Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

VI. Das Goldblumenfest.
sollen meist reinlich sein, besonders die zur Untersuchungshaft
bestimmten. Statt der Zellen hat man Gitterverschläge, deren ge-
wöhnlich mehrere in einem Raume aufgestellt und gemeinschaftlich
bewacht werden. Die zur Untersuchungshaft dienenden sind bequem
und geräumig, die Nahrung gut, nur Tabak und Saki verboten. Ver-
urtheilte dagegen sperrt man in enge Käfige, in denen sie zuweilen
mit gekrümmtem Rücken auf den Knieen liegen müssen 6). Die
Hinrichtungen geschehen entweder in den Gefängnissen oder öffent-
lich, und die Köpfe der Gerichteten bleiben eine Zeitlang ausgestellt.
Oft lässt man die Verurtheilten mehreren Executionen beiwohnen,
ehe sie selbst an die Reihe kommen.

Am 22. October, dem neunten Tage des neunten japanischen22. Octbr.
Monats feierte man in Yeddo das Goldblumenfest. Schon den Abend
zuvor waren alle Häuser mit bunten Laternen, die Tempel-Portale
und Treppen mit frischem Laube geschmückt, und in den Strassen
viele hohe Masten mit grünen Bambusbüscheln an der Spitze auf-
gepflanzt, welche lange wehende Banner mit Inschriften trugen.
Zahlreiche Kinderschaaren zogen mit grünen Zweigen und Laternen
jubilirend durch die Gassen, wo Bänkelsänger, drollige Masken und
Possenreisser den muthwilligsten Spass trieben. Wir begegneten
Abends vom Spazierritt zurückkehrend hier und da Betrunkenen,
deren aufgeregter Zustand sich in besonders strammer Haltung und
einiger Abneigung unseren Pferden auszuweichen offenbarte. Berittene
Samrai jagten baarhaupt, mit geröthetem Antlitz, verhängten Zügels
durch die Strassen. Man fühlt sich ohne Waffen bei solcher Be-
gegnung etwas unbehaglich, da die meisten Angriffe gegen Fremde
von trunkenen Soldaten ausgehen sollen. Der Rausch dieser Tage
schien aber durchaus harmloser Art zu sein; nur zuweilen hielten
einige der wilden Rossetummler neben uns still und machten spöttische
Bemerkungen, oder legten wohl trotzig die Hand an den Säbelgriff.
Kämpfer sagt, dass das Goldblumenfest vor allen übrigen "einen

namentlich durch die Kreuzigung mit dem Kopfe nach unten, wobei dem Gekreuzigten
Einschnitte in die Kopfhaut gemacht würden, damit das Blut Abfluss habe und ihn
nicht zu rasch ersticke. Titsingh erzählt von Henkern, welche die Geschicklichkeit
besessen hätten, dem Hinzurichtenden sechszehn schmerzhafte Wunden beizubringen
ohne ihn zu tödten; Meylan vom sogenannten Todtentanz. wobei das Schlachtopfer in
einen Strohmantel eingenäht und dieser angezündet worden wäre; -- Alles dies aber
nur von Hörensagen. Ebenso unverbürgt ist wohl das Gerücht, dass junge Samrai
oder gar Daimio's die Schärfe ihrer Klingen an den Leichen der Gerichteten versuchen.
6) Ueber die "Höllen" s. Bd. I. S. 127.
II. 2

VI. Das Goldblumenfest.
sollen meist reinlich sein, besonders die zur Untersuchungshaft
bestimmten. Statt der Zellen hat man Gitterverschläge, deren ge-
wöhnlich mehrere in einem Raume aufgestellt und gemeinschaftlich
bewacht werden. Die zur Untersuchungshaft dienenden sind bequem
und geräumig, die Nahrung gut, nur Tabak und Saki verboten. Ver-
urtheilte dagegen sperrt man in enge Käfige, in denen sie zuweilen
mit gekrümmtem Rücken auf den Knieen liegen müssen 6). Die
Hinrichtungen geschehen entweder in den Gefängnissen oder öffent-
lich, und die Köpfe der Gerichteten bleiben eine Zeitlang ausgestellt.
Oft lässt man die Verurtheilten mehreren Executionen beiwohnen,
ehe sie selbst an die Reihe kommen.

Am 22. October, dem neunten Tage des neunten japanischen22. Octbr.
Monats feierte man in Yeddo das Goldblumenfest. Schon den Abend
zuvor waren alle Häuser mit bunten Laternen, die Tempel-Portale
und Treppen mit frischem Laube geschmückt, und in den Strassen
viele hohe Masten mit grünen Bambusbüscheln an der Spitze auf-
gepflanzt, welche lange wehende Banner mit Inschriften trugen.
Zahlreiche Kinderschaaren zogen mit grünen Zweigen und Laternen
jubilirend durch die Gassen, wo Bänkelsänger, drollige Masken und
Possenreisser den muthwilligsten Spass trieben. Wir begegneten
Abends vom Spazierritt zurückkehrend hier und da Betrunkenen,
deren aufgeregter Zustand sich in besonders strammer Haltung und
einiger Abneigung unseren Pferden auszuweichen offenbarte. Berittene
Samraï jagten baarhaupt, mit geröthetem Antlitz, verhängten Zügels
durch die Strassen. Man fühlt sich ohne Waffen bei solcher Be-
gegnung etwas unbehaglich, da die meisten Angriffe gegen Fremde
von trunkenen Soldaten ausgehen sollen. Der Rausch dieser Tage
schien aber durchaus harmloser Art zu sein; nur zuweilen hielten
einige der wilden Rossetummler neben uns still und machten spöttische
Bemerkungen, oder legten wohl trotzig die Hand an den Säbelgriff.
Kämpfer sagt, dass das Goldblumenfest vor allen übrigen »einen

namentlich durch die Kreuzigung mit dem Kopfe nach unten, wobei dem Gekreuzigten
Einschnitte in die Kopfhaut gemacht würden, damit das Blut Abfluss habe und ihn
nicht zu rasch ersticke. Titsingh erzählt von Henkern, welche die Geschicklichkeit
besessen hätten, dem Hinzurichtenden sechszehn schmerzhafte Wunden beizubringen
ohne ihn zu tödten; Meylan vom sogenannten Todtentanz. wobei das Schlachtopfer in
einen Strohmantel eingenäht und dieser angezündet worden wäre; — Alles dies aber
nur von Hörensagen. Ebenso unverbürgt ist wohl das Gerücht, dass junge Samraï
oder gar Daïmio’s die Schärfe ihrer Klingen an den Leichen der Gerichteten versuchen.
6) Ueber die »Höllen« s. Bd. I. S. 127.
II. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="17"/><fw place="top" type="header">VI. Das Goldblumenfest.</fw><lb/>
sollen meist reinlich sein, besonders die zur Untersuchungshaft<lb/>
bestimmten. Statt der Zellen hat man Gitterverschläge, deren ge-<lb/>
wöhnlich mehrere in einem Raume aufgestellt und gemeinschaftlich<lb/>
bewacht werden. Die zur Untersuchungshaft dienenden sind bequem<lb/>
und geräumig, die Nahrung gut, nur Tabak und <hi rendition="#k">Saki</hi> verboten. Ver-<lb/>
urtheilte dagegen sperrt man in enge Käfige, in denen sie zuweilen<lb/>
mit gekrümmtem Rücken auf den Knieen liegen müssen <note place="foot" n="6)">Ueber die »Höllen« s. Bd. I. S. 127.</note>. Die<lb/>
Hinrichtungen geschehen entweder in den Gefängnissen oder öffent-<lb/>
lich, und die Köpfe der Gerichteten bleiben eine Zeitlang ausgestellt.<lb/>
Oft lässt man die Verurtheilten mehreren Executionen beiwohnen,<lb/>
ehe sie selbst an die Reihe kommen.</p><lb/>
          <p>Am 22. October, dem neunten Tage des neunten japanischen<note place="right">22. Octbr.</note><lb/>
Monats feierte man in <hi rendition="#k"><placeName>Yeddo</placeName></hi> das Goldblumenfest. Schon den Abend<lb/>
zuvor waren alle Häuser mit bunten Laternen, die Tempel-Portale<lb/>
und Treppen mit frischem Laube geschmückt, und in den Strassen<lb/>
viele hohe Masten mit grünen Bambusbüscheln an der Spitze auf-<lb/>
gepflanzt, welche lange wehende Banner mit Inschriften trugen.<lb/>
Zahlreiche Kinderschaaren zogen mit grünen Zweigen und Laternen<lb/>
jubilirend durch die Gassen, wo Bänkelsänger, drollige Masken und<lb/>
Possenreisser den muthwilligsten Spass trieben. Wir begegneten<lb/>
Abends vom Spazierritt zurückkehrend hier und da Betrunkenen,<lb/>
deren aufgeregter Zustand sich in besonders strammer Haltung und<lb/>
einiger Abneigung unseren Pferden auszuweichen offenbarte. Berittene<lb/><hi rendition="#k">Samraï</hi> jagten baarhaupt, mit geröthetem Antlitz, verhängten Zügels<lb/>
durch die Strassen. Man fühlt sich ohne Waffen bei solcher Be-<lb/>
gegnung etwas unbehaglich, da die meisten Angriffe gegen Fremde<lb/>
von trunkenen Soldaten ausgehen sollen. Der Rausch dieser Tage<lb/>
schien aber durchaus harmloser Art zu sein; nur zuweilen hielten<lb/>
einige der wilden Rossetummler neben uns still und machten spöttische<lb/>
Bemerkungen, oder legten wohl trotzig die Hand an den Säbelgriff.<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118559168">Kämpfer</persName> sagt, dass das Goldblumenfest vor allen übrigen »einen<lb/><note xml:id="note-0037" prev="#note-0036" place="foot" n="5)">namentlich durch die Kreuzigung mit dem Kopfe nach unten, wobei dem Gekreuzigten<lb/>
Einschnitte in die Kopfhaut gemacht würden, damit das Blut Abfluss habe und ihn<lb/>
nicht zu rasch ersticke. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118977458">Titsingh</persName> erzählt von Henkern, welche die Geschicklichkeit<lb/>
besessen hätten, dem Hinzurichtenden sechszehn schmerzhafte Wunden beizubringen<lb/>
ohne ihn zu tödten; <persName ref="http://d-nb.info/gnd/140822259">Meylan</persName> vom sogenannten Todtentanz. wobei das Schlachtopfer in<lb/>
einen Strohmantel eingenäht und dieser angezündet worden wäre; &#x2014; Alles dies aber<lb/>
nur von Hörensagen. Ebenso unverbürgt ist wohl das Gerücht, dass junge <hi rendition="#k">Samraï</hi><lb/>
oder gar <hi rendition="#k">Daïmio</hi>&#x2019;s die Schärfe ihrer Klingen an den Leichen der Gerichteten versuchen.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">II. 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0037] VI. Das Goldblumenfest. sollen meist reinlich sein, besonders die zur Untersuchungshaft bestimmten. Statt der Zellen hat man Gitterverschläge, deren ge- wöhnlich mehrere in einem Raume aufgestellt und gemeinschaftlich bewacht werden. Die zur Untersuchungshaft dienenden sind bequem und geräumig, die Nahrung gut, nur Tabak und Saki verboten. Ver- urtheilte dagegen sperrt man in enge Käfige, in denen sie zuweilen mit gekrümmtem Rücken auf den Knieen liegen müssen 6). Die Hinrichtungen geschehen entweder in den Gefängnissen oder öffent- lich, und die Köpfe der Gerichteten bleiben eine Zeitlang ausgestellt. Oft lässt man die Verurtheilten mehreren Executionen beiwohnen, ehe sie selbst an die Reihe kommen. Am 22. October, dem neunten Tage des neunten japanischen Monats feierte man in Yeddo das Goldblumenfest. Schon den Abend zuvor waren alle Häuser mit bunten Laternen, die Tempel-Portale und Treppen mit frischem Laube geschmückt, und in den Strassen viele hohe Masten mit grünen Bambusbüscheln an der Spitze auf- gepflanzt, welche lange wehende Banner mit Inschriften trugen. Zahlreiche Kinderschaaren zogen mit grünen Zweigen und Laternen jubilirend durch die Gassen, wo Bänkelsänger, drollige Masken und Possenreisser den muthwilligsten Spass trieben. Wir begegneten Abends vom Spazierritt zurückkehrend hier und da Betrunkenen, deren aufgeregter Zustand sich in besonders strammer Haltung und einiger Abneigung unseren Pferden auszuweichen offenbarte. Berittene Samraï jagten baarhaupt, mit geröthetem Antlitz, verhängten Zügels durch die Strassen. Man fühlt sich ohne Waffen bei solcher Be- gegnung etwas unbehaglich, da die meisten Angriffe gegen Fremde von trunkenen Soldaten ausgehen sollen. Der Rausch dieser Tage schien aber durchaus harmloser Art zu sein; nur zuweilen hielten einige der wilden Rossetummler neben uns still und machten spöttische Bemerkungen, oder legten wohl trotzig die Hand an den Säbelgriff. Kämpfer sagt, dass das Goldblumenfest vor allen übrigen »einen 5) 22. Octbr. 6) Ueber die »Höllen« s. Bd. I. S. 127. 5) namentlich durch die Kreuzigung mit dem Kopfe nach unten, wobei dem Gekreuzigten Einschnitte in die Kopfhaut gemacht würden, damit das Blut Abfluss habe und ihn nicht zu rasch ersticke. Titsingh erzählt von Henkern, welche die Geschicklichkeit besessen hätten, dem Hinzurichtenden sechszehn schmerzhafte Wunden beizubringen ohne ihn zu tödten; Meylan vom sogenannten Todtentanz. wobei das Schlachtopfer in einen Strohmantel eingenäht und dieser angezündet worden wäre; — Alles dies aber nur von Hörensagen. Ebenso unverbürgt ist wohl das Gerücht, dass junge Samraï oder gar Daïmio’s die Schärfe ihrer Klingen an den Leichen der Gerichteten versuchen. II. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/37
Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/37>, abgerufen am 19.04.2024.