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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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VI. Kami-Dienst.
Gebräuche und Feste werden sich erhalten, die, aus der Heidenzeit
stammend, oft in gradem Widerspruch mit dem Christenthume
stehen, oder ihm nothdürftig angepasst sind. So begleiten auch
den buddistischen Japaner Gebräuche und Feste des Kami-Dienstes
von der Wiege bis zum Grabe durch das Familien- und Bürgerleben.
Sie führen ihn erheiternd und erbauend im Kreise des Jahres herum
und mahnen zu bestimmten Tagen und Stunden an die Vorzeit, an
die Pflichten gegen sich selbst und die Seinen, gegen seine Mitbürger
und Vorgesetzten. Japanischer Anstand und Lebensart stehen in
enger Beziehung zu dem Kami-Dienste, die Festgebräuche sind eine
Schule der jugendlichen Bildung, sie verfeinern die Sitten und lenken
die Vergnügungen.

In jeder Wohnung ist an erhöhtem Platze eine kleine aus
weissem Holz geschnitzte Hauscapelle, Miya, aufgestellt, in welcher
das Gohei8), ein aus Papierstreifen bestehendes Sinnbild des Kami
aufbewahrt wird. Davor stehen Blumentöpfe und Opfergeräthe, und
zur Seite Laternen von eigenthümlicher Form. Becher mit frischen
Zweigen des immergrünen Sakaki, der Myrthe und Cypresse
schmücken das häusliche Heiligthum, und in den Gefässen wird zu
bestimmten Zeiten Thee, Saki und gereinigter Reis geopfert. An den
Reibi, den Jahrestagen des Kami, bei Volks- und Familienfesten hängt
man sinnbildliche Verzierungen, Gemälde und künstliche Blumen-
sträusse dort auf, und die festlich gekleideten Familienglieder begehen
die Feier je nach ihrer Bedeutung mit gemessenem Ernst oder heiteren
Spielen. -- Auch in dem Gärtchen, das fast keinem japanischen
Hause fehlt, ist dem Hausgötzen ein zierlicher Ehrensitz bereitet. --

Seinem Wesen nach ist der Sinto-Dienst ein Natur- und
Heroencultus; alle Andachtsübung scheint auf Erhebung der Seele an
wunderbaren Naturkräften und menschlicher Grösse hinauszulaufen 9).

8) Das Gohei soll ein Sinnbild der Reinheit sein, nach Anderen ständen auf den
Papierstreifen Moral- und Weisheitssprüche.
9) Ein kurzer Abriss der Mythologie und Götterlehre, soweit sie dem Verfasser
aus den ihm zugänglichen Quellen deutlich wurde, ist Bd. I. S. 13 zu finden. Bei
näherer Erforschung der Einzelheiten geräth man in Verwirrung und Widersprüche,
die schwerlich jemals zu heben sein werden, wenn sich nicht etwa bei näherer Be-
kanntschaft mit den Lehren ein leitender Grundgedanke entdecken lässt. -- Der
Ausdruck Kami wird bald für die obersten Gottheiten, bald für vergötterte Menschen
und Naturkräfte gebraucht, während doch Ten-zio-dai-zin als die einzige mensch-
licher Anbetung zugängliche Gottheit zu gelten, die übrigen Kami aber, personificirte
Naturkräfte, canonisirte Herrscher, Helden und Wohlthäter, eher die Rolle von
Heiligen und Mittlern zu spielen scheinen.

VI. Kami-Dienst.
Gebräuche und Feste werden sich erhalten, die, aus der Heidenzeit
stammend, oft in gradem Widerspruch mit dem Christenthume
stehen, oder ihm nothdürftig angepasst sind. So begleiten auch
den buddistischen Japaner Gebräuche und Feste des Kami-Dienstes
von der Wiege bis zum Grabe durch das Familien- und Bürgerleben.
Sie führen ihn erheiternd und erbauend im Kreise des Jahres herum
und mahnen zu bestimmten Tagen und Stunden an die Vorzeit, an
die Pflichten gegen sich selbst und die Seinen, gegen seine Mitbürger
und Vorgesetzten. Japanischer Anstand und Lebensart stehen in
enger Beziehung zu dem Kami-Dienste, die Festgebräuche sind eine
Schule der jugendlichen Bildung, sie verfeinern die Sitten und lenken
die Vergnügungen.

In jeder Wohnung ist an erhöhtem Platze eine kleine aus
weissem Holz geschnitzte Hauscapelle, Miya, aufgestellt, in welcher
das Goheï8), ein aus Papierstreifen bestehendes Sinnbild des Kami
aufbewahrt wird. Davor stehen Blumentöpfe und Opfergeräthe, und
zur Seite Laternen von eigenthümlicher Form. Becher mit frischen
Zweigen des immergrünen Sakaki, der Myrthe und Cypresse
schmücken das häusliche Heiligthum, und in den Gefässen wird zu
bestimmten Zeiten Thee, Saki und gereinigter Reis geopfert. An den
Reïbi, den Jahrestagen des Kami, bei Volks- und Familienfesten hängt
man sinnbildliche Verzierungen, Gemälde und künstliche Blumen-
sträusse dort auf, und die festlich gekleideten Familienglieder begehen
die Feier je nach ihrer Bedeutung mit gemessenem Ernst oder heiteren
Spielen. — Auch in dem Gärtchen, das fast keinem japanischen
Hause fehlt, ist dem Hausgötzen ein zierlicher Ehrensitz bereitet. —

Seinem Wesen nach ist der Sinto-Dienst ein Natur- und
Heroencultus; alle Andachtsübung scheint auf Erhebung der Seele an
wunderbaren Naturkräften und menschlicher Grösse hinauszulaufen 9).

8) Das Goheï soll ein Sinnbild der Reinheit sein, nach Anderen ständen auf den
Papierstreifen Moral- und Weisheitssprüche.
9) Ein kurzer Abriss der Mythologie und Götterlehre, soweit sie dem Verfasser
aus den ihm zugänglichen Quellen deutlich wurde, ist Bd. I. S. 13 zu finden. Bei
näherer Erforschung der Einzelheiten geräth man in Verwirrung und Widersprüche,
die schwerlich jemals zu heben sein werden, wenn sich nicht etwa bei näherer Be-
kanntschaft mit den Lehren ein leitender Grundgedanke entdecken lässt. — Der
Ausdruck Kami wird bald für die obersten Gottheiten, bald für vergötterte Menschen
und Naturkräfte gebraucht, während doch Ten-zio-daï-zin als die einzige mensch-
licher Anbetung zugängliche Gottheit zu gelten, die übrigen Kami aber, personificirte
Naturkräfte, canonisirte Herrscher, Helden und Wohlthäter, eher die Rolle von
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[27/0047] VI. Kami-Dienst. Gebräuche und Feste werden sich erhalten, die, aus der Heidenzeit stammend, oft in gradem Widerspruch mit dem Christenthume stehen, oder ihm nothdürftig angepasst sind. So begleiten auch den buddistischen Japaner Gebräuche und Feste des Kami-Dienstes von der Wiege bis zum Grabe durch das Familien- und Bürgerleben. Sie führen ihn erheiternd und erbauend im Kreise des Jahres herum und mahnen zu bestimmten Tagen und Stunden an die Vorzeit, an die Pflichten gegen sich selbst und die Seinen, gegen seine Mitbürger und Vorgesetzten. Japanischer Anstand und Lebensart stehen in enger Beziehung zu dem Kami-Dienste, die Festgebräuche sind eine Schule der jugendlichen Bildung, sie verfeinern die Sitten und lenken die Vergnügungen. In jeder Wohnung ist an erhöhtem Platze eine kleine aus weissem Holz geschnitzte Hauscapelle, Miya, aufgestellt, in welcher das Goheï 8), ein aus Papierstreifen bestehendes Sinnbild des Kami aufbewahrt wird. Davor stehen Blumentöpfe und Opfergeräthe, und zur Seite Laternen von eigenthümlicher Form. Becher mit frischen Zweigen des immergrünen Sakaki, der Myrthe und Cypresse schmücken das häusliche Heiligthum, und in den Gefässen wird zu bestimmten Zeiten Thee, Saki und gereinigter Reis geopfert. An den Reïbi, den Jahrestagen des Kami, bei Volks- und Familienfesten hängt man sinnbildliche Verzierungen, Gemälde und künstliche Blumen- sträusse dort auf, und die festlich gekleideten Familienglieder begehen die Feier je nach ihrer Bedeutung mit gemessenem Ernst oder heiteren Spielen. — Auch in dem Gärtchen, das fast keinem japanischen Hause fehlt, ist dem Hausgötzen ein zierlicher Ehrensitz bereitet. — Seinem Wesen nach ist der Sinto-Dienst ein Natur- und Heroencultus; alle Andachtsübung scheint auf Erhebung der Seele an wunderbaren Naturkräften und menschlicher Grösse hinauszulaufen 9). 8) Das Goheï soll ein Sinnbild der Reinheit sein, nach Anderen ständen auf den Papierstreifen Moral- und Weisheitssprüche. 9) Ein kurzer Abriss der Mythologie und Götterlehre, soweit sie dem Verfasser aus den ihm zugänglichen Quellen deutlich wurde, ist Bd. I. S. 13 zu finden. Bei näherer Erforschung der Einzelheiten geräth man in Verwirrung und Widersprüche, die schwerlich jemals zu heben sein werden, wenn sich nicht etwa bei näherer Be- kanntschaft mit den Lehren ein leitender Grundgedanke entdecken lässt. — Der Ausdruck Kami wird bald für die obersten Gottheiten, bald für vergötterte Menschen und Naturkräfte gebraucht, während doch Ten-zio-daï-zin als die einzige mensch- licher Anbetung zugängliche Gottheit zu gelten, die übrigen Kami aber, personificirte Naturkräfte, canonisirte Herrscher, Helden und Wohlthäter, eher die Rolle von Heiligen und Mittlern zu spielen scheinen.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/47>, abgerufen am 24.11.2024.