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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Tin-hae genommen.
griff erfolgte am 1. October. Zum Sturm auf das grosse Erdwerk
am Hafen schifften die flachgehenden Dampfer Truppen aus, die
von der rechten Flanke eindrangen und die Besatzung aufrollten.
Ernster Widerstand wurde an wenigen Stellen geleistet; der Com-
mandirende fiel im Handgemenge. Eine auf ein Inselchen postirte
Batterie säuberte die Hügel und warf mit den dicht am Ufer
geankerten Schiffen Granaten in die Stadt; bald waren auch die
Höhen in den Händen der Engländer, welche nun über einen in
die Stadt einschneidenden Felssporn die Mauern stürmten. Sie
hatten 2 Todte, 27 Verwundete. Die Chinesen beklagten sich
bitter über den unbilligen Angriff auf die ungedeckte Flanke des
Erdwerkes, dessen Vorderfronte allerdings stark genug war. --
Ihr Ober-General war gefallen; zwei andere entleibten sich. 47)

Von den Bewohnern auf das freundlichste empfangen mach-
ten die Engländer bekannt, dass ihr Aufenthalt voraussichtlich
mehrere Jahre dauern würde, und bannten dadurch alle Furcht vor
den Mandarinen. Sie ordneten die Communal- und Justiz-Verwal-
tung unter Aufsicht ihrer eigenen Beamten und organisirten aus
den Truppen eine Sicherheits-Polizei, welche dem Unwesen des
Wegfangens Einzelner nach Möglichkeit steuerte. Der Aufenthalt
der englischen Garnison auf Tsu-san dauerte bis 1847, und das
Verhältniss gestaltete sich immer freundschaftlicher; Handel und
Wandel blühten auf, und die Insel erfreute sich bald eines nie
gekannten Wohlstandes, den sie dem Gelde der Engländer verdankte.
An frischen Lebensmitteln fehlte es während dieser Occupation
keineswegs, und der Gesundheitszustand war vortrefflich.

Yu-kien's Bericht über den Fall von Tsu-san war noch
lügenhafter als alle früheren: neunundzwanzig englische Schiffe
waren zurückgeschlagen worden; viele trieben als Wracks ohne
Mannschaft und Geschütze auf dem Meere. Hunderte der Landen-

47) Der höchste Civil-Beamte floh mit so viel Geld als er tragen konnte, und
warf, um den Glauben an seinen freiwilligen Tod zu erwecken, bei einem Canal
die Kleidung ab; später wurde er entdeckt und in Pe-kin zuerst zum Tode, dann
zu Verbannung verurtheilt, endlich aber zu einer Geldbusse begnadigt. In seinen
neuen Stellungen zeigte er sich sehr thätig für die Landesvertheidigung, erklärte
aber freimüthig, dass alles Mühen fruchtlos sei. Bei späteren Unterhandlungen
erschien er mehrfach als gern gesehener Vermittler im englischen Lager; er hatte
gegen englische Gefangene die grösste Schonung bewiesen und mehreren das Leben
gerettet. Nach der späteren Räumung von Tsu-san erhielt er dort seinen alten
Posten wieder.

Tiṅ-hae genommen.
griff erfolgte am 1. October. Zum Sturm auf das grosse Erdwerk
am Hafen schifften die flachgehenden Dampfer Truppen aus, die
von der rechten Flanke eindrangen und die Besatzung aufrollten.
Ernster Widerstand wurde an wenigen Stellen geleistet; der Com-
mandirende fiel im Handgemenge. Eine auf ein Inselchen postirte
Batterie säuberte die Hügel und warf mit den dicht am Ufer
geankerten Schiffen Granaten in die Stadt; bald waren auch die
Höhen in den Händen der Engländer, welche nun über einen in
die Stadt einschneidenden Felssporn die Mauern stürmten. Sie
hatten 2 Todte, 27 Verwundete. Die Chinesen beklagten sich
bitter über den unbilligen Angriff auf die ungedeckte Flanke des
Erdwerkes, dessen Vorderfronte allerdings stark genug war. —
Ihr Ober-General war gefallen; zwei andere entleibten sich. 47)

Von den Bewohnern auf das freundlichste empfangen mach-
ten die Engländer bekannt, dass ihr Aufenthalt voraussichtlich
mehrere Jahre dauern würde, und bannten dadurch alle Furcht vor
den Mandarinen. Sie ordneten die Communal- und Justiz-Verwal-
tung unter Aufsicht ihrer eigenen Beamten und organisirten aus
den Truppen eine Sicherheits-Polizei, welche dem Unwesen des
Wegfangens Einzelner nach Möglichkeit steuerte. Der Aufenthalt
der englischen Garnison auf Tšu-san dauerte bis 1847, und das
Verhältniss gestaltete sich immer freundschaftlicher; Handel und
Wandel blühten auf, und die Insel erfreute sich bald eines nie
gekannten Wohlstandes, den sie dem Gelde der Engländer verdankte.
An frischen Lebensmitteln fehlte es während dieser Occupation
keineswegs, und der Gesundheitszustand war vortrefflich.

Yu-kien’s Bericht über den Fall von Tšu-san war noch
lügenhafter als alle früheren: neunundzwanzig englische Schiffe
waren zurückgeschlagen worden; viele trieben als Wracks ohne
Mannschaft und Geschütze auf dem Meere. Hunderte der Landen-

47) Der höchste Civil-Beamte floh mit so viel Geld als er tragen konnte, und
warf, um den Glauben an seinen freiwilligen Tod zu erwecken, bei einem Canal
die Kleidung ab; später wurde er entdeckt und in Pe-kiṅ zuerst zum Tode, dann
zu Verbannung verurtheilt, endlich aber zu einer Geldbusse begnadigt. In seinen
neuen Stellungen zeigte er sich sehr thätig für die Landesvertheidigung, erklärte
aber freimüthig, dass alles Mühen fruchtlos sei. Bei späteren Unterhandlungen
erschien er mehrfach als gern gesehener Vermittler im englischen Lager; er hatte
gegen englische Gefangene die grösste Schonung bewiesen und mehreren das Leben
gerettet. Nach der späteren Räumung von Tšu-san erhielt er dort seinen alten
Posten wieder.
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[111/0133] Tiṅ-hae genommen. griff erfolgte am 1. October. Zum Sturm auf das grosse Erdwerk am Hafen schifften die flachgehenden Dampfer Truppen aus, die von der rechten Flanke eindrangen und die Besatzung aufrollten. Ernster Widerstand wurde an wenigen Stellen geleistet; der Com- mandirende fiel im Handgemenge. Eine auf ein Inselchen postirte Batterie säuberte die Hügel und warf mit den dicht am Ufer geankerten Schiffen Granaten in die Stadt; bald waren auch die Höhen in den Händen der Engländer, welche nun über einen in die Stadt einschneidenden Felssporn die Mauern stürmten. Sie hatten 2 Todte, 27 Verwundete. Die Chinesen beklagten sich bitter über den unbilligen Angriff auf die ungedeckte Flanke des Erdwerkes, dessen Vorderfronte allerdings stark genug war. — Ihr Ober-General war gefallen; zwei andere entleibten sich. 47) Von den Bewohnern auf das freundlichste empfangen mach- ten die Engländer bekannt, dass ihr Aufenthalt voraussichtlich mehrere Jahre dauern würde, und bannten dadurch alle Furcht vor den Mandarinen. Sie ordneten die Communal- und Justiz-Verwal- tung unter Aufsicht ihrer eigenen Beamten und organisirten aus den Truppen eine Sicherheits-Polizei, welche dem Unwesen des Wegfangens Einzelner nach Möglichkeit steuerte. Der Aufenthalt der englischen Garnison auf Tšu-san dauerte bis 1847, und das Verhältniss gestaltete sich immer freundschaftlicher; Handel und Wandel blühten auf, und die Insel erfreute sich bald eines nie gekannten Wohlstandes, den sie dem Gelde der Engländer verdankte. An frischen Lebensmitteln fehlte es während dieser Occupation keineswegs, und der Gesundheitszustand war vortrefflich. Yu-kien’s Bericht über den Fall von Tšu-san war noch lügenhafter als alle früheren: neunundzwanzig englische Schiffe waren zurückgeschlagen worden; viele trieben als Wracks ohne Mannschaft und Geschütze auf dem Meere. Hunderte der Landen- 47) Der höchste Civil-Beamte floh mit so viel Geld als er tragen konnte, und warf, um den Glauben an seinen freiwilligen Tod zu erwecken, bei einem Canal die Kleidung ab; später wurde er entdeckt und in Pe-kiṅ zuerst zum Tode, dann zu Verbannung verurtheilt, endlich aber zu einer Geldbusse begnadigt. In seinen neuen Stellungen zeigte er sich sehr thätig für die Landesvertheidigung, erklärte aber freimüthig, dass alles Mühen fruchtlos sei. Bei späteren Unterhandlungen erschien er mehrfach als gern gesehener Vermittler im englischen Lager; er hatte gegen englische Gefangene die grösste Schonung bewiesen und mehreren das Leben gerettet. Nach der späteren Räumung von Tšu-san erhielt er dort seinen alten Posten wieder.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/133>, abgerufen am 27.04.2024.