Ereignisse in China mit durchlebte und in nahen Beziehungen zu den Behörden stand, erklärte in einem durch den Druck verbreiteten Werke, Dr. Bowring sei von England aus angewiesen worden, keine Gelegenheit zu Anknüpfung von Händeln mit China vorübergehen zu lassen. 93) 93) Diese Ansicht ist positiv ausgesprochen in dem Werke von Andrew Wilson: The ever victorious army. Der Verfasser lebte lange Zeit in China und muss als Redacteur der angesehensten in Hong-kong erscheinenden Zeitung mit den Ver- hältnissen innig vertraut gewesen sein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/241
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/241>, abgerufen am 24.11.2024.