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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Die Ehe. VI.
und bescheiden, zugleich aber so unbefangen und zwanglos, wie
man es nur bei Gleichberechtigten findet. Die gute, oft kostbare
Kleidung der Frau beweist, dass sie am Wohlstande des Mannes
den gebührenden Antheil nimmt, die Reinlichkeit, Decenz und Sorg-
falt des Anzuges, dass sie sich achtet. Selten begegnet man, selbst
bei bejahrten Frauen, äusserer Vernachlässigung; die milden, würdigen
Züge mancher Matrone reden deutlich von sittlichem Beruf und be-
friedigender Lebensstellung. Die japanische Geschichte bewahrt
viele Beispiele von ausgezeichneten Frauen, solchen die in Dicht-
kunst, Musik und Gelehrsamkeit geglänzt, und anderen, die durch
Geistesgrösse Einfluss auf die Geschicke des Landes geübt oder selbst
ruhmvoll das Scepter geführt haben. -- Wenn Golownin einen seiner
japanischen Freunde am Hochzeittage seiner Tochter in Thränen
der Rührung findet, die aus Besorgniss um deren Zukunft ver-
gossen werden, so muss ein sittliches Eheglück wohl als hohes
Lebenserforderniss gelten.

Der Japaner heirathet eine rechtmässige Frau, die sich vom
Augenblick der Verlobung an die Augenbrauen ausrupft und die
Zähne schwarz färbt. Dieser sonderbare Gebrauch geht durch alle
Stände und lässt sich kaum anders als aus einer übersittlichen Auf-
fassung der Ehe erklären: die Braut entstellt sich, um keinem Anderen
mehr schön zu erscheinen und ihrem Gatten nur durch innere Vorzüge
zu gefallen; die Sinnlichkeit -- aber freilich gerade die höhere Sinn-
lichkeit -- wird symbolisch aus der Ehe verbannt. Aber dieser
Fanatismus der Reinheit trägt seine bitteren Früchte, denn während
die Frau dem Gatten die unverbrüchlichste Treue schuldet, -- schon
der leise Verdacht der Untreue berechtigt ihn zu schwerer Rache 17)
-- geniesst der Mann ohne Schande der grössten Licenz. Dieser
soll auch das Recht haben, seine Frau unter gewissen, nicht näher
bekannten Umständen zu verstossen. Das Ehebündniss gilt nach
allen Anzeichen als reines Familien-Ereigniss, und scheint mehr
durch anerkannte Gebräuche als durch bürgerliche Gesetze geschützt
zu sein, zum Staat und Cultus aber in keiner Beziehung zu stehen.

Den 23. October Abends zeigten unsere Hausbeamten dem
Gesandten an, dass am folgenden Tage die Fürstin von Bungo ihren
Bruder, den Taikun besuchen, und die ganze von ihr zu passirende

17) Der Mann soll das Recht haben seine Frau zu tödten, wenn er sie allein
mit einem Anderen im Zimmer findet.

Die Ehe. VI.
und bescheiden, zugleich aber so unbefangen und zwanglos, wie
man es nur bei Gleichberechtigten findet. Die gute, oft kostbare
Kleidung der Frau beweist, dass sie am Wohlstande des Mannes
den gebührenden Antheil nimmt, die Reinlichkeit, Decenz und Sorg-
falt des Anzuges, dass sie sich achtet. Selten begegnet man, selbst
bei bejahrten Frauen, äusserer Vernachlässigung; die milden, würdigen
Züge mancher Matrone reden deutlich von sittlichem Beruf und be-
friedigender Lebensstellung. Die japanische Geschichte bewahrt
viele Beispiele von ausgezeichneten Frauen, solchen die in Dicht-
kunst, Musik und Gelehrsamkeit geglänzt, und anderen, die durch
Geistesgrösse Einfluss auf die Geschicke des Landes geübt oder selbst
ruhmvoll das Scepter geführt haben. — Wenn Golownin einen seiner
japanischen Freunde am Hochzeittage seiner Tochter in Thränen
der Rührung findet, die aus Besorgniss um deren Zukunft ver-
gossen werden, so muss ein sittliches Eheglück wohl als hohes
Lebenserforderniss gelten.

Der Japaner heirathet eine rechtmässige Frau, die sich vom
Augenblick der Verlobung an die Augenbrauen ausrupft und die
Zähne schwarz färbt. Dieser sonderbare Gebrauch geht durch alle
Stände und lässt sich kaum anders als aus einer übersittlichen Auf-
fassung der Ehe erklären: die Braut entstellt sich, um keinem Anderen
mehr schön zu erscheinen und ihrem Gatten nur durch innere Vorzüge
zu gefallen; die Sinnlichkeit — aber freilich gerade die höhere Sinn-
lichkeit — wird symbolisch aus der Ehe verbannt. Aber dieser
Fanatismus der Reinheit trägt seine bitteren Früchte, denn während
die Frau dem Gatten die unverbrüchlichste Treue schuldet, — schon
der leise Verdacht der Untreue berechtigt ihn zu schwerer Rache 17)
— geniesst der Mann ohne Schande der grössten Licenz. Dieser
soll auch das Recht haben, seine Frau unter gewissen, nicht näher
bekannten Umständen zu verstossen. Das Ehebündniss gilt nach
allen Anzeichen als reines Familien-Ereigniss, und scheint mehr
durch anerkannte Gebräuche als durch bürgerliche Gesetze geschützt
zu sein, zum Staat und Cultus aber in keiner Beziehung zu stehen.

Den 23. October Abends zeigten unsere Hausbeamten dem
Gesandten an, dass am folgenden Tage die Fürstin von Buṅgo ihren
Bruder, den Taïkūn besuchen, und die ganze von ihr zu passirende

17) Der Mann soll das Recht haben seine Frau zu tödten, wenn er sie allein
mit einem Anderen im Zimmer findet.
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[38/0058] Die Ehe. VI. und bescheiden, zugleich aber so unbefangen und zwanglos, wie man es nur bei Gleichberechtigten findet. Die gute, oft kostbare Kleidung der Frau beweist, dass sie am Wohlstande des Mannes den gebührenden Antheil nimmt, die Reinlichkeit, Decenz und Sorg- falt des Anzuges, dass sie sich achtet. Selten begegnet man, selbst bei bejahrten Frauen, äusserer Vernachlässigung; die milden, würdigen Züge mancher Matrone reden deutlich von sittlichem Beruf und be- friedigender Lebensstellung. Die japanische Geschichte bewahrt viele Beispiele von ausgezeichneten Frauen, solchen die in Dicht- kunst, Musik und Gelehrsamkeit geglänzt, und anderen, die durch Geistesgrösse Einfluss auf die Geschicke des Landes geübt oder selbst ruhmvoll das Scepter geführt haben. — Wenn Golownin einen seiner japanischen Freunde am Hochzeittage seiner Tochter in Thränen der Rührung findet, die aus Besorgniss um deren Zukunft ver- gossen werden, so muss ein sittliches Eheglück wohl als hohes Lebenserforderniss gelten. Der Japaner heirathet eine rechtmässige Frau, die sich vom Augenblick der Verlobung an die Augenbrauen ausrupft und die Zähne schwarz färbt. Dieser sonderbare Gebrauch geht durch alle Stände und lässt sich kaum anders als aus einer übersittlichen Auf- fassung der Ehe erklären: die Braut entstellt sich, um keinem Anderen mehr schön zu erscheinen und ihrem Gatten nur durch innere Vorzüge zu gefallen; die Sinnlichkeit — aber freilich gerade die höhere Sinn- lichkeit — wird symbolisch aus der Ehe verbannt. Aber dieser Fanatismus der Reinheit trägt seine bitteren Früchte, denn während die Frau dem Gatten die unverbrüchlichste Treue schuldet, — schon der leise Verdacht der Untreue berechtigt ihn zu schwerer Rache 17) — geniesst der Mann ohne Schande der grössten Licenz. Dieser soll auch das Recht haben, seine Frau unter gewissen, nicht näher bekannten Umständen zu verstossen. Das Ehebündniss gilt nach allen Anzeichen als reines Familien-Ereigniss, und scheint mehr durch anerkannte Gebräuche als durch bürgerliche Gesetze geschützt zu sein, zum Staat und Cultus aber in keiner Beziehung zu stehen. Den 23. October Abends zeigten unsere Hausbeamten dem Gesandten an, dass am folgenden Tage die Fürstin von Buṅgo ihren Bruder, den Taïkūn besuchen, und die ganze von ihr zu passirende 17) Der Mann soll das Recht haben seine Frau zu tödten, wenn er sie allein mit einem Anderen im Zimmer findet.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/58>, abgerufen am 27.04.2024.