Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Elliot vor der Pei-ho-Mündung.
hier niemand gedacht; der Weg nach der Hauptstadt lag dem
Feinde offen. Capitän Elliot hatte auch die Absicht, eine Truppen-
bewegung auf Pe-kin zu veranlassen, wurde aber von der Schlau-
heit eines Mandarinen überlistet und kehrte unverrichteter Sache
nach dem Süden zurück.

Ki-sen, ein Mandschu-Tartar vom höchsten Range und
persönlicher Freund des Kaisers Tauk-wan, hatte vor Ausbruch
des Krieges alle Mittel zu dessen Abwendung aufgeboten. In einer
Immediat-Eingabe erklärte er damals die strenge Ausübung der
Strafgesetze gegen das Opiumrauchen und verschärfte Bewachung
der Küsten für genügend, um dem Uebel zu steuern, und widerrieth
jeden Gewaltschritt gegen die Fremden. Ki-sen war der vor-
nehmste Vertreter der gemässigten Parthei und entschiedener Gegner
des Lin, dessen Ansicht im kaiserlichen Rathe durchdrang. Das
unverhoffte Erscheinen der Engländer vor der Pei-ho-Mündung
erzeugte nun aber ernste Zweifel an dessen Politik, und Tauk-wan
befahl Lin's entschiedenstem Gegner, den Feind zur Umkehr zu
vermögen. Ki-sen's feiner Takt und aalglatte Liebenswürdigkeit,
seine unerschütterliche Ruhe und vollkommene Selbstbeherrschung
machten ihn zu dieser Sendung sehr geeignet. Er konnte die
widerwärtigsten Discussionen mit den schönsten Phrasen und Um-
gehung jeder Schärfe Stunden lang fortspinnen und, ohne sich
durch Zusagen zu binden, dem Gegner den Wahn eines Erfolges
beibringen. Bei den Verhandlungen an der Pei-ho-Mündung
muss er nach beiden Seiten falsch gespielt haben; denn sicher
theilte er das ihm übergebene Schreiben Lord Palmerston's dem
Kaiser nicht mit, noch auch dessen wirkliche Antwort auf seine
den Barbaren in den Mund gelegten Vorstellungen den Engländern;
sonst war die Verständigung unmöglich.32) Capitän Elliot erreichte

32) Nach Davis hätte Ki-sen seinem Herrn gegenüber den Engländern etwa
folgende Reden in den Mund gelegt: "Wir sind angewiesen, bei euerer ehrenwerthen
Nation Klage zu führen über die Schädigung unseres Vertreters und der britischen
Kaufleute durch die Oberbeamten in Kan-ton. Da unsere See- und Landmacht
bedeutend ist, so brauchten wir einen Platz, um unsere Schiffe zu bergen und unsere
Truppen unterzubringen. Die Oberbeamten in den Provinzen schlossen uns
nicht nur ihre Häfen, sondern weigerten sich auch, unsere Vorstellungen an
den Hof zu befördern. Deshalb mussten wir Tsu-san besetzen. Commissar
Lin liess alle Europäer in Kan-ton einschliessen, schnitt ihnen den Verkehr
ab und beraubte sie der Lebensmittel, bis das Opium an Bord der Schiffe aus-
geliefert war, indem er sie mit dem Tode bedrohte. Eine Menge Opium

Elliot vor der Pei-ho-Mündung.
hier niemand gedacht; der Weg nach der Hauptstadt lag dem
Feinde offen. Capitän Elliot hatte auch die Absicht, eine Truppen-
bewegung auf Pe-kiṅ zu veranlassen, wurde aber von der Schlau-
heit eines Mandarinen überlistet und kehrte unverrichteter Sache
nach dem Süden zurück.

Ki-šen, ein Mandschu-Tartar vom höchsten Range und
persönlicher Freund des Kaisers Tauk-waṅ, hatte vor Ausbruch
des Krieges alle Mittel zu dessen Abwendung aufgeboten. In einer
Immediat-Eingabe erklärte er damals die strenge Ausübung der
Strafgesetze gegen das Opiumrauchen und verschärfte Bewachung
der Küsten für genügend, um dem Uebel zu steuern, und widerrieth
jeden Gewaltschritt gegen die Fremden. Ki-šen war der vor-
nehmste Vertreter der gemässigten Parthei und entschiedener Gegner
des Lin, dessen Ansicht im kaiserlichen Rathe durchdrang. Das
unverhoffte Erscheinen der Engländer vor der Pei-ho-Mündung
erzeugte nun aber ernste Zweifel an dessen Politik, und Tauk-waṅ
befahl Lin’s entschiedenstem Gegner, den Feind zur Umkehr zu
vermögen. Ki-šen’s feiner Takt und aalglatte Liebenswürdigkeit,
seine unerschütterliche Ruhe und vollkommene Selbstbeherrschung
machten ihn zu dieser Sendung sehr geeignet. Er konnte die
widerwärtigsten Discussionen mit den schönsten Phrasen und Um-
gehung jeder Schärfe Stunden lang fortspinnen und, ohne sich
durch Zusagen zu binden, dem Gegner den Wahn eines Erfolges
beibringen. Bei den Verhandlungen an der Pei-ho-Mündung
muss er nach beiden Seiten falsch gespielt haben; denn sicher
theilte er das ihm übergebene Schreiben Lord Palmerston’s dem
Kaiser nicht mit, noch auch dessen wirkliche Antwort auf seine
den Barbaren in den Mund gelegten Vorstellungen den Engländern;
sonst war die Verständigung unmöglich.32) Capitän Elliot erreichte

32) Nach Davis hätte Ki-šen seinem Herrn gegenüber den Engländern etwa
folgende Reden in den Mund gelegt: »Wir sind angewiesen, bei euerer ehrenwerthen
Nation Klage zu führen über die Schädigung unseres Vertreters und der britischen
Kaufleute durch die Oberbeamten in Kan-ton. Da unsere See- und Landmacht
bedeutend ist, so brauchten wir einen Platz, um unsere Schiffe zu bergen und unsere
Truppen unterzubringen. Die Oberbeamten in den Provinzen schlossen uns
nicht nur ihre Häfen, sondern weigerten sich auch, unsere Vorstellungen an
den Hof zu befördern. Deshalb mussten wir Tšu-san besetzen. Commissar
Lin liess alle Europäer in Kan-ton einschliessen, schnitt ihnen den Verkehr
ab und beraubte sie der Lebensmittel, bis das Opium an Bord der Schiffe aus-
geliefert war, indem er sie mit dem Tode bedrohte. Eine Menge Opium
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0101" n="79"/><fw place="top" type="header"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/122894928">Elliot</persName> vor der <placeName><hi rendition="#k">Pei-ho</hi>-Mündung</placeName>.</fw><lb/>
hier niemand gedacht; der Weg nach der Hauptstadt lag dem<lb/>
Feinde offen. Capitän <persName ref="http://d-nb.info/gnd/122894928">Elliot</persName> hatte auch die Absicht, eine Truppen-<lb/>
bewegung auf <hi rendition="#k"><placeName>Pe-kin&#x0307;</placeName></hi> zu veranlassen, wurde aber von der Schlau-<lb/>
heit eines Mandarinen überlistet und kehrte unverrichteter Sache<lb/>
nach dem Süden zurück.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/153149752">Ki-&#x0161;en</persName></hi>, ein Mandschu-Tartar vom höchsten Range und<lb/>
persönlicher Freund des Kaisers <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/1019725036">Tauk-wan&#x0307;</persName></hi>, hatte vor Ausbruch<lb/>
des Krieges alle Mittel zu dessen Abwendung aufgeboten. In einer<lb/>
Immediat-Eingabe erklärte er damals die strenge Ausübung der<lb/>
Strafgesetze gegen das Opiumrauchen und verschärfte Bewachung<lb/>
der Küsten für genügend, um dem Uebel zu steuern, und widerrieth<lb/>
jeden Gewaltschritt gegen die Fremden. <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/153149752">Ki-&#x0161;en</persName></hi> war der vor-<lb/>
nehmste Vertreter der gemässigten Parthei und entschiedener Gegner<lb/>
des <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118980327">Lin</persName></hi>, dessen Ansicht im kaiserlichen Rathe durchdrang. Das<lb/>
unverhoffte Erscheinen der Engländer vor der <placeName><hi rendition="#k">Pei-ho</hi>-Mündung</placeName><lb/>
erzeugte nun aber ernste Zweifel an dessen Politik, und <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/1019725036">Tauk-wan&#x0307;</persName></hi><lb/>
befahl <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118980327"><hi rendition="#k">Lin</hi>&#x2019;s</persName> entschiedenstem Gegner, den Feind zur Umkehr zu<lb/>
vermögen. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/153149752"><hi rendition="#k">Ki-&#x0161;en</hi>&#x2019;s</persName> feiner Takt und aalglatte Liebenswürdigkeit,<lb/>
seine unerschütterliche Ruhe und vollkommene Selbstbeherrschung<lb/>
machten ihn zu dieser Sendung sehr geeignet. Er konnte die<lb/>
widerwärtigsten Discussionen mit den schönsten Phrasen und Um-<lb/>
gehung jeder Schärfe Stunden lang fortspinnen und, ohne sich<lb/>
durch Zusagen zu binden, dem Gegner den Wahn eines Erfolges<lb/>
beibringen. Bei den Verhandlungen an der <placeName><hi rendition="#k">Pei-ho</hi>-Mündung</placeName><lb/>
muss er nach beiden Seiten falsch gespielt haben; denn sicher<lb/>
theilte er das ihm übergebene Schreiben Lord <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118739069">Palmerston&#x2019;s</persName> dem<lb/>
Kaiser nicht mit, noch auch dessen wirkliche Antwort auf seine<lb/>
den Barbaren in den Mund gelegten Vorstellungen den Engländern;<lb/>
sonst war die Verständigung unmöglich.<note xml:id="note-0101" next="#note-0102" place="foot" n="32)">Nach <persName ref="http://d-nb.info/gnd/121769232">Davis</persName> hätte <hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/153149752">Ki-&#x0161;en</persName></hi> seinem Herrn gegenüber den Engländern etwa<lb/>
folgende Reden in den Mund gelegt: »Wir sind angewiesen, bei euerer ehrenwerthen<lb/>
Nation Klage zu führen über die Schädigung unseres Vertreters und der britischen<lb/>
Kaufleute durch die Oberbeamten in <hi rendition="#k"><placeName>Kan-ton</placeName></hi>. Da unsere See- und Landmacht<lb/>
bedeutend ist, so brauchten wir einen Platz, um unsere Schiffe zu bergen und unsere<lb/>
Truppen unterzubringen. Die Oberbeamten in den Provinzen schlossen uns<lb/>
nicht nur ihre Häfen, sondern weigerten sich auch, unsere Vorstellungen an<lb/>
den Hof zu befördern. Deshalb mussten wir <hi rendition="#k"><placeName>T&#x0161;u-san</placeName></hi> besetzen. Commissar<lb/><hi rendition="#k"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118980327">Lin</persName></hi> liess alle Europäer in <hi rendition="#k"><placeName>Kan-ton</placeName></hi> einschliessen, schnitt ihnen den Verkehr<lb/>
ab und beraubte sie der Lebensmittel, bis das Opium an Bord der Schiffe aus-<lb/>
geliefert war, indem er sie mit dem Tode bedrohte. Eine Menge Opium</note> Capitän <persName ref="http://d-nb.info/gnd/122894928">Elliot</persName> erreichte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0101] Elliot vor der Pei-ho-Mündung. hier niemand gedacht; der Weg nach der Hauptstadt lag dem Feinde offen. Capitän Elliot hatte auch die Absicht, eine Truppen- bewegung auf Pe-kiṅ zu veranlassen, wurde aber von der Schlau- heit eines Mandarinen überlistet und kehrte unverrichteter Sache nach dem Süden zurück. Ki-šen, ein Mandschu-Tartar vom höchsten Range und persönlicher Freund des Kaisers Tauk-waṅ, hatte vor Ausbruch des Krieges alle Mittel zu dessen Abwendung aufgeboten. In einer Immediat-Eingabe erklärte er damals die strenge Ausübung der Strafgesetze gegen das Opiumrauchen und verschärfte Bewachung der Küsten für genügend, um dem Uebel zu steuern, und widerrieth jeden Gewaltschritt gegen die Fremden. Ki-šen war der vor- nehmste Vertreter der gemässigten Parthei und entschiedener Gegner des Lin, dessen Ansicht im kaiserlichen Rathe durchdrang. Das unverhoffte Erscheinen der Engländer vor der Pei-ho-Mündung erzeugte nun aber ernste Zweifel an dessen Politik, und Tauk-waṅ befahl Lin’s entschiedenstem Gegner, den Feind zur Umkehr zu vermögen. Ki-šen’s feiner Takt und aalglatte Liebenswürdigkeit, seine unerschütterliche Ruhe und vollkommene Selbstbeherrschung machten ihn zu dieser Sendung sehr geeignet. Er konnte die widerwärtigsten Discussionen mit den schönsten Phrasen und Um- gehung jeder Schärfe Stunden lang fortspinnen und, ohne sich durch Zusagen zu binden, dem Gegner den Wahn eines Erfolges beibringen. Bei den Verhandlungen an der Pei-ho-Mündung muss er nach beiden Seiten falsch gespielt haben; denn sicher theilte er das ihm übergebene Schreiben Lord Palmerston’s dem Kaiser nicht mit, noch auch dessen wirkliche Antwort auf seine den Barbaren in den Mund gelegten Vorstellungen den Engländern; sonst war die Verständigung unmöglich. 32) Capitän Elliot erreichte 32) Nach Davis hätte Ki-šen seinem Herrn gegenüber den Engländern etwa folgende Reden in den Mund gelegt: »Wir sind angewiesen, bei euerer ehrenwerthen Nation Klage zu führen über die Schädigung unseres Vertreters und der britischen Kaufleute durch die Oberbeamten in Kan-ton. Da unsere See- und Landmacht bedeutend ist, so brauchten wir einen Platz, um unsere Schiffe zu bergen und unsere Truppen unterzubringen. Die Oberbeamten in den Provinzen schlossen uns nicht nur ihre Häfen, sondern weigerten sich auch, unsere Vorstellungen an den Hof zu befördern. Deshalb mussten wir Tšu-san besetzen. Commissar Lin liess alle Europäer in Kan-ton einschliessen, schnitt ihnen den Verkehr ab und beraubte sie der Lebensmittel, bis das Opium an Bord der Schiffe aus- geliefert war, indem er sie mit dem Tode bedrohte. Eine Menge Opium

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/101
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/101>, abgerufen am 27.04.2024.