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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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VI. Volksfeste. Reibi.
Die Geschenke, die man einander sendet, sind in ähnlicher Weise
verziert, und bestehen in schönen Seefischen, Körbchen mit Orangen,
Kuchen aus Reismehl und anderen Kleinigkeiten, deren Werth und
Anordnung die Etiquette für jeden Stand genau vorschreibt. In
wohlhabenden Häusern nimmt ein besonderer Officiant die Gratula-
lionsgeschenke mit der sauber geschriebenen Liste in Empfang und
registrirt sie in seine Bücher; an der Hausthüre sitzen an diesen Festtagen
zwei Diener, die alle Eintretenden mit tiefer Neigung begrüssen.

Das Puppenfest gilt vorzüglich der weiblichen Jugend und
heisst, als Frühlingsfeier, auch Fest der Pfirsichblüthen. Das kriege-
rische Flaggenfest begeistert die Knaben und Jünglinge, so auch
das Abendfest, an welchem die Schuljugend Bambusrohre aufstellt
und mit selbstgeschriebenen Versen oder anderen Proben ihres Fleisses
behängt. -- Ausser diesen fünf giebt es viele ähnliche Feste localer
Bedeutung und andere die nur den Höfen von Miako und Yeddo oder
gewissen Daimio-Familien angehören. Alle Volksfeste sind mit
gottesdienstlichen Feierlichkeiten verbunden, ohne deshalb eine
religiöse Bedeutung zu haben. Diese fehlt auch den Reibi, -- so
heissen die monatlichen Feiertage, der erste, fünfzehnte und acht-
undzwanzigste jeden Monats, Vollmond und Neumond. Kämpfer
nennt sie "bürgerliche Gratulations- und Galatage", an denen Audien-
zen ertheilt, Gastmale, Hochzeiten und andere festliche Handlungen
ausgerichtet werden. Auch an diesen Tagen ist es Sitte, sich
gegenseitig zu beglückwünschen; jeder Japaner legt sein Festgewand
und die Abzeichen seines Amtes und Standes an, verrichtet eine
kurze Andacht im Tempel, und besucht seine Freunde und Vorge-
setzten; Frauen, Mädchen und Kinder lustwandeln festlich geputzt
nach den Tempeln und Kami-Höfen, während der Handwerker,
nachdem er seine Pflicht- und Geschäftsbesuche abgelegt, an seine
Hantirung, der Landmann nach freundlichem Empfang bei dem
Ortsvorsteher zu seinen Feldern zurückkehrt; denn Arbeit und Ge-
werbe stehen an diesen Tagen nicht still. Sie sind bestimmt an
die Pflichten gegen die Kami, gegen Mitbürger und Vorgesetzte
zu erinnern, öffentliche Angelegenheiten so wie Gewissens- und
Familiensachen in geziemender Stimmung zu ordnen, und haben in
mancher Beziehung Aehnlichkeit mit unseren Sonntagen 7).

7) S. Siebold. Pantheon von Nippon. Dieser Abschnitt seines grossen encyclo-
pädischen Werkes ist mit besonderer Vorliebe bearbeitet und enthält sehr treffende
Schilderungen, die der Verfasser hier und in den folgenden Blättern vielfach benutzt hat.
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VI. Volksfeste. Reïbi.
Die Geschenke, die man einander sendet, sind in ähnlicher Weise
verziert, und bestehen in schönen Seefischen, Körbchen mit Orangen,
Kuchen aus Reismehl und anderen Kleinigkeiten, deren Werth und
Anordnung die Etiquette für jeden Stand genau vorschreibt. In
wohlhabenden Häusern nimmt ein besonderer Officiant die Gratula-
lionsgeschenke mit der sauber geschriebenen Liste in Empfang und
registrirt sie in seine Bücher; an der Hausthüre sitzen an diesen Festtagen
zwei Diener, die alle Eintretenden mit tiefer Neigung begrüssen.

Das Puppenfest gilt vorzüglich der weiblichen Jugend und
heisst, als Frühlingsfeier, auch Fest der Pfirsichblüthen. Das kriege-
rische Flaggenfest begeistert die Knaben und Jünglinge, so auch
das Abendfest, an welchem die Schuljugend Bambusrohre aufstellt
und mit selbstgeschriebenen Versen oder anderen Proben ihres Fleisses
behängt. — Ausser diesen fünf giebt es viele ähnliche Feste localer
Bedeutung und andere die nur den Höfen von Miako und Yeddo oder
gewissen Daïmio-Familien angehören. Alle Volksfeste sind mit
gottesdienstlichen Feierlichkeiten verbunden, ohne deshalb eine
religiöse Bedeutung zu haben. Diese fehlt auch den Reïbi, — so
heissen die monatlichen Feiertage, der erste, fünfzehnte und acht-
undzwanzigste jeden Monats, Vollmond und Neumond. Kämpfer
nennt sie »bürgerliche Gratulations- und Galatage«, an denen Audien-
zen ertheilt, Gastmale, Hochzeiten und andere festliche Handlungen
ausgerichtet werden. Auch an diesen Tagen ist es Sitte, sich
gegenseitig zu beglückwünschen; jeder Japaner legt sein Festgewand
und die Abzeichen seines Amtes und Standes an, verrichtet eine
kurze Andacht im Tempel, und besucht seine Freunde und Vorge-
setzten; Frauen, Mädchen und Kinder lustwandeln festlich geputzt
nach den Tempeln und Kami-Höfen, während der Handwerker,
nachdem er seine Pflicht- und Geschäftsbesuche abgelegt, an seine
Hantirung, der Landmann nach freundlichem Empfang bei dem
Ortsvorsteher zu seinen Feldern zurückkehrt; denn Arbeit und Ge-
werbe stehen an diesen Tagen nicht still. Sie sind bestimmt an
die Pflichten gegen die Kami, gegen Mitbürger und Vorgesetzte
zu erinnern, öffentliche Angelegenheiten so wie Gewissens- und
Familiensachen in geziemender Stimmung zu ordnen, und haben in
mancher Beziehung Aehnlichkeit mit unseren Sonntagen 7).

7) S. Siebold. Pantheon von Nippon. Dieser Abschnitt seines grossen encyclo-
pädischen Werkes ist mit besonderer Vorliebe bearbeitet und enthält sehr treffende
Schilderungen, die der Verfasser hier und in den folgenden Blättern vielfach benutzt hat.
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[19/0039] VI. Volksfeste. Reïbi. Die Geschenke, die man einander sendet, sind in ähnlicher Weise verziert, und bestehen in schönen Seefischen, Körbchen mit Orangen, Kuchen aus Reismehl und anderen Kleinigkeiten, deren Werth und Anordnung die Etiquette für jeden Stand genau vorschreibt. In wohlhabenden Häusern nimmt ein besonderer Officiant die Gratula- lionsgeschenke mit der sauber geschriebenen Liste in Empfang und registrirt sie in seine Bücher; an der Hausthüre sitzen an diesen Festtagen zwei Diener, die alle Eintretenden mit tiefer Neigung begrüssen. Das Puppenfest gilt vorzüglich der weiblichen Jugend und heisst, als Frühlingsfeier, auch Fest der Pfirsichblüthen. Das kriege- rische Flaggenfest begeistert die Knaben und Jünglinge, so auch das Abendfest, an welchem die Schuljugend Bambusrohre aufstellt und mit selbstgeschriebenen Versen oder anderen Proben ihres Fleisses behängt. — Ausser diesen fünf giebt es viele ähnliche Feste localer Bedeutung und andere die nur den Höfen von Miako und Yeddo oder gewissen Daïmio-Familien angehören. Alle Volksfeste sind mit gottesdienstlichen Feierlichkeiten verbunden, ohne deshalb eine religiöse Bedeutung zu haben. Diese fehlt auch den Reïbi, — so heissen die monatlichen Feiertage, der erste, fünfzehnte und acht- undzwanzigste jeden Monats, Vollmond und Neumond. Kämpfer nennt sie »bürgerliche Gratulations- und Galatage«, an denen Audien- zen ertheilt, Gastmale, Hochzeiten und andere festliche Handlungen ausgerichtet werden. Auch an diesen Tagen ist es Sitte, sich gegenseitig zu beglückwünschen; jeder Japaner legt sein Festgewand und die Abzeichen seines Amtes und Standes an, verrichtet eine kurze Andacht im Tempel, und besucht seine Freunde und Vorge- setzten; Frauen, Mädchen und Kinder lustwandeln festlich geputzt nach den Tempeln und Kami-Höfen, während der Handwerker, nachdem er seine Pflicht- und Geschäftsbesuche abgelegt, an seine Hantirung, der Landmann nach freundlichem Empfang bei dem Ortsvorsteher zu seinen Feldern zurückkehrt; denn Arbeit und Ge- werbe stehen an diesen Tagen nicht still. Sie sind bestimmt an die Pflichten gegen die Kami, gegen Mitbürger und Vorgesetzte zu erinnern, öffentliche Angelegenheiten so wie Gewissens- und Familiensachen in geziemender Stimmung zu ordnen, und haben in mancher Beziehung Aehnlichkeit mit unseren Sonntagen 7). 7) S. Siebold. Pantheon von Nippon. Dieser Abschnitt seines grossen encyclo- pädischen Werkes ist mit besonderer Vorliebe bearbeitet und enthält sehr treffende Schilderungen, die der Verfasser hier und in den folgenden Blättern vielfach benutzt hat. 2*

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/39>, abgerufen am 19.04.2024.