[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.Die Bevölkerung der südlichen Provinzen. wurden, dass Vortheile, die der höher gebildete Chinese nur durchangestrengte Arbeit erringen konnte, dem rohen Tartaren als un- gesäte Früchte seiner Abstammung in den Schooss fielen. Dieses Missverhältniss wird eben so lange bestehen wie die Mandschu- Regierung und scheint selbst in den glänzendsten Zeiten ihrer Herrschaft eine Wurzel nagenden Grolles gewesen zu sein. Der chinesische Staat beruht wesentlich auf dem Princip, dass die sittliche Weltordnung durch sittliche Mittel zur Geltung gebracht werden muss, nicht durch Willkür und Gewalt. Nur diese, das tiefste Volksbewusstsein durchdringende Macht hält das colossale Reich zusammen. In diesem Sinne nennt Meadows die chinesische die höchste Gattung von Cultur. Unter der glän- zenden Herrschaft des Kan-gi und des Kien-lon, welche Jeder 60 Jahre regierten, hob China sich zu hoher Blüthe. Beide waren sparsam in Verleihung der Aemter an ihre Stammgenossen. Dennoch gab es in allen Provinzen tartarische Beamte und tarta- rische Garnisonen, welche den Chinesen in aller bürgerlichen Glück- seligkeit immer wieder an das fremde Joch erinnerten. Am leben- digsten blieb dieses Gefühl in den südöstlichen Provinzen. Fu-kian und Kuan-tun sind Küstenlandschaften, durch Die Bevölkerung der südlichen Provinzen. wurden, dass Vortheile, die der höher gebildete Chinese nur durchangestrengte Arbeit erringen konnte, dem rohen Tartaren als un- gesäte Früchte seiner Abstammung in den Schooss fielen. Dieses Missverhältniss wird eben so lange bestehen wie die Mandschu- Regierung und scheint selbst in den glänzendsten Zeiten ihrer Herrschaft eine Wurzel nagenden Grolles gewesen zu sein. Der chinesische Staat beruht wesentlich auf dem Princip, dass die sittliche Weltordnung durch sittliche Mittel zur Geltung gebracht werden muss, nicht durch Willkür und Gewalt. Nur diese, das tiefste Volksbewusstsein durchdringende Macht hält das colossale Reich zusammen. In diesem Sinne nennt Meadows die chinesische die höchste Gattung von Cultur. Unter der glän- zenden Herrschaft des Kaṅ-gi und des Kien-loṅ, welche Jeder 60 Jahre regierten, hob China sich zu hoher Blüthe. Beide waren sparsam in Verleihung der Aemter an ihre Stammgenossen. Dennoch gab es in allen Provinzen tartarische Beamte und tarta- rische Garnisonen, welche den Chinesen in aller bürgerlichen Glück- seligkeit immer wieder an das fremde Joch erinnerten. Am leben- digsten blieb dieses Gefühl in den südöstlichen Provinzen. Fu-kian und Kuaṅ-tuṅ sind Küstenlandschaften, durch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0176" n="154"/><fw place="top" type="header">Die Bevölkerung der südlichen Provinzen.</fw><lb/> wurden, dass Vortheile, die der höher gebildete Chinese nur durch<lb/> angestrengte Arbeit erringen konnte, dem rohen Tartaren als un-<lb/> gesäte Früchte seiner Abstammung in den Schooss fielen. Dieses<lb/> Missverhältniss wird eben so lange bestehen wie die Mandschu-<lb/> Regierung und scheint selbst in den glänzendsten Zeiten ihrer<lb/> Herrschaft eine Wurzel nagenden Grolles gewesen zu sein. Der<lb/> chinesische Staat beruht wesentlich auf dem Princip, dass die<lb/> sittliche Weltordnung durch sittliche Mittel zur Geltung gebracht<lb/> werden muss, nicht durch Willkür und Gewalt. Nur diese,<lb/> das tiefste Volksbewusstsein durchdringende Macht hält das<lb/> colossale Reich zusammen. In <hi rendition="#g">diesem</hi> Sinne nennt <persName ref="http://d-nb.info/gnd/102584729">Meadows</persName> die<lb/> chinesische die höchste Gattung von Cultur. Unter der glän-<lb/> zenden Herrschaft des <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118814273">Kaṅ-gi</persName></hi> und des <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119080648">Kien-loṅ</persName></hi>, welche Jeder<lb/> 60 Jahre regierten, hob <placeName>China</placeName> sich zu hoher Blüthe. Beide<lb/> waren sparsam in Verleihung der Aemter an ihre Stammgenossen.<lb/> Dennoch gab es in allen Provinzen tartarische Beamte und tarta-<lb/> rische Garnisonen, welche den Chinesen in aller bürgerlichen Glück-<lb/> seligkeit immer wieder an das fremde Joch erinnerten. Am leben-<lb/> digsten blieb dieses Gefühl in den südöstlichen Provinzen.</p><lb/> <p><hi rendition="#k"><placeName>Fu-kian</placeName></hi> und <hi rendition="#k"><placeName>Kuaṅ-tuṅ</placeName></hi> sind Küstenlandschaften, durch<lb/> hohes Gebirge vom übrigen <placeName>China</placeName> geschieden. Nur wenige schwie-<lb/> rige Pässe vermitteln den Verkehr. Der Nordhang des Gebirges<lb/> sendet seine Gewässer in den <hi rendition="#k"><placeName>Yaṅ-tse</placeName></hi>, der Südhang nach den<lb/> mit tausend Inseln gesäumten Küsten. Etwa <hi rendition="#k"><placeName>Tšu-san</placeName></hi> gegenüber<lb/> tritt der östliche Vorsprung der Berge in das Meer; der südliche<lb/> Theil von <hi rendition="#k"><placeName>Tše-kiaṅ</placeName></hi> gleicht seiner Natur nach <hi rendition="#k"><placeName>Fu-kian</placeName></hi>. Nördlich<lb/> liegen ungeheuere Ebenen, und die Küsten, meist angeschwemmtes<lb/> Land, sind fast hafenlos; südlich giebt es wenig ebenes Land und<lb/> eine grosse Zahl vorzüglicher Häfen und Buchten. — <hi rendition="#k"><placeName>Kuaṅ-si</placeName></hi> ist<lb/> Binnenland; der bei <hi rendition="#k"><placeName>Kan-ton</placeName></hi> fliessende <hi rendition="#k"><placeName>Tšu-kiaṅ</placeName></hi> oder <placeName>Perlfluss</placeName><lb/> entspringt in seinen unwegsamen Gebirgen. Deren Urbewohner, die<lb/><hi rendition="#k">Miao-tse</hi>, wurden von keiner chinesischen Dynastie vollständig<lb/> bezwungen und bewahren noch heute ihre eigenthümliche Tracht<lb/> und Sitte. In den Thälern leben Eingewanderte aus <hi rendition="#k"><placeName>Kuaṅ-tuṅ</placeName></hi>.<lb/> Die Bewohner dieser Provinz und der Landschaft <hi rendition="#k"><placeName>Fu-kian</placeName></hi> sind<lb/> ein beherzter, unternehmender Schlag, sehr verschieden von dem<lb/> stätigen, an der Scholle klebenden Chinesen der grossen Ebenen<lb/> in Norden. Ihre buchtenreichen Gestade haben sie von jeher auf das<lb/> Meer getrieben; namentlich gehen aus <hi rendition="#k"><placeName>Fu-kian</placeName></hi> beständig starke<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [154/0176]
Die Bevölkerung der südlichen Provinzen.
wurden, dass Vortheile, die der höher gebildete Chinese nur durch
angestrengte Arbeit erringen konnte, dem rohen Tartaren als un-
gesäte Früchte seiner Abstammung in den Schooss fielen. Dieses
Missverhältniss wird eben so lange bestehen wie die Mandschu-
Regierung und scheint selbst in den glänzendsten Zeiten ihrer
Herrschaft eine Wurzel nagenden Grolles gewesen zu sein. Der
chinesische Staat beruht wesentlich auf dem Princip, dass die
sittliche Weltordnung durch sittliche Mittel zur Geltung gebracht
werden muss, nicht durch Willkür und Gewalt. Nur diese,
das tiefste Volksbewusstsein durchdringende Macht hält das
colossale Reich zusammen. In diesem Sinne nennt Meadows die
chinesische die höchste Gattung von Cultur. Unter der glän-
zenden Herrschaft des Kaṅ-gi und des Kien-loṅ, welche Jeder
60 Jahre regierten, hob China sich zu hoher Blüthe. Beide
waren sparsam in Verleihung der Aemter an ihre Stammgenossen.
Dennoch gab es in allen Provinzen tartarische Beamte und tarta-
rische Garnisonen, welche den Chinesen in aller bürgerlichen Glück-
seligkeit immer wieder an das fremde Joch erinnerten. Am leben-
digsten blieb dieses Gefühl in den südöstlichen Provinzen.
Fu-kian und Kuaṅ-tuṅ sind Küstenlandschaften, durch
hohes Gebirge vom übrigen China geschieden. Nur wenige schwie-
rige Pässe vermitteln den Verkehr. Der Nordhang des Gebirges
sendet seine Gewässer in den Yaṅ-tse, der Südhang nach den
mit tausend Inseln gesäumten Küsten. Etwa Tšu-san gegenüber
tritt der östliche Vorsprung der Berge in das Meer; der südliche
Theil von Tše-kiaṅ gleicht seiner Natur nach Fu-kian. Nördlich
liegen ungeheuere Ebenen, und die Küsten, meist angeschwemmtes
Land, sind fast hafenlos; südlich giebt es wenig ebenes Land und
eine grosse Zahl vorzüglicher Häfen und Buchten. — Kuaṅ-si ist
Binnenland; der bei Kan-ton fliessende Tšu-kiaṅ oder Perlfluss
entspringt in seinen unwegsamen Gebirgen. Deren Urbewohner, die
Miao-tse, wurden von keiner chinesischen Dynastie vollständig
bezwungen und bewahren noch heute ihre eigenthümliche Tracht
und Sitte. In den Thälern leben Eingewanderte aus Kuaṅ-tuṅ.
Die Bewohner dieser Provinz und der Landschaft Fu-kian sind
ein beherzter, unternehmender Schlag, sehr verschieden von dem
stätigen, an der Scholle klebenden Chinesen der grossen Ebenen
in Norden. Ihre buchtenreichen Gestade haben sie von jeher auf das
Meer getrieben; namentlich gehen aus Fu-kian beständig starke
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |