Unterdessen war Fun-yun-san's Gefährte im Kerker an Miss- handlungen gestorben, er selbst unter Bewachung zweier Polizei- diener nach seiner Heimath abgeschickt worden. "Auf der Reise aber sprach Fun in seiner gewöhnlichen Art mit grosser Ueber- zeugung und Beredsamkeit von der wahren Lehre, und sie waren nicht viele Meilen gegangen, als die beiden Wächter sich bekehren liessen." Sie setzten ihn nicht nur in Freiheit, sondern folgten ihm auch zum Distelberge und wurden bei der Gemeinde als Taufbedürf- tige eingeführt. Auf die Nachricht von Hun-siu-tsuen's Reise nach Kan-ton folgte ihm Fun dahin, fand ihn aber nicht mehr und kehrte in sein Heimathdorf zurück. Auch Hun-siu-tsuen kam im Novem- ber 1848 wieder in sein Dorf. Er pflegte dort mit seinen älteren Brüdern die Heerde der Gemeinde zu hüten und traf an den Grenz- marken oft mit Fun zusammen, der ein ähnliches Hirtenleben führte. Sie lasen ihren Gefährten auf freiem Felde häufig Abschnitte aus dem Alten und dem Neuen Testamente vor: "viele der jüngeren Burschen", erzählt Hun-dzin, "welche ihre Ochsen auf den Weide- platz trieben, sammelten sich um Beide und horchten mit Spannung ihren Lehren."
Im Juli 1849 kehrten sie nach dem Distelberge zurück, wo1849. sich "während ihrer Abwesenheit in Kuan-tun bei der Gemeinde der Gottesverehrer allerlei Merkwürdiges zugetragen hatte, das Zwietracht unter den Brüdern erregte. Zuweilen geschah es näm- lich, dass, wenn sie versammelt zum Gebet niederknieten, Einer oder der Andere plötzlich einen Zufall bekam, so dass er nieder- stürzte und sein Körper sich über und über mit Schweiss bedeckte. In solchem ekstatischen Zustande stiess er dann, vom Geiste ge- trieben, Worte der Ermahnung, des Vorwurfs oder der Weissagung aus. Die Sätze waren oft unverständlich, und meistens rhythmisch geordnet. Die merkwürdigsten dieser Aeusserungen hatten die Brüder in einem Buche niedergeschrieben und legten sie nun Hun- siu-tsuen vor, der die Geister nach der Wahrheit der Lehre be- urtheilte, und entschied, dass die Reden der Verzückten theils wahr, theils falsch seien. Er bestätigte damit die von Yan-sin-tsin schon ausgesprochene Ansicht, dass sie theils von Gott und theils vom Teufel seien."
Yan-sin-tsin war ein Mann von geringem Herkommen und grosser Begabung, der sich dem Bekehrungswerke eifrig gewidmet und damals schon bei den Gemeinden Einfluss gewonnen hatte.
Verzückungen der Gottesverehrer.
Unterdessen war Fuṅ-yuṅ-san’s Gefährte im Kerker an Miss- handlungen gestorben, er selbst unter Bewachung zweier Polizei- diener nach seiner Heimath abgeschickt worden. »Auf der Reise aber sprach Fuṅ in seiner gewöhnlichen Art mit grosser Ueber- zeugung und Beredsamkeit von der wahren Lehre, und sie waren nicht viele Meilen gegangen, als die beiden Wächter sich bekehren liessen.« Sie setzten ihn nicht nur in Freiheit, sondern folgten ihm auch zum Distelberge und wurden bei der Gemeinde als Taufbedürf- tige eingeführt. Auf die Nachricht von Huṅ-siu-tsuen’s Reise nach Kan-ton folgte ihm Fuṅ dahin, fand ihn aber nicht mehr und kehrte in sein Heimathdorf zurück. Auch Huṅ-siu-tsuen kam im Novem- ber 1848 wieder in sein Dorf. Er pflegte dort mit seinen älteren Brüdern die Heerde der Gemeinde zu hüten und traf an den Grenz- marken oft mit Fuṅ zusammen, der ein ähnliches Hirtenleben führte. Sie lasen ihren Gefährten auf freiem Felde häufig Abschnitte aus dem Alten und dem Neuen Testamente vor: »viele der jüngeren Burschen«, erzählt Huṅ-džin, »welche ihre Ochsen auf den Weide- platz trieben, sammelten sich um Beide und horchten mit Spannung ihren Lehren.«
Im Juli 1849 kehrten sie nach dem Distelberge zurück, wo1849. sich »während ihrer Abwesenheit in Kuaṅ-tuṅ bei der Gemeinde der Gottesverehrer allerlei Merkwürdiges zugetragen hatte, das Zwietracht unter den Brüdern erregte. Zuweilen geschah es näm- lich, dass, wenn sie versammelt zum Gebet niederknieten, Einer oder der Andere plötzlich einen Zufall bekam, so dass er nieder- stürzte und sein Körper sich über und über mit Schweiss bedeckte. In solchem ekstatischen Zustande stiess er dann, vom Geiste ge- trieben, Worte der Ermahnung, des Vorwurfs oder der Weissagung aus. Die Sätze waren oft unverständlich, und meistens rhythmisch geordnet. Die merkwürdigsten dieser Aeusserungen hatten die Brüder in einem Buche niedergeschrieben und legten sie nun Huṅ- siu-tsuen vor, der die Geister nach der Wahrheit der Lehre be- urtheilte, und entschied, dass die Reden der Verzückten theils wahr, theils falsch seien. Er bestätigte damit die von Yaṅ-sin-tsiṅ schon ausgesprochene Ansicht, dass sie theils von Gott und theils vom Teufel seien.«
Yaṅ-sin-tsiṅ war ein Mann von geringem Herkommen und grosser Begabung, der sich dem Bekehrungswerke eifrig gewidmet und damals schon bei den Gemeinden Einfluss gewonnen hatte.
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Verzückungen der Gottesverehrer.
Unterdessen war Fuṅ-yuṅ-san’s Gefährte im Kerker an Miss-
handlungen gestorben, er selbst unter Bewachung zweier Polizei-
diener nach seiner Heimath abgeschickt worden. »Auf der Reise
aber sprach Fuṅ in seiner gewöhnlichen Art mit grosser Ueber-
zeugung und Beredsamkeit von der wahren Lehre, und sie waren
nicht viele Meilen gegangen, als die beiden Wächter sich bekehren
liessen.« Sie setzten ihn nicht nur in Freiheit, sondern folgten ihm
auch zum Distelberge und wurden bei der Gemeinde als Taufbedürf-
tige eingeführt. Auf die Nachricht von Huṅ-siu-tsuen’s Reise nach
Kan-ton folgte ihm Fuṅ dahin, fand ihn aber nicht mehr und kehrte
in sein Heimathdorf zurück. Auch Huṅ-siu-tsuen kam im Novem-
ber 1848 wieder in sein Dorf. Er pflegte dort mit seinen älteren
Brüdern die Heerde der Gemeinde zu hüten und traf an den Grenz-
marken oft mit Fuṅ zusammen, der ein ähnliches Hirtenleben führte.
Sie lasen ihren Gefährten auf freiem Felde häufig Abschnitte aus
dem Alten und dem Neuen Testamente vor: »viele der jüngeren
Burschen«, erzählt Huṅ-džin, »welche ihre Ochsen auf den Weide-
platz trieben, sammelten sich um Beide und horchten mit Spannung
ihren Lehren.«
Im Juli 1849 kehrten sie nach dem Distelberge zurück, wo
sich »während ihrer Abwesenheit in Kuaṅ-tuṅ bei der Gemeinde
der Gottesverehrer allerlei Merkwürdiges zugetragen hatte, das
Zwietracht unter den Brüdern erregte. Zuweilen geschah es näm-
lich, dass, wenn sie versammelt zum Gebet niederknieten, Einer
oder der Andere plötzlich einen Zufall bekam, so dass er nieder-
stürzte und sein Körper sich über und über mit Schweiss bedeckte.
In solchem ekstatischen Zustande stiess er dann, vom Geiste ge-
trieben, Worte der Ermahnung, des Vorwurfs oder der Weissagung
aus. Die Sätze waren oft unverständlich, und meistens rhythmisch
geordnet. Die merkwürdigsten dieser Aeusserungen hatten die
Brüder in einem Buche niedergeschrieben und legten sie nun Huṅ-
siu-tsuen vor, der die Geister nach der Wahrheit der Lehre be-
urtheilte, und entschied, dass die Reden der Verzückten theils
wahr, theils falsch seien. Er bestätigte damit die von Yaṅ-sin-tsiṅ
schon ausgesprochene Ansicht, dass sie theils von Gott und theils
vom Teufel seien.«
1849.
Yaṅ-sin-tsiṅ war ein Mann von geringem Herkommen und
grosser Begabung, der sich dem Bekehrungswerke eifrig gewidmet
und damals schon bei den Gemeinden Einfluss gewonnen hatte.
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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/191>, abgerufen am 09.11.2024.
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