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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Anh. II. Aussichten.
können, wie vor tausend Jahren und seitdem so häufig. Vielleicht
ist in keinem modernen Volke seine Geschichte so lebendig als im
japanischen Adel; man wird unwillkürlich an frühere Umwälzungen
erinnert, das Auftreten der heutigen Landesfürsten vergegenwärtigt
das ihrer Vorfahren. Zu allen Zeiten waren in Japan politische
Rechte mehr als irgendwo durch die Macht bedingt; letztere wird
anerkannt, so lange sie die gegnerischen Elemente niederhalten kann,
ohne deshalb jemals legitim zu werden. Die einzige Legitimität
ist die des Mikado, ein markloses Luftgebilde, weil in Japan mehr
als irgendwo zur Executive eine ansehnliche Hausmacht gehört,
die der Mikado nicht hat, noch den tausendjährigen Institutionen
gemäss jemals haben kann. Deshalb darf auch die auswärtige
Politik unsere Begriffe von Legitimität auf Japan nicht anwenden.
Die Verträge sind allerdings mit dem Taikun geschlossen, und man
wird gut thun sie für seine Erblande so lange aufrecht zu halten,
als seine Regierung dort Ansehn hat. Zweck der Verträge
ist aber Anbahnung des Handelsverkehrs mit ganz Japan, die
nur durch Verbindung mit den unabhängigen Daimio's gelingen
kann. Die meisten Landesfürsten sind sicher schon jetzt überzeugt,
dass die Fremden nicht auf Eroberung ausgehen, und wünschen den
Verkehr; es gilt also mit ihnen anzuknüpfen und in allen Theilen
des Reiches festen Fuss zu fassen, wozu die aufblühenden Handels-
verhältnisse des Westens und die Productionskraft des Landes leb-
haft drängen. Nur auf diesem Wege ist Japan auch unserer Cultur
wirklich zu gewinnen, welche durch die wenigen geöffneten Häfen
mit ihrem beschränkten Umkreise nicht eindringen kann. Als die
Verträge geschlossen wurden und noch lange nachher überschätzte
man die Macht der Centralgewalt; noch im Herbst 1864 glaubten
die Fremden entschieden an das Uebergewicht der kaiserlichen
Streitmacht; seitdem hat sich Alles anders gestaltet. Die Verträge
sind mit der Siogun-Herrschaft unvereinbar und würden sich in
ihrem vollen Umfange kaum durch Waffengewalt durchführen lassen.
Soll ihr Zweck erreicht werden, so trete man mit den unabhängigen
Landesfürsten in Verbindung, wo der Handel dazu das Bedürfniss
zeigt. Jeder Druck durch Kriegsgewalt ist schwierig und bedenk-
lich. Die europäischen Waffen würden ohne Zweifel beim Zusam-
menstoss das Uebergewicht behalten, und mit ungeheueren Kosten
liesse sich unter der umsichtigsten Leitung gewiss ein erfolgreicher
Feldzug durchführen; -- aber die Erfahrungen aus alter und neuer

Anh. II. Aussichten.
können, wie vor tausend Jahren und seitdem so häufig. Vielleicht
ist in keinem modernen Volke seine Geschichte so lebendig als im
japanischen Adel; man wird unwillkürlich an frühere Umwälzungen
erinnert, das Auftreten der heutigen Landesfürsten vergegenwärtigt
das ihrer Vorfahren. Zu allen Zeiten waren in Japan politische
Rechte mehr als irgendwo durch die Macht bedingt; letztere wird
anerkannt, so lange sie die gegnerischen Elemente niederhalten kann,
ohne deshalb jemals legitim zu werden. Die einzige Legitimität
ist die des Mikado, ein markloses Luftgebilde, weil in Japan mehr
als irgendwo zur Executive eine ansehnliche Hausmacht gehört,
die der Mikado nicht hat, noch den tausendjährigen Institutionen
gemäss jemals haben kann. Deshalb darf auch die auswärtige
Politik unsere Begriffe von Legitimität auf Japan nicht anwenden.
Die Verträge sind allerdings mit dem Taïkūn geschlossen, und man
wird gut thun sie für seine Erblande so lange aufrecht zu halten,
als seine Regierung dort Ansehn hat. Zweck der Verträge
ist aber Anbahnung des Handelsverkehrs mit ganz Japan, die
nur durch Verbindung mit den unabhängigen Daïmio’s gelingen
kann. Die meisten Landesfürsten sind sicher schon jetzt überzeugt,
dass die Fremden nicht auf Eroberung ausgehen, und wünschen den
Verkehr; es gilt also mit ihnen anzuknüpfen und in allen Theilen
des Reiches festen Fuss zu fassen, wozu die aufblühenden Handels-
verhältnisse des Westens und die Productionskraft des Landes leb-
haft drängen. Nur auf diesem Wege ist Japan auch unserer Cultur
wirklich zu gewinnen, welche durch die wenigen geöffneten Häfen
mit ihrem beschränkten Umkreise nicht eindringen kann. Als die
Verträge geschlossen wurden und noch lange nachher überschätzte
man die Macht der Centralgewalt; noch im Herbst 1864 glaubten
die Fremden entschieden an das Uebergewicht der kaiserlichen
Streitmacht; seitdem hat sich Alles anders gestaltet. Die Verträge
sind mit der Siogun-Herrschaft unvereinbar und würden sich in
ihrem vollen Umfange kaum durch Waffengewalt durchführen lassen.
Soll ihr Zweck erreicht werden, so trete man mit den unabhängigen
Landesfürsten in Verbindung, wo der Handel dazu das Bedürfniss
zeigt. Jeder Druck durch Kriegsgewalt ist schwierig und bedenk-
lich. Die europäischen Waffen würden ohne Zweifel beim Zusam-
menstoss das Uebergewicht behalten, und mit ungeheueren Kosten
liesse sich unter der umsichtigsten Leitung gewiss ein erfolgreicher
Feldzug durchführen; — aber die Erfahrungen aus alter und neuer

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[357/0377] Anh. II. Aussichten. können, wie vor tausend Jahren und seitdem so häufig. Vielleicht ist in keinem modernen Volke seine Geschichte so lebendig als im japanischen Adel; man wird unwillkürlich an frühere Umwälzungen erinnert, das Auftreten der heutigen Landesfürsten vergegenwärtigt das ihrer Vorfahren. Zu allen Zeiten waren in Japan politische Rechte mehr als irgendwo durch die Macht bedingt; letztere wird anerkannt, so lange sie die gegnerischen Elemente niederhalten kann, ohne deshalb jemals legitim zu werden. Die einzige Legitimität ist die des Mikado, ein markloses Luftgebilde, weil in Japan mehr als irgendwo zur Executive eine ansehnliche Hausmacht gehört, die der Mikado nicht hat, noch den tausendjährigen Institutionen gemäss jemals haben kann. Deshalb darf auch die auswärtige Politik unsere Begriffe von Legitimität auf Japan nicht anwenden. Die Verträge sind allerdings mit dem Taïkūn geschlossen, und man wird gut thun sie für seine Erblande so lange aufrecht zu halten, als seine Regierung dort Ansehn hat. Zweck der Verträge ist aber Anbahnung des Handelsverkehrs mit ganz Japan, die nur durch Verbindung mit den unabhängigen Daïmio’s gelingen kann. Die meisten Landesfürsten sind sicher schon jetzt überzeugt, dass die Fremden nicht auf Eroberung ausgehen, und wünschen den Verkehr; es gilt also mit ihnen anzuknüpfen und in allen Theilen des Reiches festen Fuss zu fassen, wozu die aufblühenden Handels- verhältnisse des Westens und die Productionskraft des Landes leb- haft drängen. Nur auf diesem Wege ist Japan auch unserer Cultur wirklich zu gewinnen, welche durch die wenigen geöffneten Häfen mit ihrem beschränkten Umkreise nicht eindringen kann. Als die Verträge geschlossen wurden und noch lange nachher überschätzte man die Macht der Centralgewalt; noch im Herbst 1864 glaubten die Fremden entschieden an das Uebergewicht der kaiserlichen Streitmacht; seitdem hat sich Alles anders gestaltet. Die Verträge sind mit der Siogun-Herrschaft unvereinbar und würden sich in ihrem vollen Umfange kaum durch Waffengewalt durchführen lassen. Soll ihr Zweck erreicht werden, so trete man mit den unabhängigen Landesfürsten in Verbindung, wo der Handel dazu das Bedürfniss zeigt. Jeder Druck durch Kriegsgewalt ist schwierig und bedenk- lich. Die europäischen Waffen würden ohne Zweifel beim Zusam- menstoss das Uebergewicht behalten, und mit ungeheueren Kosten liesse sich unter der umsichtigsten Leitung gewiss ein erfolgreicher Feldzug durchführen; — aber die Erfahrungen aus alter und neuer

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/377>, abgerufen am 25.11.2024.