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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Gährung in Kan-ton.
stände, deren die Behörden in vielen Jahren nicht Meister wurden.
Das Gesindel von Kan-ton und Tausende fahnenflüchtiger Soldaten
durchstreiften raubend und brennend das Land, und vielen der Be-
raubten blieb keine Wahl, als ihnen zu folgen. So wuchs in den
Provinzen Kuan-tun und Kuan-si ein Zustand der Auflösung heran,
der aller Anstrengung der Behörden spottete und den Keim der
späteren Tae-pin-Bewegung legte. Der Heerd der Anarchie
war Kan-ton; die Mandarinen hüteten sich dort aus Furcht vor
offener Empörung, den Zügel allzu straff zu führen. Die Capitu-
lation hatte ihrem Ansehn den ärgsten Stoss versetzt; denn bei der
Bevölkerung schlug der Glauben Wurzel, dass sie ohne die
Einmischung des Präfecten Yu die Engländer geschlagen hätte.
Nach deren Abzug erschien in Kan-ton folgender Maueranschlag:
"Wir sind die Kinder des himmlischen Reiches und fähig unsere
Heimath zu vertheidigen. Wir können euch ohne Hülfe der Man-
darinen vernichten. Das Maass eurer Missethaten ist voll. Wären
wir nicht durch das Abkommen der Behörden an Ausführung
unseres Vorhabens gehindert worden, so hättet ihr den Arm
der Bürger fühlen sollen. Waget nicht, uns ferner zu beschimpfen,
sonst machen wir ein Exempel aus euch, und wenn ihr Feinde in
jeder Ritze und in jedem Winkel sehet, so werdet ihr nicht mehr
entschlüpfen können." -- Placate von ähnlichem Inhalt wurden durch
eine Reihe von Jahren häufig in den Strassen von Kan-ton an-
geheftet. Die Mandarinen thaten ihr Bestes, den Fremdenhass zu
nähren, zogen aber zugleich bei der Bevölkerung ein gefährliches
Bewusstsein der Selbstständigkeit und Autonomie gross.


Yi-san's Niederlage konnte auf die Länge nicht verborgen
bleiben, der Kaiser schonte ihn nur als nahen Verwandten. Er
verschwand damals vom Schauplatz, wurde aber nach dem Frieden
von Nan-kin der Verschleuderung öffentlicher Gelder angeklagt,
verhaftet und nach Pe-kin abgeführt. Bis die Volkswuth sich
gelegt hatte, blieb er eingekerkert und erhielt dann ein untergeord-
netes Amt im chinesischen Turkestan. -- Der zweite Commandeur
Lun-wun starb bald nach Abschluss der Convention. Der alte
Yan-fan bat um Urlaub nach seiner Heimath, dann um seinen Ab-
schied, der ihm in Gnaden gewährt wurde.

Gährung in Kan-ton.
stände, deren die Behörden in vielen Jahren nicht Meister wurden.
Das Gesindel von Kan-ton und Tausende fahnenflüchtiger Soldaten
durchstreiften raubend und brennend das Land, und vielen der Be-
raubten blieb keine Wahl, als ihnen zu folgen. So wuchs in den
Provinzen Kuaṅ-tuṅ und Kuaṅ-si ein Zustand der Auflösung heran,
der aller Anstrengung der Behörden spottete und den Keim der
späteren Tae-piṅ-Bewegung legte. Der Heerd der Anarchie
war Kan-ton; die Mandarinen hüteten sich dort aus Furcht vor
offener Empörung, den Zügel allzu straff zu führen. Die Capitu-
lation hatte ihrem Ansehn den ärgsten Stoss versetzt; denn bei der
Bevölkerung schlug der Glauben Wurzel, dass sie ohne die
Einmischung des Präfecten Yu die Engländer geschlagen hätte.
Nach deren Abzug erschien in Kan-ton folgender Maueranschlag:
»Wir sind die Kinder des himmlischen Reiches und fähig unsere
Heimath zu vertheidigen. Wir können euch ohne Hülfe der Man-
darinen vernichten. Das Maass eurer Missethaten ist voll. Wären
wir nicht durch das Abkommen der Behörden an Ausführung
unseres Vorhabens gehindert worden, so hättet ihr den Arm
der Bürger fühlen sollen. Waget nicht, uns ferner zu beschimpfen,
sonst machen wir ein Exempel aus euch, und wenn ihr Feinde in
jeder Ritze und in jedem Winkel sehet, so werdet ihr nicht mehr
entschlüpfen können.« — Placate von ähnlichem Inhalt wurden durch
eine Reihe von Jahren häufig in den Strassen von Kan-ton an-
geheftet. Die Mandarinen thaten ihr Bestes, den Fremdenhass zu
nähren, zogen aber zugleich bei der Bevölkerung ein gefährliches
Bewusstsein der Selbstständigkeit und Autonomie gross.


Yi-šan’s Niederlage konnte auf die Länge nicht verborgen
bleiben, der Kaiser schonte ihn nur als nahen Verwandten. Er
verschwand damals vom Schauplatz, wurde aber nach dem Frieden
von Nan-kiṅ der Verschleuderung öffentlicher Gelder angeklagt,
verhaftet und nach Pe-kiṅ abgeführt. Bis die Volkswuth sich
gelegt hatte, blieb er eingekerkert und erhielt dann ein untergeord-
netes Amt im chinesischen Turkestan. — Der zweite Commandeur
Lūṅ-wun starb bald nach Abschluss der Convention. Der alte
Yaṅ-faṅ bat um Urlaub nach seiner Heimath, dann um seinen Ab-
schied, der ihm in Gnaden gewährt wurde.

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[93/0115] Gährung in Kan-ton. stände, deren die Behörden in vielen Jahren nicht Meister wurden. Das Gesindel von Kan-ton und Tausende fahnenflüchtiger Soldaten durchstreiften raubend und brennend das Land, und vielen der Be- raubten blieb keine Wahl, als ihnen zu folgen. So wuchs in den Provinzen Kuaṅ-tuṅ und Kuaṅ-si ein Zustand der Auflösung heran, der aller Anstrengung der Behörden spottete und den Keim der späteren Tae-piṅ-Bewegung legte. Der Heerd der Anarchie war Kan-ton; die Mandarinen hüteten sich dort aus Furcht vor offener Empörung, den Zügel allzu straff zu führen. Die Capitu- lation hatte ihrem Ansehn den ärgsten Stoss versetzt; denn bei der Bevölkerung schlug der Glauben Wurzel, dass sie ohne die Einmischung des Präfecten Yu die Engländer geschlagen hätte. Nach deren Abzug erschien in Kan-ton folgender Maueranschlag: »Wir sind die Kinder des himmlischen Reiches und fähig unsere Heimath zu vertheidigen. Wir können euch ohne Hülfe der Man- darinen vernichten. Das Maass eurer Missethaten ist voll. Wären wir nicht durch das Abkommen der Behörden an Ausführung unseres Vorhabens gehindert worden, so hättet ihr den Arm der Bürger fühlen sollen. Waget nicht, uns ferner zu beschimpfen, sonst machen wir ein Exempel aus euch, und wenn ihr Feinde in jeder Ritze und in jedem Winkel sehet, so werdet ihr nicht mehr entschlüpfen können.« — Placate von ähnlichem Inhalt wurden durch eine Reihe von Jahren häufig in den Strassen von Kan-ton an- geheftet. Die Mandarinen thaten ihr Bestes, den Fremdenhass zu nähren, zogen aber zugleich bei der Bevölkerung ein gefährliches Bewusstsein der Selbstständigkeit und Autonomie gross. Yi-šan’s Niederlage konnte auf die Länge nicht verborgen bleiben, der Kaiser schonte ihn nur als nahen Verwandten. Er verschwand damals vom Schauplatz, wurde aber nach dem Frieden von Nan-kiṅ der Verschleuderung öffentlicher Gelder angeklagt, verhaftet und nach Pe-kiṅ abgeführt. Bis die Volkswuth sich gelegt hatte, blieb er eingekerkert und erhielt dann ein untergeord- netes Amt im chinesischen Turkestan. — Der zweite Commandeur Lūṅ-wun starb bald nach Abschluss der Convention. Der alte Yaṅ-faṅ bat um Urlaub nach seiner Heimath, dann um seinen Ab- schied, der ihm in Gnaden gewährt wurde.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/115>, abgerufen am 27.04.2024.