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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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VI. Blutrache und Harakiru.
eine tödtliche Ehrverletzung, die sogleich blutig gerächt wurde, --
vielleicht sogar auf Befehl des beleidigten Prinzen. Letzteres leugnen
die Japaner; in den betreffenden Schreiben des fürstlichen Beamten
wird sogar die That in den schärfsten Ausdrücken getadelt und
Bestrafung der Mörder versprochen, sobald man sie ergreife, --
zugleich aber das Recht des Taikun in Zweifel gezogen, die Strassen
des Reiches den Fremden frei zu geben, und dadurch die Landes-
fürsten so tödtlichen Kränkungen auszusetzen.

Es sind ganz mittelalterliche Zustände. Bei keinem einzigen
der an Fremden verübten Morde fand eine Beraubung statt; die
meisten entsprangen aus politischen Motiven, nur wenige, wie die
Ermordung Richardsons, aus persönlicher Rache. -- Die Ehre
ist nach japanischen Begriffen das höchste Gut des Edelen; jeder
Flecken daran muss mit Blut getilgt werden, sei es mit dem eigenen,
sei es mit dem des Beleidigers. Wenn Fürsten oder hohe Staats-
beamte mit einander Händel bekommen, so pflegt der Gekränkte
sich auf der Stelle den Leib aufzuschlitzen, worauf sein Widersacher
gehalten ist ein Gleiches zu thun. Titsingh erzählt von zwei
Daimio's, deren Säbelscheiden sich bei einer Begegnung im kaiserlichen
Palast zufällig berührten. Der eine macht eine ehrenrührige
Bemerkung über das Schwert des anderen, dieser zieht es entrüstet
aus der Scheide und schlitzt sich den Leib auf; der Gegner folgt
natürlich sofort seinem Beispiel. -- Der Trabanten-Adel ist nicht
ganz so zartfühlend; bei ihm gilt der Grundsatz, dass der Beleidiger
und der Beleidigte nicht beide leben können; jener sucht diesen zu
tödten, sei es im Zweikampf, sei es durch Ueberfall und Meuchel-
mord. Die kleinsten Händel ziehen solche Rache nach sich, und
wer sie nicht vollstreckt, gilt für ehrlos. Wer aber einen anderen
erschlagen hat, ist selbst dem Gesetze verfallen, und Viele vollziehen,
um der entehrenden Hinrichtung zu entgehen, gleich nach dem
Racheact das Harakiru. In manchen Fällen, bei tödtlichen
Kränkungen, Ermordung von nahen Verwandten, Freunden und
Vorgesetzten, ist die Vergeltung auch straflos, ja heilige Pflicht der
Angehörigen und Untergebenen. So rächt der Freund den Freund,
der Sohn den Vater, der Diener den Herrn oft ungestraft. Das
Verhältniss der Lehnsfürsten und hohen Beamten zu ihren Trabanten
ist ganz patriarchalisch; die Samrai-Familien sind mit denen ihrer
Lehnsherren innig verbunden und theilen deren gute und böse
Schicksale. Wird ein Grosser degradirt oder verbannt, so verfallen

VI. Blutrache und Harakiru.
eine tödtliche Ehrverletzung, die sogleich blutig gerächt wurde, —
vielleicht sogar auf Befehl des beleidigten Prinzen. Letzteres leugnen
die Japaner; in den betreffenden Schreiben des fürstlichen Beamten
wird sogar die That in den schärfsten Ausdrücken getadelt und
Bestrafung der Mörder versprochen, sobald man sie ergreife, —
zugleich aber das Recht des Taïkūn in Zweifel gezogen, die Strassen
des Reiches den Fremden frei zu geben, und dadurch die Landes-
fürsten so tödtlichen Kränkungen auszusetzen.

Es sind ganz mittelalterliche Zustände. Bei keinem einzigen
der an Fremden verübten Morde fand eine Beraubung statt; die
meisten entsprangen aus politischen Motiven, nur wenige, wie die
Ermordung Richardsons, aus persönlicher Rache. — Die Ehre
ist nach japanischen Begriffen das höchste Gut des Edelen; jeder
Flecken daran muss mit Blut getilgt werden, sei es mit dem eigenen,
sei es mit dem des Beleidigers. Wenn Fürsten oder hohe Staats-
beamte mit einander Händel bekommen, so pflegt der Gekränkte
sich auf der Stelle den Leib aufzuschlitzen, worauf sein Widersacher
gehalten ist ein Gleiches zu thun. Titsingh erzählt von zwei
Daïmio’s, deren Säbelscheiden sich bei einer Begegnung im kaiserlichen
Palast zufällig berührten. Der eine macht eine ehrenrührige
Bemerkung über das Schwert des anderen, dieser zieht es entrüstet
aus der Scheide und schlitzt sich den Leib auf; der Gegner folgt
natürlich sofort seinem Beispiel. — Der Trabanten-Adel ist nicht
ganz so zartfühlend; bei ihm gilt der Grundsatz, dass der Beleidiger
und der Beleidigte nicht beide leben können; jener sucht diesen zu
tödten, sei es im Zweikampf, sei es durch Ueberfall und Meuchel-
mord. Die kleinsten Händel ziehen solche Rache nach sich, und
wer sie nicht vollstreckt, gilt für ehrlos. Wer aber einen anderen
erschlagen hat, ist selbst dem Gesetze verfallen, und Viele vollziehen,
um der entehrenden Hinrichtung zu entgehen, gleich nach dem
Racheact das Harakiru. In manchen Fällen, bei tödtlichen
Kränkungen, Ermordung von nahen Verwandten, Freunden und
Vorgesetzten, ist die Vergeltung auch straflos, ja heilige Pflicht der
Angehörigen und Untergebenen. So rächt der Freund den Freund,
der Sohn den Vater, der Diener den Herrn oft ungestraft. Das
Verhältniss der Lehnsfürsten und hohen Beamten zu ihren Trabanten
ist ganz patriarchalisch; die Samraï-Familien sind mit denen ihrer
Lehnsherren innig verbunden und theilen deren gute und böse
Schicksale. Wird ein Grosser degradirt oder verbannt, so verfallen

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[45/0065] VI. Blutrache und Harakiru. eine tödtliche Ehrverletzung, die sogleich blutig gerächt wurde, — vielleicht sogar auf Befehl des beleidigten Prinzen. Letzteres leugnen die Japaner; in den betreffenden Schreiben des fürstlichen Beamten wird sogar die That in den schärfsten Ausdrücken getadelt und Bestrafung der Mörder versprochen, sobald man sie ergreife, — zugleich aber das Recht des Taïkūn in Zweifel gezogen, die Strassen des Reiches den Fremden frei zu geben, und dadurch die Landes- fürsten so tödtlichen Kränkungen auszusetzen. Es sind ganz mittelalterliche Zustände. Bei keinem einzigen der an Fremden verübten Morde fand eine Beraubung statt; die meisten entsprangen aus politischen Motiven, nur wenige, wie die Ermordung Richardsons, aus persönlicher Rache. — Die Ehre ist nach japanischen Begriffen das höchste Gut des Edelen; jeder Flecken daran muss mit Blut getilgt werden, sei es mit dem eigenen, sei es mit dem des Beleidigers. Wenn Fürsten oder hohe Staats- beamte mit einander Händel bekommen, so pflegt der Gekränkte sich auf der Stelle den Leib aufzuschlitzen, worauf sein Widersacher gehalten ist ein Gleiches zu thun. Titsingh erzählt von zwei Daïmio’s, deren Säbelscheiden sich bei einer Begegnung im kaiserlichen Palast zufällig berührten. Der eine macht eine ehrenrührige Bemerkung über das Schwert des anderen, dieser zieht es entrüstet aus der Scheide und schlitzt sich den Leib auf; der Gegner folgt natürlich sofort seinem Beispiel. — Der Trabanten-Adel ist nicht ganz so zartfühlend; bei ihm gilt der Grundsatz, dass der Beleidiger und der Beleidigte nicht beide leben können; jener sucht diesen zu tödten, sei es im Zweikampf, sei es durch Ueberfall und Meuchel- mord. Die kleinsten Händel ziehen solche Rache nach sich, und wer sie nicht vollstreckt, gilt für ehrlos. Wer aber einen anderen erschlagen hat, ist selbst dem Gesetze verfallen, und Viele vollziehen, um der entehrenden Hinrichtung zu entgehen, gleich nach dem Racheact das Harakiru. In manchen Fällen, bei tödtlichen Kränkungen, Ermordung von nahen Verwandten, Freunden und Vorgesetzten, ist die Vergeltung auch straflos, ja heilige Pflicht der Angehörigen und Untergebenen. So rächt der Freund den Freund, der Sohn den Vater, der Diener den Herrn oft ungestraft. Das Verhältniss der Lehnsfürsten und hohen Beamten zu ihren Trabanten ist ganz patriarchalisch; die Samraï-Familien sind mit denen ihrer Lehnsherren innig verbunden und theilen deren gute und böse Schicksale. Wird ein Grosser degradirt oder verbannt, so verfallen

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/65>, abgerufen am 28.04.2024.